Harald Martenstein im Interview über Political Correctness, Mainzer Fastnacht und Feminismus
Von Monika Nellessen
Zentrale Reporterin VRM
Foto: C. Bertelsmann
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Herr Martenstein, Ihr kleiner Sohn wird im Juli drei Jahre alt. Was kann er schon besser als Sie?
Harald Martenstein: Er kann sich besser durchsetzen als ich. Ich war nie gut darin, mich durchzuboxen. Deshalb war ich auch für Führungspositionen nicht geeignet.
Warum nicht?
Wenn zwei meiner Mitarbeiter hintereinander mit mir geredet haben, habe ich bei dem ersten gedacht: Ja klar, klingt vernünftig. Dann kam der nächste, sagte genau das Gegenteil und ich fand es genauso plausibel.
Wozu darf man in Deutschland nur eine Meinung haben?
Verboten ist fast nichts. Bei Themen, die mit Political Correctness zu tun haben, Feminismus oder Genderforschung zum Beispiel, zuckt man in den Redaktionen aber schon zusammen, auch beim Thema Islam. Ich habe immer schreiben dürfen, was ich will. Ich frage mich nur, ob ein junger, unbekannter Kollege das Gleiche schreiben dürfte.
ZUR PERSON
Der Journalist und Autor Harald Martenstein, geboren am 9. September 1953 in Mainz, verbrachte Kindheit und Jugend bis zum Abitur in der rheinland-pfälzischen Landeshaupstadt.
Er ist Leitender Redakteur beim Berliner „Tagesspiegel“ und schreibt seit 2002 eine Kolumne für „Die Zeit“. Sein Roman „Heimweg“ enthält Bezüge zu seiner Kindheit in Mainz. Im jüngsten Buch „Im Kino“ widmet er sich seiner Liebe zum Film. Schon als Student verfasste er Kritiken für Allgemeine Zeitung Mainz und Wiesbadener Tagblatt.
Martenstein lebt in Berlin, ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Und deshalb lästern Sie besonders gerne darüber?
Ich lästere über Gott und die Welt. Einmal habe ich eine Kolumne verfasst, in dem ich mich über eine feministische Verirrung lustig gemacht habe. Was es genau war, weiß ich gar nicht mehr. Da kam sofort eine so heftige und polemische Gegenreaktion, dass ich dachte: So was musst du öfter schreiben. Wenn irgendeine Gruppe sagt, über uns darf man keine Witze machen, Kritik streng verboten, dann ist das ja eine Aufforderung zur Desensibilisierung. Phobien heilt man durch Desensibilisierung. Wenn sich keiner mehr aufregt, höre ich sofort damit auf.
Sind Sie ein Macho?
Ich nenne mich so, weil man angeblich keiner sein darf.
Was war die heftigste Reaktion?
Wegen eines kritischen „Zeit“-Artikels über die Genderforschung wurde ich von der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung als NPD-nah eingestuft. Und diese Grünen hatte ich, verdammt noch mal, davor rund zehn Mal gewählt.
Sie werden also von denen verurteilt, aus deren linksliberalem Milieu Sie stammen?
Ja, das ist das Tragikomische. Vor zwanzig Jahren waren die Grünen für mich eine Partei, die für Freiheit stand: Jeder soll leben dürfen, wie er oder sie will. Jetzt höre ich aus dieser Ecke: Es gibt eine bestimmte Art, wie du leben sollst oder gar, wie du leben musst. Das geht mir gegen den Strich. Ich will, dass man über unterschiedliche Dinge in unserer Gesellschaft unterschiedlicher Ansicht sein darf, ohne dass man dem anderen deswegen den Anstand abspricht. Vielleicht hängt das ja auch mit meiner Mainzer Herkunft zusammen.
Meinen Sie das ernst?
Ja, ich glaube schon, dass Toleranz ein Mainzer Lebensprinzip ist. In Mainz gibt es die Fastnachtssitzungen, da sitzen in der ersten Reihe Politiker, die sich mehrere Stunden lang Witze auf ihre Kosten anhören müssen. Manchmal auch Witze unter der Gürtellinie, in der Fassenacht geht es ja nicht immer geschmackvoll zu. Und dann müssen die Politiker so tun, als ob sie das lustig finden. Keine Kritik zu vertragen, führt in Mainz zu Gesichtsverlust. Ich habe mit der Muttermilch aufgesogen, dass es diese Art von Meinungs- und Lästerfreiheit gibt. Davon lasse ich mich nicht abbringen.
Was ist für Sie ein Gutmensch?
Das ist mal Unwort des Jahres gewesen. Ich halte das nicht für ein Unwort, weil es einen Typus Mensch beschreibt, den es gibt. Ein Gutmensch ist etwas Ähnliches wie das, was man früher einen Spießer genannt hat. Ein Typus, der glaubt, er weiß, wie es richtig ist. Er zweifelt nie. Und alle anderen haben sich gefälligst nach ihm zu richten. Der Gutmensch hat ein permanentes Gefühl der eigenen moralischen Überlegenheit. Hoffärtig nannte man das in der Sprache der Bibel. Oder Philister. Diesen Typus gab es in anderer Spielart auch schon in den 50er Jahren.
Sind Sie ein Populist?
Ich glaube, dass Demokratie etwas mit Populismus zu tun hat. In unserem Grundgesetz steht, dass alle Gewalt vom Volke ausgeht. Also, durch unsere Verfassung ist uns ein Stück Populismus vorgegeben. Parteien oder Politiker, die sagen, es ist uns scheißegal, was das Volk will, sind mir nicht angenehm. Es kommt dabei aber, wie bei so vielem im Leben, auf die Dosis an.
Sie haben sich vor zwei Jahren skeptisch zur Zuwanderungspolitik geäußert. Aus heutiger Sicht: Haben Sie falsch gelegen oder recht behalten?
Für mich war es nie eine Frage, dass unser Land Zuwanderung braucht und sich nicht abschotten darf. Die Frage heißt: Wie sieht diese Zuwanderung aus? Und die Idee, dass man die Grenzen einfach aufmacht und sagt, jeder darf kommen, wir wissen nicht mal, wie diese Leute heißen, welchen Background sie haben, das habe ich für einen großen Fehler gehalten. Heute haben alle Parteien von der CDU bis zu der Linken ihre Position revidiert und sind für strengere Spielregeln. Wenn ich die Texte von damals heute noch mal veröffentlichen würde, wäre das Mainstream. Aber damals wurde ich heftig angegriffen.
Was halten Sie von einer Leitkultur, wie Sie Innenminister de Mazière wieder ins Gespräch gebracht hat?
Ich halte diese Debatte für Kokolores. Man kann den Menschen keine bestimmte Kultur vorschreiben, man kann sie auch nicht zu irgendwelchen Werten verpflichten. Wie will man denn herausfinden, ob sie diese Werte teilen? Wie will man in ihr Hirn reingucken? Ich finde nicht, dass man von Leuten, die nach Deutschland zuwandern, verlangen kann, dass sie ihre Identität verändern oder zu anderen Menschen werden. Die Leute sollen sich an die Gesetze halten. Sie haben das Recht, in ihrer Lebensweise toleriert zu werden, so weit diese mit unserem Grundgesetz vereinbar ist. Sie sollten allerdings auch ihrerseits Toleranz für andere aufbringen.
Was ist typisch deutsch?
Ich habe mal zum Thema Leitkultur einen Text geschrieben, der davon handelt, wie ich auf dem Balkan in eine Sauna gegangen bin, nackt, wie man das in Deutschland so gewohnt ist. Die Leute haben mich fast hasserfüllt angesehen, ich hatte mich total unmöglich gemacht. Wenn Herr de Maizière gesagt hätte, dass es zur deutschen Leitkultur gehört, nackt in die Sauna zu gehen, wäre das zugleich sehr wahr und sehr komisch gewesen.
Sie sind spät zum zweiten Mal Vater geworden, Werden Sie oft als Opa angesprochen?
Ja. Meistens korrigiere ich die Leute gar nicht, damit es für sie nicht peinlich wird. Wir sind beide späte Eltern, meine Frau war auch schon 47, als das Kind kam. Und das wird von vielen Leuten kritisch gesehen, so nach dem Motto: Was tut man dem Kind da an? Ich sage dann immer: Zu leben, das ist eigentlich eine gute Sache. Lebendig zu sein ist immer besser als nicht lebendig.
Ihr älterer Sohn studiert in Mainz. Wenn Sie ihn besuchen, haben Sie einen Lieblingsort in Ihrer Heimatstadt?
Mich zieht es immer in die Neustadt, in die Nähe des Hauptbahnhofs, wo ich in der Josefsstraße aufgewachsen bin.
Und in Wiesbaden, wo Ihre Mutter inzwischen zuhause ist?
Als Mainzer habe ich gewisse Vorurteile gegen Wiesbaden, aber sicher ist menschliches Leben auch in Wiesbaden möglich.
Wann geht ein Kolumnist in Ruhestand?
Entweder wenn er gefeuert wird, wie ein Fußballtrainer, oder wenn ihm nichts mehr einfällt oder wenn er so viel Geld verdient hat, dass er keines mehr braucht. Das ist bei Fußballspielern der Fall, aber in meinem Fall ein leider unerfüllbarer Traum. Ich schreibe die Kolumne seit 16 Jahren. Wenn nichts dazwischen kommt, will ich die 20 vollkriegen.