Gemeinsames Singen verbessert die Laune und beeinflusst den...

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Chormitglieder, die gemeinsam singen, passen ihre Herzfrequenzen aneinander an: Ihre Herzen schlagen synchron, belegte 2013 eine Studie der Universität Göteborg. Das...

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. Chormitglieder, die gemeinsam singen, passen ihre Herzfrequenzen aneinander an: Ihre Herzen schlagen synchron, belegte 2013 eine Studie der Universität Göteborg. Das kontrollierte Ein- und Ausatmen sei außerdem gesund und könne ähnlich wirken wie Yoga, berichten die Forscher. Für ihre Untersuchungen ließen die Wissenschaftler 15 Jugendliche im Chor üben. Dabei dokumentierten sie die Herzschläge. Die Forscher stellten fest: Liedaufbau und Melodie spiegeln sich in der Herz-Aktivität wider. Atmeten die Sänger aus, fiel ihr Puls, atmeten sie ein, stieg er an. So entstand beim gemeinsamen Singen der Effekt, dass der Puls der Chormitglieder synchron schlug. Ausatmen aktiviert den Vagusnerv im Gehirn. Das führt dazu, dass die Herzfrequenz sinkt und das Herz ruhiger schlägt.

„Chor der Muffeligen“ gegründet

Sogar die mentale Verfassung ließe sich durch Singen beeinflussen. Das belegte ebenfalls 2013 eine Studie, die der Wissenschaftler Gunter Kreutz von der Universität Oldenburg für eine Fernsehsendung durchführte. Er startete dafür gemeinsam mit der Moderatorin Anke Engelke einen Aufruf zur Gründung eines Chors. 36 nach eigenem Bekunden „muffelige” Menschen wählten sie dafür aus. Die Menschen erzählten von Krankheiten, Problemen in der Familie oder in der Partnerschaft, auch von deprimierenden Erfahrungen im Schulfach Musik. Am Ende des Castings war der “Chor der Muffeligen” gegründet.

Dann traf man sich einmal wöchentlich, um sich unter professioneller Anleitung auf einen Auftritt vorzubereiten. Vor und nach jeder Probe füllten die Chorsänger Fragebögen aus, um ihre Gefühlslage einzuschätzen. Der zweite Baustein der wissenschaftlichen Untersuchung waren Speichelproben. Darin sollte die Konzentration des Hormons Oxytocin gemessen werden. An zwei Terminen gaben die Sänger vor der Probe und 30 Minuten später Speichel ab. Beim ersten Termin wurde gesungen. Beim zweiten sollten die Sänger stattdessen nur miteinander sprechen. Denn Kreutz wollte einen Vergleichswert erhalten. Deswegen sollten die Sänger etwas tun, was dem Singen sehr ähnlich ist: Ihren „Vokalapparat” nutzen, um über positive Dinge zu reden und Gemeinschaft zu erleben. Alle Speichelproben wurden in einem medizinischen Labor analysiert. Die Oxytocinwerte hatten sich in beiden Proben nach 30 Minuten erhöht – doch beim Singen signifikant höher als bei der Gesprächsrunde. Die Fragebögen zum Wohlbefinden unterstützten das Ergebnis: Die Sänger fühlten sich am Ende der Proben viel besser. „Psychisch hat miteinander zu sprechen ebenfalls einen positiven Effekt, aber beim Singen ist dieser viel stärker”, resümiert der Musikwissenschaftler.

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Was die Wissenschaftler herausfanden, bestätigen auch Praktiker, nämlich Chorleiter und -mitglieder. „Beim Singen kann man alle schlechten Energien rauslassen und bekommt neue, gute herein. Beim Singen bekommt man den Kopf frei, kann Sorgen und Belastungen hinter sich lassen, und fühlt sich hinterher viel besser. Das gemeinsame Erarbeiten eines Stückes und das daraus entstehende Gesamt-Klangerlebnis sind einfach unglaublich beglückend“, so Sonja Kern, die in einem Chor in Hattersheim im Sopran singt. „Chor ist wie eine Wiedergeburt. Dieses Glück habe ich in der Schiersteiner Kantorei gefunden, in ganz besonderem Maße bei den Weihnachtskonzerten in der Christophoruskirche in Schierstein“, sagt Dr. Bernhard Scherer. Die Wiesbadener Gesangslehrerin und Opernsängerin Alma De Lon berichtet: „Beim Gesang sind alle gleich und es geht nur um Stimme und Musik. Das erdet sehr und gibt einem wieder das Gefühl für das Wesentliche. Ich habe Schüler, die Rheuma, MS oder starke Schmerzen haben und während der Gesangstunde oder Chorprobe für eine Weile Schmerzen und Sorgen vergessen.“ Roman Twardy, Leiter des Wiesbadener Knabenchors, empfiehlt augenzwinkernd: „Als ,Herdenvieh’ sollte der Bedarf an Glückshormonen und menschlicher Gesellschaft bei jedem Menschen mindestens einmal in der Woche durch Singen im Chor gestillt werden.“ Und Christoph Nielbock, Leiter der Wiesbadener Musikakademie, die einmal pro Jahr die Veranstaltung „Wiesbaden singt“ organisiert, meint: „Gleichklang lässt uns Glück empfinden. Warum das so ist, hat mittlerweile die Hirnforschung geklärt. Beim gemeinsamen Singen wird die Produktion von Stress- und Aggressionshormonen reduziert. Gleichzeitig werden die Hirnzentren aktiviert, die für Glücksgefühle zuständig sind. Damit sorgt Singen für gute Laune!“ Musikmedizinerin Dr. Brigitte Reichert aus Bad Schwalbach unterstützt dies noch einmal mit physiologischen Erkenntnissen: „Singen ist durch die direkte Klangerzeugung mit dem Atem und der Stimme mit dem eigenen Körper die direkteste Art, Musik zu machen. Allein durch die Formung des Atems gibt es Entspannung, wie es durch positive Konzentration auf die musikalischen und sprachlichen Inhalte und Körperbeherrschung ganzheitlicher gar nicht geht. Durch die Verbindung mit der Sprache und dem darin enthaltenen Rhythmus werden sehr tief liegende Hirnregionen angesprochen: Diese entwicklungsgeschichtlich „alten” Hirnregionen sind teilweise auch für die Empfindung von Glück zuständig.“

Gesundheitsvorsorge nach Noten

Das alles könnte doch durchaus ein Grund sein, sich einen Chor in der Umgebung zu suchen – ob Kirchenchor, Gesangverein, Gospelchor oder auch „nur“ Einzelevents wie das „Rudelsingen“: Gesundheitsvorsorge nach Noten. Und nicht einmal das Alter ist ein Argument: Gerade hat sich in Wiesbaden eine spezielle „Seniorenkantorei“ für Menschen über 70 gegründet. An der Ringkirche leitet Kantor Hans Kielblock sie, speziell angepasst an die Bedürfnisse älterer Menschen: Die Proben finden vormittags statt – und das Repertoire umfasst Stücke, deren Tonumfang nicht mehr in die allerhöchsten Höhen geht.