Auf der Bühne ein Zocker – Fastnachter Christian Schier aus Mainz
In der Mainzer Fastnacht bildet Christian Schier ein kongeniales Kokolores-Paar mit Martin Heininger. Um Humor dreht sich auch Schiers Beruf - er ist Redakteur der ZDF-Kabarettsendung "Die Anstalt". Ein Gespräch über echte Kracher, miese Auftritte und deutsche Spießer.
Von Marwin Plän
Online-Redakteur
Der gebürtige Mainzer Christian Schier (40) ist seit der Kampagne 1998/99 in der Fastnacht aktiv. Foto: Harald Kaster
( Foto: Harald Kaster)
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Herr Schier, wollten Sie schon als Kind später mal „irgendwas mit Spaß“ machen?
In der Grundschule war ich gar nicht witzig. Im Gegenteil: Ich war ein eher kräftiges Kind und entsprechend schüchtern und zurückhaltend. Erst als ich auf das Gymnasium kam, habe ich einen Weg für mich gesucht, mich zu behaupten. Und mein Weg war der Humor, der Klassenkasper.
War damit der Grundstein für Ihren späteren Werdegang gelegt?
Das hat sich ganz langsam entwickelt. In der achten Klasse suchte unser Musiklehrer männliche Stimmen für den Schulchor. Ich hatte mit Singen aber gar nichts am Hut. Erst als der Chor eine Freizeit in Amerika plante, wusste ich: „Da will ich mit.“ So kam ich zum Singen. Später folgten Sologesänge und die ersten Moderationen mit „Heini“ [Martin Heininger, d. Red.], den ich im Chor kennengelernt hatte. Dabei wurde die Prinzengarde auf uns aufmerksam. Plötzlich standen wir mit einer fünfköpfigen Gesangsgruppe in der Rheingoldhalle auf der Bühne vor 2000 Zuschauern. Das ging dann von Null auf Hundert. Über unsere Auftritte bei der Fastnacht kam ich zur Mainzer Kabarettnacht auf der Ballplatzbühne bei der Johannisnacht. Dort bin ich die „Vorgruppe“ von bekannteren Künstlern, lustigerweise war ich das auch einmal von Max Uthoff.
Zu einem Zeitpunkt, als Sie sich schon kannten?
Ja. Wir kannten uns über „Neues aus der Anstalt“, da er dort häufiger zu Gast war. Aber der Auftritt war tatsächlich just ein gutes halbes Jahr vor der Premiere mit Claus von Wagner und ihm in „Die Anstalt“. Wir hatten da erst ein paar Vorbesprechungen zur neuen Sendung. Und ausgerechnet in dieser Phase musste ich vor ihm auf die Bühne und ausgerechnet da hatte ich zum bis heute einzigen Mal mein komplettes Programm am Vortag umgeschmissen. Ich hatte tierisch Schiss und dachte: „Wenn ich das versaue, fragt der sich doch: ‚Was ist das denn für ein Vogel?‘“.
ZUR PERSON
Der gebürtige Mainzer Christian Schier (40) ist seit der Kampagne 1998/99 in der Fastnacht aktiv – zunächst in der Mainzer Prinzengarde, seit 2001 beim Gonsenheimer Carneval-Verein „Schnorreswackler“ (GCV). Im Kokolores-Duo mit Martin Heininger ist er seit Jahren Dauergast in der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“.
Seit 2009 arbeitet Christian Schier beim ZDF, zunächst für die „Heute-Show“, seit 2011 ist er Redakteur bei der Kabarettsendung „Die Anstalt“. Zu seinen Aufgaben zählen dabei u.a. die Sichtung potenzieller Gäste und das Gegenlesen der Beiträge.
Mit einem nahezu ungelernten Programm auf die Bühne – sind Sie ein Zocker?
Ich hatte ja keine Wahl. Aber alles lief gut, zum Glück. Als ich von der Bühne kam, sagte Max: „Du bist schon eine Rampensau.“
Kennt denn auch eine Rampensau Lampenfieber?
Ja, definitiv, vor jedem Auftritt. Mal mehr und mal weniger. Beim ersten Auftritt mit einer neuen Nummer ist man schon ein wenig aufgeregter, als beim zehnten Auftritt mit einer Nummer, die schon gut läuft. Aber jedes Publikum ist anders und so kann man sich seiner Sache nie sicher sein.
Erleben Sie gelegentlich richtig miese Auftritte?
Bis heute gibt es in jeder Kampagne mindestens einen Auftritt von Heini und mir, der total in die Hose geht. Der läuft zwar normal durch, aber du merkst, dass das Publikum überhaupt nichts damit anfangen kann, was wir da machen. Es ist vielleicht ganz gut, ab und zu auf die Fresse zu fliegen, um geerdet zu bleiben. Ein gutes Beispiel ist der Vortrag von 2005. Die Kampagne lief riesig und wir kamen zum ersten Mal zu „Mainz bleibt Mainz“. Aber nach zwei Minuten hat uns dort einfach keiner mehr zugehört. Es war total unruhig im Publikum. Wir waren die einzige Nummer am ganzen Abend, bei der die Leute nicht aufgestanden sind. Wenn Du dann auch noch den Spruch hörst: „Aber am Schirm kam‘s gut an“, weißt Du: Das war gar nix. Und dann waren wir ja auch für vier Jahre erstmal wieder raus bei „Mainz bleibt Mainz“.
Aus der Bahn geworfen hat Sie das nicht. Inzwischen gehören Heininger und Schier quasi zum Inventar der Fernsehfastnacht. Was macht einen Gag zum Kracher?
Man darf nicht erwartbar sein. Die Gags müssen überraschend kommen und richtig „batsch“ machen. Deswegen hat man auch immer ein mulmiges Gefühl, wenn man in der Fernsehsitzung auf der Bühne steht und das Gefühl hat, die Hälfte des Publikums hat die Nummer schon gesehen. Man lacht nie wieder so, wie man beim ersten Mal gelacht hat.
Nicht erwartbar – ein gutes Stichwort für Ihre Nummer in der laufenden Kampagne.
Wir kommen auf die Bühne und sagen: „Wir haben nix“ und suchen dann nach Themen. Das wollte ich schon immer mal machen. Wir haben in unseren Vorträgen bislang ja oft die Fastnacht erklärt und aus dieser Struktur brechen wir diesmal ein bisschen aus.
Bei Ihren Auftritten mimt Martin Heininger den Seriösen, der der Nummer eine Struktur gibt, Sie den anarchischen Chaoten, der mit seinen Gags und Tanzeinlagen querschießt. Spiegelt sich diese Rollenverteilung auch abseits der Bühne wider?
Das kann man schon so sagen. Er ist eher für organisatorische Dinge zuständig, ich bin mehr der Kreative. So teilen wir uns die Arbeit auf und daraus entstand auch die Rollenverteilung auf der Bühne. Wir haben gemerkt: Es läuft einfach am besten, wenn Heini der Feine ist und ich den dummen August mache, der durch seine Naivität und Unbedarftheit ein Ding nach dem anderen raushaut. Eine relativ klassische Struktur, die aber funktioniert.
Kokolores, tanzen, singen – Ihre Nummern beinhalten Elemente von fast allem, was die Mainzer Saalfastnacht ausmacht. Nur das Politische bleibt außen vor. Reizt Sie das nicht?
Die politische Rednerdecke in Mainz wird zwar immer dünner, weil manche aufhören und andere schon aufgehört haben. Aber das ist mir derzeit gefühlt einfach zu nahe an meinem Beruf. Davon abgesehen: Das, was wir jetzt auf der Bühne machen, dieses Sprüche-Raushauen, diese schrägen Wortspiele, ist mein Bühnenhumor. Das bin ich.
Und wie ist das umgekehrt? Für Ihre eigenen Auftritte schreiben Sie die Texte und Gags, für „Die Anstalt“ nicht.
Genau, das machen unser Autor sowie die Künstler selbst. Das ist ja auch schon ein anderes Level als das, was ich mache. Es ist deswegen eher so, dass ich, was die Autorentätigkeit angeht, davon viel mitnehmen kann.
Im Fernsehen gibt es immer wieder neue Comedyformate – oft zur besten Sendezeit. Die Zahl der politischen Kabarettsendungen ist dagegen überschaubar. Weil es die Deutschen seicht mögen?
Prinzipiell kann man sagen, dass Comedy das klare Ziel hat zu unterhalten und die Leute zum Lachen zu bringen und deshalb wahrscheinlich auch etwas „einfacher zu genießen ist“. Kabarett und Satire wollen ebenfalls unterhalten, zusätzlich aber auch auf aktuelle Missstände in Gesellschaft und Politik durch humoristische Übertreibungen hinweisen. Das ist in Zeiten wachsender Politikverdrossenheit dann vermeintlich schon nicht mehr für jeden was, obwohl eigentlich gerade auch politikverdrossene Menschen wachgerüttelt werden sollen.
Gibt es den deutschen Humor überhaupt?
Ich glaube, im Ausland würde man deutschen Humor anders beschreiben als hier – sofern man dort überhaupt davon ausgeht, dass wir Deutschen Humor haben. Aus innerdeutscher Sicht ist er gefühlt sehr oft mit regionalen Klischees gekoppelt. Aber wenn man sich zum Beispiel Loriot anschaut, dann könnte man das schon als „gesamtdeutschen“ Humor bezeichnen. Das Klischee des Spießers ist deutschland- und vielleicht sogar weltweit bekannt.
Außerdem sind Sie bei der Anstalt auch für die Beantwortung der Zuschauerpost zuständig. Vergeht Ihnen dabei das Lachen?
Wenn man Satire macht, bleibt es nicht aus, dass sich jemand auf die Füße getreten fühlt. Das hält sich aber im Rahmen. Unser Vorteil ist, dass wir den Faktencheck haben, den man auch online einsehen kann. In dem wird alles, was in der Sendung gesagt wird, mit Quellen belegt wird.
Darf Satire alles?
Wenn in der Fassenacht nix mehr geht, kommen Gags über Finthe und Wiesbade ... beim Thema Satire wird Tucholsky zitiert.
Was würde der ZDF-Redakteur Christian Schier sagen, wenn er den Fastnachter Christian Schier fürs Fernsehen sichten würde?
Nee! Es gibt so viele Gute für „Die Anstalt“ da draußen. Der Schier ist da wo er ist – in der Fastnacht und bei der Johannisnacht – gut aufgehoben.
Geht denn der Fastnachter Christian Schier mal auf Tour?
Ich wurde vor einigen Jahren mal gefragt, ob ich mir vorstellen könnte ein längeres Programm zu schreiben und in der Region auf Tour zu gehen. Material dafür gäbe es mittlerweile genug. Aber ich bin mit meinem Beruf und meinen gelegentlichen Auftritten derzeit sehr zufrieden – wieso sollte ich mir dann noch die freien Restwochenenden um die Ohren hauen? Die sind mir heilig. Aber wer weiß was die Zukunft bringt? Man soll ja bekanntlich niemals nie sagen.