Steigende Temperaturen: Nicht nur die Landwirtschaft muss sich auf Extremwetterlagen einstellen
Die anhaltende Hitze in diesem Sommer wird wohl nicht zur Ausnahme, in den nächsten Jahren soll es noch heißer werden. Nicht nur die Landwirtschaft muss sich auf steigende Durchschnittstemperaturen und häufige Extremwetterlagen einstellen. Dass dies zumindest teilweise auf den Klimawandel zurückzuführen ist, hält der Mainzer Klimaforscher Prof. Jos Lelieveld für "höchstwahrscheinlich".
MAINZ/BINGEN - „36 Grad und es wird noch heißer...“ der Sommerhit des Jahres 2007 der Berliner Popband 2raumwohnung klingt in diesen Tagen wie Hohn. Ganz Deutschland stöhnt unter der Hitze, die Temperaturen haben sich oberhalb von 30 Grad eingependelt, das Wetter gönnt uns kaum noch Verschnaufpausen. Laut dem Deutschen Wetterdienst in Offenbach geht der Juli mit einer bundesweiten Durchschnittstemperatur von rund 20,2 Grad Celsius (Hessen: 20,9; Rheinland-Pfalz: 21,0 Grad) als fünftwärmster Juli seit Beginn der Messungen zu Ende. Nur 2010, 2006, 1994 und 1983 war es noch heißer. Der August verspricht vorerst kaum Abkühlung. Für Anfang nächster Woche, wenn in Hessen und Rheinland-Pfalz die Schule wieder los geht, steht laut Vorhersagen im Rhein-Main-Gebiet immerhin ein kleiner Temperatursturz zu erwarten, die Spitzentemperaturen liegen dann „nur“ noch bei 33 Grad.
Überfüllte Schwimmbäder und Strände, ausverkaufte Ventilatoren, lange Schlangen vor Eisdielen – mit solchen Begleiterscheinungen kann man sich ja irgendwie noch arrangieren. Doch die Hitze hat viel gravierende Auswirkungen: Sie sorgt für erhöhte Waldbrandgefahr, lässt viele ältere und kranke Menschen leiden – und verursacht enorme Ernteausfälle. Am Dienstag trafen sich Vertreter von Bund und Ländern in Berlin zu einer ersten Bestandsaufnahme der Dürreschäden in der Landwirtschaft; heute will Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) die Kollegen im Bundeskabinett ins Bild setzen. Im Raum steht die Forderung des Deutschen Bauernverbandes nach einer Entschädigungszahlung des Bundes in Höhe von einer Milliarde Euro.
Getreide, Raps und Milchwirtschaft stark betroffen
Jan Petersen, Professor für Acker- und Pflanzenbau an der Technischen Hochschule Bingen, hält eine solche Entschädigung für plausibel, aber nur in Bezug auf die Krisengebiete im Norden und Osten der Republik. In Rheinland-Pfalz und im südlichen Hessen sehe es im Großen und Ganzen noch vergleichsweise gut aus, allerdings könnten auch hier einzelne Landwirte durchaus in ernste Probleme geraten. Stark betroffen seien insbesondere Getreide, Raps und Milchwirtschaft: Auf den vertrockneten Wiesen fänden die Kühe kaum noch Futter. Irreparable Schäden für die Pflanzenwelt stehen laut Petersen so schnell nicht zu befürchten, erst bei einer mehrere Jahre anhaltenden Dürre könne das der Fall sein. „Irgendwann wird es schon wieder regnen.“ Dass in Folge der hitzebedingt dünnen Ernten auf breiter Front die Verbraucherpreise steigen werden, glaubt Petersen auch nicht: „In Einzelfällen vielleicht. Aber das meiste ist ausreichend da. Im Obst- und Gemüseanbau wird beregnet.“ Außerdem sei der Rohstoffanteil in vielen Endprodukten inzwischen so minimal, dass Preissteigerungen durch die Lebensmittelhersteller aus seiner Sicht kaum zu rechtfertigen wären.
Langfristig sieht Petersen aufgrund der schwierigen klimatischen Bedingungen allerdings ernste Probleme auf die Landwirtschaft zukommen. Viele Bauern hätten es schwer, sich auf die immer häufigeren Wechsel zwischen feuchten und trockenen Phasen einzustellen. Prinzipiell sei es zwar sinnvoll, sich beim Anbau möglichst breit aufzustellen, doch das sei leicht dahin gesagt. Schließlich müsse sich das eigene Angebot auch am Absatzmarkt orientieren. Außerdem sei es kaum möglich, sich das nötige zusätzliche Fachwissen mal so eben draufzuschaffen.
„De facto gibt es keinen Klimaschutz“
Nicht nur die Landwirte müssen einer unbequemen Wahrheit ins Auge sehen: In den kommenden Jahren wird es sogar noch heißer. „Mit Sicherheit“, bekräftigt Prof. Jos Lelieveld, Direktor am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie und dort als Nachfolger des Nobelpreisträgers Paul J. Crutzen Leiter der Abteilung Atmosphärenchemie. Schließlich sei trotz aller Mahnungen der Wissenschaft nach wie vor nichts unternommen worden, um die Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre wirksam zu verringern. Dass die anhaltende Hitzeperiode in Europa „zumindest teilweise“ auf den Klimawandel zurückzuführen ist, hält Lelieveld für „höchstwahrscheinlich“.
Mit dieser Einschätzung steht der Mainzer Klimaforscher nicht allein. „Eine so lang andauernde Hitzeperiode in den hohen Breiten bis hinauf zum Polarkreis lässt sich nicht mehr mit normaler Klimavariabilität erklären“, sagte der renommierte Kieler Meteorologe Prof. Mojib Latif im Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“. Der Einfluss des Menschen auf das Klima nehme kontinuierlich zu, der Ausstoß von Treibhausgasen steige immer weiter. „De facto gibt es keinen Klimaschutz“, stellte Latif fest, „weder weltweit noch in Deutschland“.
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