"Bei Anruf Musik" versprachen die Mitglieder des Staatsorchesters Darmstadt - und über 70 Zuhörer nutzten die Gelegenheit für ein privates Ständchen am Telefon.
. Den April 2020 wird man vielleicht in Erinnerung behalten als Zeit, in der die Menschen begannen, seltsame Dinge zu tun. Zum Beispiel während eines Telefonats den Hörer beiseitezulegen und Musik zu machen, um dem Gesprächspartner eine Freude zu bereiten. Und ein wenig auch sich selbst, denn in der Corona-Einsamkeit zählt auch die Verbundenheit in der Ferne. So funktioniert "Bei Anruf Musik", eine am Staatstheater Darmstadt erfundene Aktion, an der sich am Wochenende viele hessische Orchester mit ihren Musikern beteiligt haben. Jeweils mehr als 70 Telefon-Verabredungen kamen am Wochenende an den Staatstheatern in Darmstadt und Wiesbaden zustande, Wiesbaden denkt schon an eine Fortsetzung der Aktion.
Musiker rufen Publikum an
Die Musiker rufen ihr Publikum an und bringen live ein Ständchen. Und sie haben eine tolle musikalische Auswahl bereitet - Juliane Baucke zum Beispiel improvisiert auf dem Alphorn, "ich hatte einen herrlichen Nachmittag mit sehr dankbaren und glücklichen Menschen", erzählt sie hinterher, "ein Vergnügen!" Bassist Balasz Orban streicht "Over the rainbow", Michael Veit, immer für Raritäten gut, hat Stücke aus einer Solosuite von Ernest Bloch vorbereitet.
Auch Eberhard Stockinger ist dabei, im Staatsorchester Darmstadt nicht ein Tubist, sondern der Tubist. Denn es gibt nur einen, der die Tuba bläst, erzählt er im Video-Tagebuch des Theaters und bedauert Beethoven, der dieses schöne Instrument noch nicht zur Verfügung hatte. Für die Telefonaktion hat Stockinger es auch nicht ausgepackt, das für solche Anlässe geeignete Repertoire für Solo-Tuba ist ja auch sehr begrenzt. Macht aber nichts, denn Stockinger hat eine musikalische Familie, und die singt Kanons, vierstimmig, sauber, einen nach dem anderen, "Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang" oder "Dona nobis pacem", "Viva la musica" und zum Schluss "Abendstille überall": Es klingt, als hätten die Stockingers Freude an der Aktion, die ja die Verbundenheit dokumentieren soll zwischen den Musikern des Orchesters und ihrem sehr treuen Publikum, von dem sie gegenwärtig abgeschnitten sind.
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Eine traurige Erfahrung, sagt Markus Wagemann, bevor er den Hörer beiseitelegt und zur Posaune greift, um das Bonhoeffer-Lied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" zu spielen. Schon früh hatte er sich dafür entschieden, mit anderen und für andere Musik zu machen. Man spürt im Gespräch: Hier geht es nicht um eine Berufspause, sondern um eine unterbrochene Lebensform. "Das ist ja auch für uns unbefriedigend", sagt Wagemann, und es klingt wie eine Untertreibung. Gerade jetzt, wo es mit dem neuen Generalmusikdirektor Daniel Cohen so gut läuft, musikalisch und auch von der Stimmung her. Seit 2006 ist Wagemann am Theater, just an diesem Tag hätte er bei der "Lohengrin"-Premiere im Orchestergraben gesessen und damit die Reihe der großen Wagner-Opern in Darmstadt komplett gemacht nach Holländer, Parsifal, Tristan, dem Ring, den Meistersingern und Tannhäuser. Ein winziges Stückchen von dieser Premiere bietet er am Telefon, die Posaunenstimme aus der Gralserzählung. Und wenn die Premiere irgendwann kommt, wird man an dieser Stelle besonders auf Wagemanns Posaune hören.
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