Russische Kriegsgegnerin nach TV-Protest verurteilt
Zur besten Sendezeit protestierte Marina Owssjannikowa am Montagabend im russischen Staatsfernsehen gegen den Ukraine-Krieg. Dafür wurde sie am Dienstag in Moskau verurteilt.
Von Sascha Kircher
Redakteur Politik
Der Screenshot aus der abendlichen Hauptnachrichtensendung des russischen Staatsfernsehen zeigt die Protestaktion von Marina Owssjannikowa. Während der Live-Übertragung sprang Owssjannikowa plötzlich hinter der Nachrichtensprecherin ins Bild und hielt ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen" hoch. Dazu rief sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg, Nein zum Krieg, Nein zum Krieg!"
(Screenshot: dpa)
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MOSKAU - Spektakulärer Protest zur besten Sendezeit: Mitten in der Hauptnachrichtensendung „Wremja“, so etwas wie der „Tagesschau“ des russischen Staatsfernsehens „Kanal Eins“, läuft am Montagabend eine Frau mit einem Plakat ins Bild, während im Vordergrund Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa über Sanktionen des Westens spricht. Die Botschaft Marina Owssjannikowas, einer Redakteurin des Senders, ist teils auf russisch, teils auf englisch verfasst: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Sie lügen euch an. Russen gegen den Krieg.“ Dazu ruft die 44-Jährige mehrmals „Nein zum Krieg“, dann bricht die Live-Sendung ab, der Sender zeigt Bilder eines Krankenhauses.
Fernseh-Redakteurin verschwindet nach Aktion
Die sechs Sekunden haben die Journalistin weltweit berühmt gemacht, in sozialen Medien wird ihre Aktion gefeiert, die sie dort zuvor angekündigt hatte. Im Anschluss kam Owssjannikowa in Polizeigewahrsam, dann fehlte von ihr stundenlang jede Spur. Am Nachmittag meldete das Bürgerrechtsportal OWD-Info, sie sei in Moskau zu 30.000 Rubel (226 Euro) Geldstrafe verurteilt worden. Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow hatte zuvor ein Foto der Redakteurin mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude veröffentlicht. Zunächst war befürchtet worden, Owssjannikowa könnte nach einem neuen Gesetz wegen Diffamierung der russischen Armee verurteilt werden. Dabei drohen bis zu 15 Jahre Haft.
Immer wieder wird in Russland gegen Putins Krieg protestiert, der dort nicht einmal so genannt werden darf. In einem offenen Brief kritisierten kürzlich 7000 russische Wissenschaftler den Angriff als unfair und sinnlos kritisiert. Auch 6500 russische Architekten, Designer und Stadtplaner wandten sich in einem offenen Brief gegen die Invasion. Zahlreiche Künstler im Land boykottieren mittlerweile den Kulturbetrieb. „Ich werde für den verbrecherischen Putin-Staat nicht arbeiten“, schrieb die langjährige Theaterleiterin des Moskauer Meyerhold-Zentrums, Jelena Kowalskaja, ihren Abonnenten.
Mordanschläge auf Regimekritiker
In Putins Herrschaftszeit gab es zahlreiche Anschläge auf Regimekritiker und andere Widersacher – eine Übersicht:
- Journalist und Oppositionspolitiker Juri Schtschekotschichin: nach Giftanschlag im Jahr 2003 verstorben
- Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Anna Politkowskaja: überlebte Giftanschlag 2004, im Jahr 2006 erschossen
. Der ehemalige Präsident der Ukraine, Wiktor Juschtschenko: überlebte Giftanschlag im Jahr 2004
- Ex-Agent und Putin-Kritiker Alexander Litwinenko: nach Giftanschlag im Jahr 2006 verstorben
. Oppositionspolitiker Boris Nemzow: im Jahr 2015 – erschossen
- Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa: überlbte Giftanschläge in den Jahren 2015, und 2017
- Ex-Agent Sergei Skripal und seine Tochter Juljia: überlebten Giftanschlag im Jahr 2018 in Salisbury (England)
- Ehemaliger Tschetschenien-Kämpfer Selimchan Changoschwili: im Jahr 2019 in Berlin erschossen
- Oppositionspolitiker und Blogger Alexej Nawalny: überlebte Giftanschlag im Jahr 2020
Alles Aktuelle rund um den Krieg in der Ukraine lesen Sie in unserem Live-Blog.
Demonstranten und andere, die ihren Protest öffentlich äußern, riskieren viel. Für Putin sind sie „Vaterlandsverräter“ – und „Verrat muss bestraft werden. Das ist das widerlichste Verbrechen, das man sich vorstellen kann“, sagte der Präsident einst mit Blick auf die Vergiftung Sergej Skripals (siehe Infokasten).
Als „Rowdytum“ verurteilte der Kreml die Protestaktion der TV-Redakteurin. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte der Agentur Interfax zufolge, die Senderleitung müsse die Angelegenheit regeln, dies sei nicht Aufgabe des Kreml. Nicht einmal die Staatsmedien kamen umhin zu berichten. Die Vorwürfe der Journalistin sind hart: In einem vor dem Auftritt aufgenommenen Video sagt Owssjannikowa, sie schäme sich dafür, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. Und: „Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen.“ Ihre Landsleute rief sie dazu auf, gegen den Krieg zu protestieren. „Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden.“ Die Behörden könnten nicht alle einsperren.
Das Lager des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny kündigte an, die TV-Redakteurin zu unterstützen. In dem neuen umstrittenen Prozess gegen den inhaftierten Kremlgegner hat die Staatsanwaltschaft 13 Jahre Gefängnis beantragt. Staatsanwältin Nadeschda Tichonowa forderte in dem als politische Inszenierung kritisierten Verfahren wegen angeblichen Betrugs am Dienstag auch die Verhängung einer Geldstrafe von 1,2 Millionen Rubel (9000 Euro). Verantworten muss sich Nawalny diesmal wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern für seine inzwischen verbotene Anti-Korruptionsstiftung und Beleidigung einer Richterin.
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Der Wortlaut des im Netz verbreiteten Videos in einer dpa-Übersetzung:
"Das, was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen. Und Russland ist der Aggressor. Und die Verantwortung für diese Aggression liegt nur auf dem Gewissen eines Menschen - und dieser Mensch ist Wladimir Putin.
Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin - und sie waren nie Feinde. Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss und unsere Brudervölker sich noch versöhnen können.
In den vergangenen Jahren habe ich leider beim Ersten Kanal gearbeitet und mich mit Kreml-Propaganda beschäftigt. Ich schäme mich jetzt sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.
Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles anfing. Wir sind nicht für Demonstrationen rausgekommen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach nur stillschweigend beobachtet. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und noch zehn Generationen unserer Nachfahren werden sich von der Schande dieses Brudermord-Krieges nicht reinwaschen können.
Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren."
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 15.03.2022 um 12:22 Uhr publiziert.