Rehberg: Handelfmeter bitte nur bei klarer Absicht!
Eigentlich wollte unser Blogger Reinhard Rehberg nicht mehr über Handspiele und Videoassistenten schreiben. Eigentlich. Die Europapokal-Woche gab aber wieder Anlass, an den Entscheidungen zu zweifeln. Deshalb: Bitte umdenken!
Schalkes Daniel Caligiuri fordert von Schiedsrichter Carlos Del Cerro, auf Handelfmeter zu entscheiden.
(Foto: dpa)
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Schluss damit. Keine Zeile mehr über Handelfmeter und Videoassistenten. Das hatte ich mir vor Wochen geschworen. Es ist nicht durchzuhalten. Absehbar ist: Bis zum Ende der Saison werde ich eine hohe Rückfallquote haben. Weil man zu oft den Kopf schüttelt.
Worüber? Über unsichere und verunsicherte Schiedsrichter, über den Videoassistenten-Geheimbund im Kölner Keller, über die in Übertragungswagen untergebrachten Kontrolletti-Kollegen in der Champions-League, über wild interpretierende TV-Reporter, über den beruflich selbstständigen, sich häufig selbst widersprechenden Sky-Regelausleger Markus Merk, über ebenso unnötige wie unfruchtbare Regelauslegungs-Debatten – und nicht zuletzt über Fußballprofis, die es mit ihren schauspielerischen Talenten auf dem Platz allen Beteiligten überhaupt nicht leicht machen.
Champions League am Dienstagabend. Schalke 04 gegen Manchester City. Ein Mörderschuss von Caligiuri prallt an den Arm von City-Stopper Otamendi. Der TV-Reporter hat nicht den geringsten Zweifel: Der Ball ist am Arm, klarer Elfmeter. Wie bitte? In der Regel steht: Elfmeter ist es dann, wenn Absicht unterstellt werden muss. Otamendi stand in normaler Abwehrhaltung im Strafraum, als die Kugel in rasender Geschwindigkeit auf ihn zuflog, da versuchte der Innenverteidiger verzweifelt, den Arm noch schwungvoll wegzuziehen. Der TV-Reporter: „Zu spät, Pech gehabt.“ Der unsichere Schiedsrichter, der sich die Szene auf dem in diesem Moment defekten Monitor nicht anschauen kann, übernimmt nach Rücksprache die Meinung des Videoteams: Handelfmeter – und Gelbe Karte für Otamendi.
Kurz darauf bekommt S04 einen Foulelfmeter gepfiffen. Nach einem Freistoß. An der Strafraumgrenze spürt der einlaufende 90-Kilo-Hüne Salif Sané (in ganz knapper Abseitsstellung) eine aufgelegte Hand an der Hüfte, ein spektakulärer Sturz in den Strafraum hinein. Strafstoß. Der TV-Reporter: „Völlig berechtigt.“ Nach dieser Ansicht müsste es künftig bei jeder Standardsituation einen Elfmeter geben, denn bei jeder Standardsituation wird gehalten, geklammert, gerissen, gefallen. In diesem Fall war die Hand am Hosenrand zart aufgelegt. Überhaupt keine Behinderung.
Später ein Platzverweis. Ein Beinsteller des - aus der Handelfmeterszene mit Gelb vorbelasteten - Otamendi an der Seitenauslinie gegen Mark Uth. Nicht hart genug für Gelb-Rot. Taktisches Foul? Muss man nicht so entscheiden, kann man so entscheiden. Aber was Uth aus der Szene machte, das hat den Schiri sicher beeinflusst. Der S04-Stürmer krümmte sich am Boden, als hätte ihm einer mit der Eisenstange die Beine weggehauen.
Damit hier kein falscher Zungenschlag reinkommt: Der krasse Außenseiter Schalke 04 muss gegen den haushohen Favoriten von der Insel selbstverständlich versuchen, bis an die Grenzen des Erlaubten jeden kleinsten Vorteil zu erhaschen. Aber wären ähnliche Schiri-Entscheidungen zu Gunsten von ManCity gepfiffen worden, die Schalker hätten sich verdammt ungerecht behandelt gefühlt, sie hätten sich fürchterlich aufgeregt.
Atletico Madrid gegen Juventus Turin. Der vermeintliche Führungstreffer für Atletico wurde nach Videostudium zurückgepfiffen. Morata hatte vor seinem Kopfball Chiellini mit ausgestrecktem Arm am Rücken berührt. Der Juve-Stopper hatte aber auch gemerkt, dass er im Luftkampf nicht mehr hinkommen würde, also hob der Routinier nach vorne ab, als habe ihn eine Abrissbirne im Kreuz getroffen. Dennoch: Torrücknahme wegen der leichten Schubserei, das kann man so entscheiden.
Dann das 1:0 für Madrid: Vor dem Abstauber von Gimenez hatte ein Kollege dem zum Ball orientierten Chiellini deutlich sichtbar die komplette Handfläche ins Gesicht gedrückt. Das Tor wurde als gültig bewertet. Zweierlei Maß. Der TV-Reporter: „Das geht in Ordnung.“
Ein einziger Abend mit quälend langen Überprüfungsunterbrechungen, endlosen Diskussionen auf dem Feld, Rudelbildungen, mit überforderten Schiedsrichtern und merkwürdigem Regelverständnis. Und in der Bundesliga sitzt dann noch der Argumentationskünstler Markus Merk im Studio, der sich die Dinge hinbiegt, wie er es gerade braucht und wie es zur Unterhaltung der TV-Zuschauer gerade passt.
Was wäre wünschenswert? Lasst uns wieder mehr auf den Sport schauen. Handelfmeter nur dann, wenn die Absicht deutlich erkennbar oder zumindest sehr wahrscheinlich ist. Einmischung der Videoassistenten nur bei den (wenigen) glasklaren Schiri-Fehlentscheidungen in den definierten Bereichen. 50:50-Situationen mit hohem Interpretationspotenzial taugen nicht für die Videokontrolle. Mit wenigen unvermeidbaren Ungerechtigkeiten können wir gut leben im Sport.