Rehberg: Gescheitertes Versuchsprojekt mit Hjulmand
Mainz 05 hat auf seinen Abwärtstrend reagiert und sich von Trainer Kasper Hjulmand getrennt. Nur ein Sieg aus 13 Spielen war zu wenig. Unser Experte Reinhard Rehberg erklärt das Missverständnis mit Hjulmand: "Zweifel, dass Mainz 05 stabil Erfolg haben kann ohne Pressing, ohne aktive Balleroberung, ohne Umschaltwucht, kamen früh auf. Und nun Abstiegskampf - mit einem Entwicklungsfußball? Schwierig. Nennen wir es ein gescheitertes Versuchsprojekt."
Kasper Hjulmand (r.) und Sami Allagui beim Trainingsauftakt Anfang Januar. Foto: dpa
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
Der FSV Mainz 05 geht mit diesen Entscheidungen nicht leichtfertig um. Zwei Trainerentlassungen in den vergangenen 15 Jahren, das schaffen andere Klubs lässig binnen einer Halbsaison. Die Beurlaubung von Kasper Hjulmand ist ähnlich unpopulär wie jene 2009 bei der Entlassung des Aufstiegstrainers Jörn Andersen nur vier Tage vor dem Saisonstart. Kasper Hjulmands Ende kommt nach gerade mal acht Monaten, die Mannschaft steht nicht auf einem Abstiegsplatz, die Mannschaft spielt niemals grottenschlecht, in Teilbereichen sogar sehr ordentlich und das Verhältnis des Fußballlehrers zu seinen Spielern ist nicht zerrüttet.
Grundsätzliches hat nicht gestimmt
Wenn ein erfahrener und seit vielen Jahren geduldig auf Entwicklung setzender Manager wie Christian Heidel dennoch schon nach dem 21. Spieltag die Rote Karte zieht, dann zeigt das, dass an diesem Projekt und in dieser Zusammenarbeit Grundsätzliches nicht gestimmt hat. Zumal der Manager mit diesem Schritt eingestehen muss, dass die von ihm alleine zu verantwortende Verpflichtung des Dänen eine (teure) Fehleinschätzung war.
Festzuhalten ist: Heidel hat mit Kasper Hjulmand zweifellos einen exzellenten Fachmann ausgegraben. Taktisch, spielstrategisch und in seinen Vorstellungen von einem passintensiven Fußball mit sich je nach Situation selbst organisierenden Positionen gehört der Däne in die Reihe der aufstrebenden Konzepttrainer (ein Begriff, der oft dahingehend falsch verstanden wird, dass damit die Unterstellung einher gehe, andere Trainer würden ohne Konzept arbeiten). Das Problem: Hjulmand hat es nicht geschafft, mit Ergebnissen zu belegen, dass mit seinem anspruchsvollem Konzept ein Mittelklasseklub in der Bundesliga bestehen kann.
Es ist nicht selten laut geworden
Versuche Heidels, den von Pep Guardiola inspirierten Messdatenfanatiker darauf einzuschwören, er möge doch bitte die am Bruchweg seit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel tief verwurzelten (und erfolgreichen) Grundsätze von Kampf, Pressing, Dynamik und Umschalttempo zumindest integrieren in seinen Ansatz - und bei diesen Diskussionen muss es nicht selten sehr laut geworden sein im Managerbüro -, sind gescheitert. Der dänische Sturkopf bestand darauf: Wer Kasper Hjulmand verpflichtet, der bekommt diese Art von Fußball, und wer diese Art von Fußball nicht will, der muss sich einen anderen Trainer suchen. Ein kompromissloses Basta.
Schon an seinem Vorstellungstag im Frühsommer sprach Hjulmand davon, er wolle die Spielweise von Mainz 05 weiterentwickeln. Kotrainer Keld Bordinggaard vermeldete in der Sommer-Vorbereitung, wer die nötige Entwicklung hin zum passintensiven Fußball verschlafe, der lande schon bald auf dem Fußballfriedhof. Zugegeben, schon das war irritierend. Die Dänen-Crew hatte gerade in der Liga des Weltmeisters einen Klub übernommen, der mit Rang sieben die Europaliga-Qualifikation geschafft hatte - mit einem (im Umgang auch nicht eben einfachen) Trainer, dem bis heute große Klubs die Tür einrennen. Die unbedingte Notwendigkeit einer exzessiven Weiterentwicklung war an diesem Standort nicht unbedingt erkennbar. Im Gegenteil. Das Niveau der vergangenen Jahre zu halten, schon das durfte man als eine echte Herausforderung ansehen.
Ohne Zweikampfdruck, ohne Aggressivität, ohne Tempo
Heute wissen wir, dass Hjulmand ein Baukastensystem für - in der Theorie flexiblen - Ballbesitzfußball am Start hatte. Das fing bei A an und sollte irgendwann bei Z vollendet sein. Das Mainzer Sommer-Trainingslager in England war ein Pass-Trainingslager. 80 Prozent Passübungen: Pass, Ballannahme, Körperstellung bei der Ballverarbeitung, Weiterleitung. Niemals wettkampfnah, durchgehend ohne Zweikampfdruck, ohne Aggressivität, ohne Tempo. Das komme später in seinem Aufbauplan, erklärte der Däne. Rücksicht auf die vorgeschalteten Wettbewerbe in der Europaliga-Quali und im DFB-Pokal nahm Hjulmand innnerhalb seines Baukastensystems überhaupt nicht. Das zweimalige Erstrunden-Aus nach miserablen Abwehrleistungen nahm der Fußballlehrer fast gleichmütig hin. Kann passieren, wir sind noch nicht so weit, die avisierten neuen Stürmer sind noch nicht da, aber das kommt alles noch, wir brauchen Zeit…
Das gibt es durchaus. Ein Trainer verankert ein neues Konzept, das braucht Zeit, man akzeptiert Rückschritte, durchläuft ein Starttief und irgendwann führt die Aufbauarbeit zum Erfolg. Stutzig durfte man werden, als Hjulmand predigte, Dauerpressing sei ihm "zu unruhig", situatives Gegenpressing sei nach seinen Vorstellungen ausreichend. Hjulmand favorisierte in der Defensive eng zugestellte Räume, ein verdichtetes Zentrum; es ging nicht darum, eine aggressive Balljagd zu veranstalten, sondern Pässe des Gegners abzufangen. Der Weg zum gegnerischen Strafraum sollte organisiert werden über ein intensives Passspiel im Aufbau und in den Mittelfeldzonen.
Keine Präsenz im gegnerischen Strafraum
Heute muss man konstatieren: Zwischen den beiden Strafräumen haben die 05er einen konstruktiven, einen durchaus nach vorn entwickelten Fußball gespielt, aber vor und im eigenen Strafraum funktionierte die neue Verteidigungsart nur bedingt - und im gegnerischen Strafraum hatte diese Mannschaft keine Präsenz, Torchancen Mangelware. 70, 80, 90 Minuten auf einem stabilen, konstant ordentlichen Niveau mit zunehmender Erfolgswahrscheinlichkeit? Eher selten. Tempo im Angriffsdrittel? Eher selten. Schnelle Umschaltzüge nach Gegenpressingerfolgen? Eher selten. Gegentore, weil der gegnerische Passgeber nicht unter Druck stand (trotz einer überwiegend guten Raumaufteilung): Häufig. Gegentore nach in der Raumdeckung verteidigten Standards: Häufig.
Tabellenstand? Einen Punkt entfernt von der Abstiegszone - nur vier Siege in 21 Spielen, zuletzt ein Sieg in 13 Spielen. Mit einem Kader, der sicher nicht schwächer einzustufen ist als der des FC Augsburg, als der von Eintracht Frankfurt, als der von Werder Bremen.
Zuweilen wirkte das, als sei Hjulmand von dem Ehrgeiz getrieben, Mainz 05 an die Spitze einer europäischen Fußballerneuerung zu setzen. Wenn der Däne 600 bis 700 Pässe pro Spiel einforderte, dann nannte er in den Gesprächen mit Journalisten als Vorbilder den FC Barcelona, Real Madrid und Bayern München. Mannschaften, die auch ihre schwächeren Ballbesitzspiele gewinnen dank Einzelkönnern von Weltklasse.
Hjulmands Zustell- und Pass-Philosophie ausgesprochen mutig
Mainz 05, das hat sich gezeigt, gewinnt alleine auf der Basis von gepflegtem Passspiel und intelligenter Strategie eher selten ein Bundesligaspiel. Wenn man beobachtet, mit welcher physischen Energie in der Laufbereitschaft, im Zweikampf, im Tempo der FC Augsburg, die Eintracht oder inzwischen auch Werder Bremen ihre Punkte erkämpfen, dann muss man Hjulmands Zustell- und Pass-Philosophie als ausgesprochen mutig bezeichnen.
Zweifel, dass Mainz 05 stabil Erfolg haben kann ohne Pressing, ohne aktive Balleroberung, ohne Umschaltwucht, kamen früh auf. Und nun Abstiegskampf - mit einem Entwicklungsfußball? Schwierig. Nennen wir es ein gescheitertes Versuchsprojekt. Das der Klub, das hat Heidel zu verstehen gegeben, in dieser Art und Weise beim neuen Trainer nicht bestellt hatte.
Mag sein, dass die beiden Fachmänner in den Einstellungsgesprächen im Frühjahr 2014 mit bestimmten der diskutierten Fußballbegriffe nicht identische Inhalte verbunden haben. Dann war es tatsächlich ein klassisches Missverständnis. Das haben beide im Verlauf der Saison relativ zügig gemerkt. Hjulmand war zu stur und zu stolz dazu, auch nur einen Zentimeter von seiner Fußballidee, von seiner Entwicklungstheorie, von seinem passintensiven (zuweilen leblosen) Training ohne Zweikämpfe abzurücken. Am Ende haben die beiden sportlich Verantwortlichen im Klub überhaupt nicht mehr miteinander geredet.
Hjulmands hat sich nicht mehr wohlgefühlt
Der hoch intelligente Hjulmand - der in sämtlichen Pressekonferenzen fern jeder Emotion sich ständig wiederholende Sprachschablonen ablieferte -, hat sich am Bruchweg auch gar nicht mehr wohlgefühlt. Er zog sich zurück, blieb unnahbar. Wäre es nicht um sehr viel Geld gegangen, der Däne hätte womöglich von sich aus gekündigt. Der Klub hätte den Schlussstrich spätestens im Sommer gezogen. Die Trennung in diesem Moment war schon ob der internen Stimmungslage unumgänglich.
Die Dänen haben versucht, maximal kompromisslos ihre im Heimatland erfolgreiche Fußballgebote am Bruchweg zu implantieren. Ausbleibende Ergebnisse in drei Wettbewerben haben die Crew überhaupt nicht irritiert. Das erinnerte an den Landsmann Stale Solbakken einst in Köln, der mit seiner Mannschaft kurz nach der Vorrunde mehr als 50 Gegentore gefangen hatte und weiterhin in der Öffentlichkeit trotzig behauptete, spätestens in zwei bis drei Jahren werde ganz Europa nach seinem Prinzip verteidigen (Seiten nur einfach besetzen, Zentrum zustellen, Pässe abfangen). Zu Hause erfolgreiche Fachleute aus kleinen Fußballländern sind oft unterwegs in einer Mischung aus Überzeugungstäter und Missionar.
Martin Schmidt steht nun vor einer nicht ganz unproblematischen Aufgabe. Der bisherige U23-Trainer muss neue Begeisterung wecken im Kader, er muss neues Selbstvertrauen schaffen, er muss die Spieler zügig an sehr konträre Trainingsinhalte gewöhnen, er muss neue Spielautomatismen installieren, er muss den Kampf- und Tempofußball neu beleben. Da ist ein Derby gegen die Eintracht der geeignete Startschuss. Es wird laut in der Coface Arena. Und die Eigenmotivation der Spieler ist schon unter der Woche hoch.