Welche Folgen Entega-Chefin Marie-Luise Wolff für die europäische Wirtschaft befürchtet und warum sie die Energiebranche als Blaupause für eine Deregulierung sieht.
DARMSTADT. Die Monopole der großen amerikanischen Digital-Konzerne könnten in ähnlicher Weise dereguliert werden, wie dies in Europa auf dem Energiemarkt geschehen ist. Diesen Gedanken hat Marie-Luise Wolff, Vorstandsvorsitzende des Darmstädter Energieunternehmens Entega AG, ins Spiel gebracht. „Wettbewerb macht die Dinge besser als die Monopole. Das hat man in der Energiewirtschaft deutlich gesehen.“ Die Preise seien gesunken. Es habe deutlich mehr Innovationen gegeben. „Die alten Konzerne hätten doch keine Windräder gebaut. Das galt als Öko-Hysterie“, beschreibt Wolff im Podcast „Schröder trifft“ die Situation noch vor wenigen Jahren. Dazu bedürfe es aber staatlicher Eingriffe, Wolff nennt sie Leitplanken. „Hätte der Staat uns nicht in den Wettbewerb gezwungen, wäre das nicht passiert.“
Wolff warnt vor Gefahren für Einzelhandel
Wolff nennt sich selbst technikaffin und in vielen Belangen eine Bewunderin der USA. Doch die Digitalisierung, wie sie aus dem Silicon Valley über die ganze Welt ausgerollt wird, sieht sie sehr kritisch. Google habe mit seinem Suchmaschinenangebot mehr als 90% Marktanteil, Amazon, Facebook oder Apple hätten auf ihren Gebieten ebenso fast schon marktbeherrschende Stellungen. „Was passiert, wenn wir nicht handeln?“, fragt Wolff, die seit 2018 auch Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft ist. Monopole würden in einer sozialen Marktwirtschaft bekämpft, weil sie eine Sektion beherrschten, die Preise stiegen, Innovationen nähmen ab.
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Die erfahrene Managerin warnt vor den Folgen: Der Einzelhandel zum Beispiel werde diese Bedrohung nur sehr schwer überstehen, die Innenstädte würden zu leblosen Wohnsiedlungen verkommen, wertvolle Arbeitsplätze würden vernichtet. Ihren Unmut hat Wolff in dem Buch „Die Anbetung, über eine Superideologie namens Digitalisierung“ zusammengetragen. Darin warnt sie vor den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und zwischenmenschlichen Folgen. Ihre Forderung: „Digitalisierung ist nicht wie das Wetter, sie ist von Menschen gemacht. Also können wir sie noch ändern, gestalten.“
Ehrliche Preise können Vorteil bringen
Ihre Argumente seien auf ein positives Echo gestoßen, berichtet Wolff und sagt, dass sie eine neue Nachdenklichkeit über dieses Thema beobachte. Als sie vor vier Jahren mit den Recherchen zu Ihrem Buch begonnen habe, habe es das noch nicht gegeben. Die Debatten führten hoffentlich dazu, „dass wir die Digitalisierung nicht verdammen, sondern vernünftig damit umgehen“.
Ein Mittel, den US-Konzernen, die in Deutschland so gut wie keine Steuern zahlten, die Stirn zu bieten, seien ehrliche Preise. „Wenn Sie die tatsächlichen Kosten für Energie beim Betrieb der Server oder für den Transport der Waren, für die Straßenbenutzung, bei der Warenvernichtung oder für faire Löhne einrechneten, käme ein wirklicher Wettbewerb zustande.“
Wolff zeichnet im Vergleich mit den USA ein positives Bild von Europa. Es gebe zwar Nachholbedarf bei der Infrastruktur, „aber wenn Sie in den USA oder Asien außerhalb der Großstädte unterwegs sind, ist die Handy-Verbindung nicht gut. Wenn ich mir die Gebäudestruktur angucke, Heizung, Sanitär, Lüftung, sind wir Lichtjahre voraus im Vergleich zu den USA“.
Im persönlichen Umgang mit den sichtbaren Begleiterscheinungen der Digitalisierung empfiehlt die Chefin von 2000 Mitarbeitern handyfreie Zonen, die Souveränität, in Konferenzen Denkpausen einzulegen und den Ehrgeiz beiseite zu schieben, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. „Das schafft nämlich keiner.“
Von Stefan Schröder