Wie erinnern sich Ostdeutsche an die Wendezeit? Gastbeitrag einer jungen Frau, die 1989 gegen das DDR-Regime demonstrierte. Nicht all ihre Hoffnungen haben sich erfüllt.
Von Anja Horn
Anja Horn, Geschäftsführerin der Crossmedia-Agentur Einhorn Solutions
(Foto: Anja Horn)
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Ich bin ein stolzer Ossi! Denn auch ich war vor 30 Jahren, am 04. November 1989, auf der Demo am Berliner Alexanderplatz. Wir fühlten alle, dass dies ein historischer Neubeginn in vielerlei Hinsicht werden würde. Ich war stolz und ich bin es noch immer. Auch ich wollte ein neues Deutschland gestalten.
Jedoch stelle ich mir, zurückblickend, viele Fragen: Habe ich damals gewusst, wie es sich anfühlt, die eigene Identität, die eigenen Werte, die eigene Vergangenheit und meine eigenen persönlichen Wünsche für eine individuell selbst zu gestaltende Zukunft in Frage stellen zu müssen? Habe ich gewusst, was es heißt, sich einem anderen gesellschaftlichen Wertesystem anzupassen, wenn nicht sogar unterzuordnen? War mir wirklich bewusst, was es heißt, einer so dominanten BRD mit Stolz und Selbstwertgefühl glaubhaft entgegentreten zu können?
Nicht alle Ossis unter uns wollten sich vereinnahmen lassen, sondern wollten eine neue Form finden für das Miteinander in einem neu zu gestaltendem Deutschland. Oder nicht? Nein!
Viele von uns „Ostdeutschen“ sahen den blühenden, bunten Konsum. Viele von uns wollten endlich die D-Mark als Währung, um gegenüber anderen Staaten den gleichen Status zu erleben, der sie über Jahrzehnte zu Menschen zweiter Klasse gedemütigt hatte. Das machte das Wahlergebnis 1990 deutlich, in dem die Mehrheit der „neuen“ BRD-Bürger die CDU wählten.
GASTAUTORIN
Anja Horn (51) ist Geschäftsführerin und Gesellschafterin der Crossmedia-Agentur Einhorn Solutions in Berlin. Zuvor war sie unter anderem Art Direktorin bei der Tageszeitung Die Welt. 1989 war sie 21 und arbeitete als redaktionelle Mitarbeiterin beim Ärzte-Magazin „Medizin aktuell“ im VEB Verlag Volk & Gesundheit mit. Der Verlag hatte seinen Standort direkt gegenüber dem Springer-Hochhaus – auf der anderen Seite der Berliner Mauer.
Ein Signal für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, die Erfolge der letzen 30 Jahre Bundesrepublik auch für uns DDR-Bürger als Entwicklungspotenzial und damit als einen Erfolg bringenden Faktor für die Wiedervereinigung zu transportieren. Und somit uns zu transformieren.
Waren wir uns dessen wirklich bewusst? Damals waren wir voller Freude, dass die Wiedervereinigung zwischen Ost und West eine Möglichkeit der Neuformation für beide Teile des seit Jahrzehnten geteilten Deutschlands möglich machen könnte.
Und viele von uns hofften auf die Möglichkeit eines Neuanfangs. Reisen ohne Grenzen, denken dürfen ohne zwischen den Zeilen lesen zu müssen und damit laut die eigenen Gedanken und Gefühle, dem inneren Freiheitswunsch und somit dem eigenen Willen folgen zu können.
Uns war jedoch nicht bewusst, dass unser Wissen, unsere Erfahrungen und unser Können in dem System keine Rolle spielen sollten. Wir fühlten uns herabgestuft wie unmündige Kinder. Das kannten wir zu gut. Viele quälende Biografien gibt es davon. Diese Erfahrungen demütigten unser Selbstbewusstsein aufs neue und in gewisser Weise auch weiterhin.
Analysieren wir die Wahlergebnisse der vergangenen Monate, spiegelt sich darin auch ein Wertebild, welches zeigt, wie sich die Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland fühlt beziehungsweise nicht fühlt. Demokratie gab es für uns damals nicht, Demokratie kannten wir nicht. Eine Debattenkultur gab es überwiegend nur in kleineren, intellektuellen Nischen. Wer da nicht dazugehörte, war außen vor. Debatte, vor allem eine öffentliche Debatte, mussten wir erst lernen. Und das erfordert Mut zum Diskurs und Mut, aus dem kleinen, stillen Denken ein Bewusstsein zu entwickeln auch öffentlich werden zu wollen. Zu lernen, was Demokratie bedeutet. Zu lernen, anderen Meinungen Raum zu geben.
Ich bleibe ein stolzer Ossi! Denn ich bin der Meinung, dass wir Ossis sehr viel geleistet haben und etwas zustande gebracht haben, was niemand für möglich gehalten hat. Und ich möchte jeden Ossi unter uns damit herausfordern, sich mit mir dazu zu bekennen, dass es ohne uns Ossis keine EU geben würde. Und sich Deutschland nicht zu dem Land entwickelt hätte, welches es heute ist.
So, jetzt ist es raus...
Ja, okay! Wir haben uns mit einem neuen System angefreundet und je nachdem damit arrangiert. Im Guten wie im Schlechten haben wir versucht, nicht nur das Beste daraus zu machen, sondern vielmehr unseren eigenen DDR-belastenden wie -erfahrenen Erlebnissen darin Platz zu geben. Das ist viel wert und das zeichnet uns Ossis aus.
Wir können uns anpassen ohne angepasst zu sein. Und, wir können immer noch zwischen den Zeilen lesen.