EKHN-Präsident Volker Jung zieht positives Fazit der Feierlichkeiten zum 500-jährigen Jubiläum
„Ich habe mir gewünscht, dass es gelingt, die Reformation als Thema in Kirche und Gesellschaft lebendig zu halten“, sagt EKHN-Präsident Volker Jung im Interview mit dieser Zeitung. Dies sei geglückt – wie manches weitere in diesem Jubiläumsjahr.
DARMSTADT - „Ich habe mir gewünscht, dass es gelingt, die Reformation als Thema in Kirche und Gesellschaft lebendig zu halten“, sagt EKHN-Präsident Volker Jung im Interview mit dieser Zeitung. Dies sei geglückt – wie manches weitere in diesem Jubiläumsjahr.
Herr Jung, genug gefeiert?
Schön war’s. Dieses besondere Reformationsjahr hat wirklich viel Freude gemacht.
Das war schon eine gewaltige Sause, mit der die Evangelische Kirche an ihren Gründervater erinnert hat.
Es gab viele Feiern, aber auch viel Nachdenklichkeit und ein großes Interesse an der Reformation. Wir haben geschaut, was die Reformation bewirkt hat: für Kirche und Gesellschaft. Und wir haben die Menschen eingeladen, sich mit der Reformation auseinanderzusetzen. Ich glaube, das ist gut gelungen.
Was hat Sie am meisten überrascht in diesem Jubeljahr?
Mich hat überrascht, dass der Spannungsbogen so lang zu halten war. Ich hatte befürchtet, dass das Interesse irgendwann abflauen könnte. Das ist nicht passiert.
Gibt es etwas, das Sie traurig gemacht hat?
Eigentlich nicht, wenn auch Manches hätte besser laufen können. Ich hätte mir beispielsweise mehr Besucher für die Weltausstellung der Reformation in Wittenberg gewünscht.
Und was hat Sie zum Lachen gebracht?
Ich habe in dieser Zeit die kleine Spielzeugfigur von Martin Luther richtig lieb gewonnen. Manche haben sie als Verniedlichung kritisiert. Sie half aber oft, ein Gespräch über die Reformation zu eröffnen. Und mich hat sie ganz einfach immer wieder zum Lächeln gebracht. Ich denke: Luther hätte auch seinen Spaß daran gehabt.
ZUR PERSON
Volker Jung (geb. 22. Januar 1960 in Schlitz im Vogelsbergkreis) ist seit dem 1. Januar 2009 Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) mit Sitz in Darmstadt. Jung studierte Theologie in Bethel, Heidelberg und Göttingen, er promovierte 1998.
Sie werden bei der Vorbereitung des Reformationsjubiläums so manches Gebet zum Himmel geschickt haben. Welche sind erhört worden?
Ich habe mir gewünscht, dass es gelingt, die Reformation als Thema in Kirche und Gesellschaft lebendig zu halten. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Dazu hat gewiss auch beigetragen, dass der Reformationstag in diesem Jahr ein bundesweiter Feiertag ist. Aber viele Menschen machen sich in dieser vielfältiger werdenden Welt auch Gedanken über ihre eigene Herkunft und die eigene Identität. Da hat das Reformationsjubiläum sicher einen Nerv getroffen.
Die Evangelische Kirche hat sich viel Mühe gegeben, um zu zeigen: Luther ist kein Rockstar. Und es sollte auch keine Heldenverehrung betrieben werden. Sind Ihre Gedanken von den Menschen verstanden worden?
Ich glaube schon. Wir wollten Martin Luther nicht vereinnahmen und glorifizieren, und wir haben auch seine schwierigen Seiten nicht verschwiegen. Vor allem mit den furchtbaren Äußerungen Luthers über die Juden haben wir uns intensiv auseinandergesetzt. Das war richtig und wichtig.
Gott neu entdecken, heißt das Motto des Reformationsjahres. Was haben Sie neu entdeckt, womöglich auch bei Martin Luther?
Die Bedeutung der Medien: Viel mehr als vorher ist mir klar geworden, wie viel die Erfindung des Buchdrucks dazu beigetragen hat, dass die Reformation sich so schnell ausbreiten konnte.
War dies womöglich sogar der Schlüssel für das Gelingen der Reformation?
Mit Sicherheit einer der wichtigsten. Innerhalb kürzester Zeit wurden die 95 Thesen, die Luther in Wittenberg veröffentlicht hat, gedruckt verbreitet. Das war das Entscheidende. Nicht einmal jeder Dritte konnte damals lesen. Aber die Menschen haben das anderen vorgelesen und mit ihnen darüber geredet. Es ist sehr spannend, dieses Kommunikationsereignis mit unserer Zeit und den Neuen Medien von heute in Verbindung zu bringen.
Die Ökumene, die Gemeinschaft der Christen, hat die Evangelische Kirche in diesem Jahr besonders stark betont – im Zusammenhang mit dem Mann, der die Kirche gespalten hat.
Martin Luther wollte die Kirche nicht spalten, er wollte sie reformieren. Ihm war schon klar, dass die Einheit der Kirche ein hohes Gut ist. Erst als er merkte, dass er in der Kirche nicht gehört wurde, hat Luther diesen Weg gewählt. Uns war wichtig, dass dieses Reformationsjahr nicht konfessionell verengt gefeiert wird. Wir wollen uns nicht von der Katholischen Kirche abgrenzen, sondern die Gemeinschaft mit allen anderen Christen in den Blick nehmen, um gemeinsam dafür einzustehen, woran wir glauben.
Aus den Reihen der Katholiken kommen widersprüchliche Signale: Sind sich die Kirchen in diesem Jahr nähergekommen?
Die Nähe ist spürbar. Es gab in diesem Jahr ganz viele ökumenische Impulse. Natürlich gibt es sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche auch hin und wieder Stimmen, die sagen: Macht mal langsam, viele Dinge stehen noch zwischen uns. Ich glaube aber, dass es die Erkenntnis gibt: Uns verbindet viel mehr, als uns trennt. Dabei müssen wir nicht organisatorisch eine Kirche werden. Wir können durchaus in verschiedenen Konfessionen miteinander unseren Glauben leben.
Gehört dazu nicht auch die Möglichkeit, gemeinsam das Abendmahl einzunehmen?
Das wäre natürlich ein großes Zeichen und Ausdruck einer wirklichen Versöhnung.
Die Weltausstellung der Reformation haben Sie in Wittenberg abgehalten, in der evangelischen Diaspora. Haben Sie den Menschen in den neuen Bundesländern den Glauben an Gott näherbringen können?
Das ist schwer zu sagen. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat in Wittenberg mit ihrer Lichtkirche und dem Segensroboter viele Menschen ansprechen können, die nicht zur Kirche gehören. Wir haben den Ort am Ursprung der Reformation bewusst gewählt, auch wenn er etwas abgelegen ist. Wittenberg hat als Stadt davon enorm profitiert. Ich hoffe natürlich, dass dies auch mit Blick auf den Glauben der Menschen Wirkung haben wird.
Mach’s Maul auf, empfiehlt Luther. Gab es im vergangenen Jahr eine Situation, in der Sie hätten lauter sein müssen?
Die Flüchtlingsfrage hat mich stark beschäftigt. Menschen in Not muss geholfen werden, und jeder einzelne Mensch ist wertvoll: Das steht für mich auch im Zentrum reformatorischen Denkens. Bisher haben wir es nicht geschafft, den Nachzug von Flüchtlingsfamilien zu ermöglichen. Dabei würden auf diesem Weg wahrscheinlich gar nicht so sehr viele Menschen nach Deutschland kommen. Aber hier können wir zeigen, was uns Menschlichkeit bedeutet. Vielleicht müssen wir als Kirche an dieser Stelle tatsächlich noch etwas lauter werden.
Ist das Ihre Botschaft an die Parteien in Berlin, die gerade über die Bildung einer neuen Regierung verhandeln?
Ich gehe sogar noch etwas weiter. Es reicht nicht, nur auf Notsituationen zu reagieren. Humanitäre Hilfe ist für mich ohnehin nicht in irgendwelchen Grenzen verhandelbar. Ich glaube aber, dass es wirklich nötig ist, die Zuwanderungspolitik neu zu gestalten. Dazu braucht es einen gemeinsamen Willen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa.
Welcher Satz in Ihrer Predigt zum Reformationstag liegt Ihnen besonders am Herzen?
Die Reformation hat uns die Bedeutung und den Wert jedes einzelnen Menschen in besonderer Weise nahegebracht. Reformation hat gezeigt, dass wir vor Gott keine Angst haben müssen, sondern dass Gott Menschen stark macht, ein Leben in Freiheit und Verantwortung zu führen. Das hat bleibende Gültigkeit. Wir müssen daran arbeiten, dass Menschen so leben können und dass uns Freiheit nicht verloren geht.
Und welcher Spruch von Martin Luther geht immer, auch wenn nicht gerade Jubiläum ist?
Luther hat gesagt: „Wir sollen Menschen und nicht Gott sein. Das ist die Summa.“ Er meint damit: Menschen sollen menschlich bleiben und sich nicht über andere erheben oder gar an Gottes Stelle setzen.
Was bleibt von diesem Lutherjahr, und was ist die Botschaft für die Zeit danach?
Dieses Reformationsjubiläum endet nicht mit einem Punkt, sondern mit einem Doppelpunkt. Es geht darum, die Kraft des Glaubens zu entdecken, um das eigene Leben und das Miteinander zu gestalten. Wir brauchen Menschen, die mit innerer Überzeugung bereit sind, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen, damit Menschen gut, gerecht und in Frieden miteinander leben können.