
Die bekannte Wiesbadener Gastronomin erzählt, wie sie sich Schritt für Schritt auf den Weg gemacht hat. Sie sagt von sich: „Seit drei Jahren gehe ich anders durchs Leben.”
Wiesbaden. Carla Roczek hat länger überlegt, als wir sie gefragt haben. Und sich dann doch dazu entschlossen, mit dem Kurier darüber zu sprechen, welchen Weg sie in den vergangenen Jahren gegangen ist. Carla ist eine bekannte Figur in Wiesbaden. Nicht nur als Wirtin des „Roczek’s“ am Kaiser-Friedrich-Ring oder früher noch zu Punk-Zeiten im „Zick-Zack“ in Schierstein, wo sie auch wohnt. Sondern auch als Sportler. Der Sportler Carlos Roczek ist 41 Marathonrennen gelaufen, hat auch an einem Ironman teilgenommen. Und hat schon vor vielen Jahren, „das muss so Ende der 70er, Anfang 80er gewesen sein“, Freude am Lackieren der Fingernägel gehabt. „Damals an Fastnacht. Wenn ich den Lack länger draufgelassen habe, wurde das schon sehr kritisch beäugt von Leuten, die es bemerkt haben.”
„Als ich mal in Urlaub in Bayern war, bin ich zur Schuhfirma Gabor“, erinnert Carla sich an eine Einkaufstour vor einigen Jahren. „Die hatten Damenstiefel Größe 45, die habe ich mir dann geholt.“ Sie lacht. Und beim Lachen kräuselt sich die Nase der inzwischen 67-Jährigen, die mehr und mehr als Frau angesehen werden wollte und inzwischen nicht nur den „alten“ Carlos-Personalausweis ihr eigen nennt, sondern auch einen sogenannten Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI), in dem sie als Carla Charlotte Roczek geführt wird. Das Bedürfnis, als Frau zu leben, habe sich immer mehr verstärkt, berichtet Carla. Sie habe ihre Kleidung verändert, irgendwann auch weiblichere Oberteile getragen. „Kein Zurück gab es dann nach einem E-Mailkontakt mit einem Physiotherapeuten, der mir schrieb: Machen Sie eine Personenstandsänderung.”
Carla ist weiterhin verheiratet mit der Frau, die sie vor vielen, vielen Jahren kennen- und lieben gelernt hat. Und sie wohnen in einem Haus. Die beiden sind Eltern zweier erwachsener Kinder. Ihre Veränderung, sagt Carla, „stellt für die Familie natürlich eine große Herausforderung dar”. Während es für Freunde und Bekannte einfacher zu akzeptieren sei, gibt es im familiären Umfeld „viele Emotionen”. Für alle Seiten nicht immer einfach.
Weiter bei den „coolen Hausdrachen” im Boot
„Ich bin mit meinem Leben eigentlich ziemlich zufrieden“, resümiert die Wirtin, die in dem Haus aufgewachsen ist, in dem sie auch ihre Kneipe hat. „Seit drei Jahren gehe ich anders durchs Leben“, fasst sie den Weg zusammen, der sich auch äußerlich inzwischen immer mehr zeigt. Sie nimmt Hormone, „seit vergangenem Jahr im Herbst bekomme ich Gestagen. Das macht sich sehr bemerkbar“. Regelmäßige Blutuntersuchungen gehören zu ihrem Alltag, denn „die Medikamente gehen auf die Leber”. Operationen hat Carla nicht hinter sich. Aber inzwischen doch einige Erfahrungen, die zeigen, wie manche sich schwertun damit, nicht so genau zu wissen, wen sie vor sich haben. Stadtpolizisten seien in die Kneipe gekommen und hätten ganz klar gefragt: „Sind Sie die Wirtin?“ Das findet Carla gut. Weniger gut, dass ein Karnevalverein sie wohl nicht bei der Damensitzung haben wollte. Im Schwimmbad trägt sie jetzt Badeanzug. Die über das Thema Badekleidung und „Oben ohne für alle” angestoßene Diskussion, die wie berichtet ja auch Wiesbaden erreicht hat, findet Carla gut. Verletzt war sie, als sie einmal von einer Clique junger Männer als „Transe“ beschimpft wurde. An Tagen wie diesen ist Carla froh, wenn sie Unterstützung von Sandra bekommt. Sandra ist zweite Vorsitzende der DGTI (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität) und ihre Mentorin.
Bei manchen hätte ich mir gewünscht, dass sie vielleicht mal direkter fragen.
Ihr Freundeskreis, sagt die 67-Jährige, habe sich kaum geändert, seit sie sich als Frau identifiziert. Bei manchen „hätte ich mir gewünscht, dass sie vielleicht mal direkter fragen“. Wenn sie selbst das Thema anspreche, kämen dann Antworten wie: „Das habe ich mir schon gedacht.“ Aber direkt darüber reden wäre besser, meint Carla, die sehr körperbewusst ist und sich ärgert, „dass ich doch ein ganz schönes Bäuchlein gekriegt habe“. Auch wegen der Hormoneinnahme habe sie „30 Prozent mehr Fett und 30 Prozent weniger Muskeln“. Mit viel Sport will Carla dem entgegenwirken. Wie früher auch, fährt sie bei den „Hausdrachen“ im Drachenboot mit. „Die sind cool.“ Aber auch ihre Ernährung hat sie umgestellt. Kein Fleisch mehr, kein Weißmehl, sehr viel Gemüse. „Freunde“, erzählt sie lachend, und dann kräuselt sich wieder die Nase, „sagen mir schon, mit mir könne man gar nicht mehr richtig essen gehen“. An ihrer Stimme, das weiß Carla, wird sich grundsätzlich nichts ändern. Aber mit Hilfe einer Stimmtherapeutin, sie heißt Nicole Herber, übt Carla, häufiger ihre hellere Kopfstimme einzusetzen.
Carla ist auch auf den sozialen Medien ziemlich aktiv. Bei Facebook „war ich schon monatelang divers“, erzählt sie. Im Sommer hat sie dann ihre Profilbilder geändert und auch den Namen. „Da ist drei Tage lang gar nichts passiert“, wunderte sie sich und hat dann zwei Menschen angeschrieben. Jetzt, vor wenigen Tagen, wurde Carla viel kontaktiert. Sie war nämlich beim Friseur und hat Bilder der neuen Frisur hochgeladen. „Dafür habe ich jede Menge Komplimente bekommen.“ Wen freut so etwas nicht?