„Little Homes“ für fünf Wiesbadener Obdachlose errichtet

Fünf Mini-Holzhütten bauen rund 100 Mitarbeiter von Commerz Real gemeinsam mit dem Verein „Little Home“. Der gemeinnützige Verein habe einer Wiesbadener Engagierten mit rechtlichen Schritten gedroht, die ein ähnliches Projekt vorantreibt.    Foto: Sascha Kopp

Die Commerz Real hat zusammen mit dem Kölner Verein „Little Home“ provisorische Wohnboxen gebaut. Für Fragen sorgt das Verhalten des Vereins gegenüber einer hiesigen Engagierten.

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WIESBADEN. Es wird gesägt, geschraubt und gebohrt: Viele Passanten schauen am Dienstag neugierig auf die Werkelnden am Dernschen Gelände. Es handelt sich um ein Projekt für Obdachlose: Rund 100 Mitarbeiter der Commerz Real errichten – ehrenamtlich und gemeinsam mit dem Kölner Verein „Little Home“ – fünf kleine Wohnboxen aus Holzplatten für Menschen ohne festen Wohnsitz. Die Boxen sind 3,2 Quadratmeter groß und passen auf einen Pkw-Stellplatz: Jedes Häuschen soll mit Matratze, Erste-Hilfe-Set, Feuerlöscher, Regal und Campingtoilette ausgestattet sein. Eine Heizung gibt es nicht, aber die Wände seien „vollständig isoliert“. Am Dienstag ist zu beobachten, wie Wärmefolie und Styropor in die Holzwände gelegt werden.

Wo die fünf Wohnboxen ab Mittwoch stehen werden, will Sven Lüdecke, der Vorsitzende von „Little Home“, nicht verraten: „Wir wollen vermeiden, dass ein Tourismus dorthin entsteht und Bürger einfach Sachspenden vorbeibringen.“ Er habe aber schon mögliche Bewohner ins Auge gefasst, die übrigens dort so lange leben können, wie sie wollen. Die Boxen kommen auf privates Gelände: zwei an einem Ort, drei an einem anderen. Nach Informationen dieser Zeitung handelt es sich um Standplätze in Bahnhofsnähe.

Rechtliche Schritte gegen Wiesbadenerin angekündigt

„Little Home“ habe deutschlandweit schon mehr als 220 solcher Wohnboxen errichtet, das Material für ein Stück koste mittlerweile zwischen 3500 und 4000 Euro. Der gemeinnützige Verein finanziere sich ausschließlich über „Teambildungsmaßnahmen“: Also aus Spenden und Sponsoren, die auch beim Aufbau helfen. Wie die Commerz Real, die in der Commerzbank-Gruppe Sachwerte wie Immobilien für ihre Anleger verwaltet und nun 25 Wohnboxen finanziert. Fünf sollen am zweiten Firmensitz in Düsseldorf stehen, über die restichen wird „Little Home“ verfügen, wie Maurice Farrouh, der Pressesprecher von Commerz Real, sagt.

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So weit, so gut. Irritationen ruft jedoch hervor, warum der gemeinnützige Verein im Januar von der Wiesbadener Geschäftsfrau Betina Weiler verlangte, dass sie eine Lizenz für den Bau eines „Little Home“ erwirbt. Dies geht aus einem Mailverkehr hervor, der der Redaktion vorliegt. Bekanntlich organisiert Weiler seit Jahren das Obdachlosenfest und hat öffentlich Mini-Holzhütten für alte und kranke Wiesbadener Obdachlose im Winter vorgeschlagen (wir berichteten). „Die Idee ist aus dem Fest heraus entstanden, ich kannte das Kölner Projekt gar nicht“, sagt Weiler auf Nachfrage. Der Name der Holzhütten stand damals noch nicht fest: Weiler redete oft von Tiny Houses, andere von kleinen Häuschen.

Lüdecke hatte Wind von dem Projekt bekommen und ihr Anfang des Jahres einen Besuch in ihrer Boutique abgestattet. „Er hat mir vor meinen Kunden lautstark gedroht, dass er juristisch gegen mich vorgehen wird, wenn ich den eingetragenen Markennamen nutze. Wir mussten ihn des Ladens verweisen. Ich habe auch Videoaufnahmen“, sagt Weiler. Darauf angesprochen, sagt Lüdecke, dass er die Begegnung anders in Erinnerung habe. Er möchte sich dazu am Dienstag aber nicht weiter äußern.

Eigenes Projekt mit Teestube wird vorangetrieben

Weilers Rechtsanwalt habe aber klar gestellt, dass es sich nicht um eine Markenrechtsverletzung handele. „Ich will die Häuschen auch gar nicht so nennen.“ Es gab darüber hinaus noch einen Facebook-Post von Lüdecke, in dem er von einem „Fake“-Spendenaufruf von Weiler spricht, um Geld für zehn „Little Homes“ zu sammeln. Ihr Anwalt habe auch auf die „Rufschädigung“ reagiert. Seitdem habe sie nichts mehr gehört. „Die Spenden, zu denen ich aufrufe, laufen alle über das Konto der Evangelischen Versöhnungsgemeinde“, unterstreicht Weiler.

Sie treibt derweil ihr Projekt, das inzwischen den Namen „Dach überm Kopf“ trägt, ganz unabhängig davon weiter voran – in Kooperation mit der Teestube des Diakonischen Werks und einem Wiesbadener Schreiner. Der Prototyp der „hochwertigen Schutzhütte“ aus robustem Holz, einer kleinen Solaranlage auf dem Dach und Komposttoilette soll im September fertig werden und dann erst mal im Hof der Teestube stehen. Man habe schon regen Kontakt zu kirchlichen Trägern, um mögliche Standorte für die geplanten sechs bis acht abschließbare Häuschen zu finden, sagt Matthias Röhrig, der Leiter der Teestube. Er erwartet bald die Bewilligung des gemeinsamen Antrags der Diakonie und dem Integrationsamt, um aus EU-Mitteln eine neue Vollzeitstelle für einen Sozialarbeiter einzurichten.

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In Darmstadt musste Box abgebaut werden

„Ein Sozialarbeiter muss die Hütten unbedingt täglich besuchen, damit es innen und auch nicht drumherum verwahrlost. Ohne Betreuung funktioniert das nicht“, betont Röhrig. Die Bewohner sollen spätestens nach sechs Monaten wieder ausziehen und in eine richtige Wohnung ziehen. „Das ist nur eine Notunterkunft.“ Wobei es sich bei den angedachten Kandidaten laut Röhrig um die „schwierigsten der Schwierigen“ handele. Der Sozialarbeiter werde auch darauf achten, dass die Toiletten regelmäßig von den Bewohnern geleert werden.

Dass so ein Häuschen verwahrlosen kann, hat das Beispiel in Darmstadt gezeigt: Eine Box von „Little Home“ musste wegen Vermüllung mit Exkrementen abgebaut werden. Das Konzept des Vereins sieht vor, dass die Toilette von den Bewohnern dort ausgeleert wird, wo sie duschen dürfen, etwa bei sozialen Trägern. „Wir haben den Abbau selbst bezahlt. Das war ein besonders schwieriger Bewohner“, sagt Lüdecke. Es habe sich aber um einen Einzelfall gehandelt.

Er selbst besuche jeden Standort spätestens alle zwei Monate. Darüber hinaus gebe es Helfer vor Ort, die alle paar Wochen oder „bei Bedarf“ vorbeigingen. Man wolle jetzt auch den Kontakt zur Stadt intensivieren. Das Sozialdezernat wusste übrigens bis vor ein paar Tagen nichts von dem Vorhaben, wie die Leiterin des Sozialleistungs- und Jobcenters, Ariane Würzberger, sagt. Sie habe den Verein nun zur Sitzung der städtischen Obdachlosen-Arbeitsgruppe #wohin eingeladen, um ihn kennenzulernen.