Hessens Innenminister Beuth will bei der Polizei „jeden noch so kleinen Verdachtsfall rechtsextremistischer Tendenz disziplinar- und strafrechtlich verfolgen“.
WIESBADEN. In Hessen geraten immer mehr Polizisten in Verdacht, sich rechtsextrem geäußert zu haben. Noch im Dezember hatte Innenminister Peter Beuth von zwölf Disziplinarverfahren gesprochen, die es deshalb gibt. Jetzt sagte der Minister in nicht öffentlicher Sitzung des Landtags-Innenausschusses, es gebe 15 weitere Disziplinarverfahren. Zudem sei gegen einen Wachpolizisten anonym Anzeige erstattet worden. Die Vorwürfe hätten sich bestätigt, ihm sei sofort gekündigt worden. Ferner habe sich ein Beamter selbst angezeigt. Er hatte an einer WhatsApp-Gruppe teilgenommen, die rechtsextreme Chats ausgetauscht hat.
Juristisch umstritten ist, ob das Senden von verfassungsfeindlichen Symbolen oder volksverhetzenden Äußerungen in einer geschlossenen WhatsApp-Gruppe strafrechtlich geahndet werden kann. Disziplinarrechtlich sieht das anders aus. Nach Informationen dieser Zeitung sind vier Disziplinarverfahren gegen Polizisten, die rechtsextreme Chats getätigt haben, bereits abgearbeitet.
Polizistin nutzt interne Daten zur Bedrohung
Auf Spur der geschlossenen WhatsApp Gruppe, in der Beamte rechtsextreme Inhalte getauscht hatten, war die Polizei bei ihren Ermittlungen im Fall der Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz geraten. Sie hat mittlerweile vier Briefe erhalten, in denen sie und ihre Familie bedroht werden. Die Faxe enthielten persönliche Daten, die öffentlich nicht zugänglich sind. Bei den Ermittlungen war festgestellt worden, dass eine Polizistin des 1.Reviers in Frankfurt aus dem Polizei-Computer interne Daten über die Anwältin abgerufen hatte.
Der Innenminister sagte nun im öffentlichen Teil des Innenausschusses, aus dem Polizei-Informationssystem würden pro Tag 45.000 Mal Daten abgefragt. Dabei geht es etwa um Einträge aus dem Melderegister. Immer mal wieder war es zu missbräuchlichen Abfragen gekommen. In fünf Jahren waren 77 Fälle geahndet worden, etwa mit einer Rüge, mit Geldbuße, Gehaltskürzung oder gar Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Entfernen aus dem Dienst.
Missbräuchliche Datenabfragen
18 Abfragen waren beim Polizeipräsidium Südhessen beanstandet worden, beim Polizeipräsidium Westhessen neun und beim Polizeipräsidium Mittelhessen fünf und beim Polizeipräsidium Frankfurt 14. Geahndet worden waren missbräuchliche Datenabfragen ferner beim Landeskriminalamt (sechs Mal) sowie bei der Polizeiakademie und der Bereitschaftspolizei jeweils drei Mal.
Vor dem Amtsgericht Dieburg ist ein Polizist wegen Geheimnisverrates angeklagt. Er hatte Daten über den Rechtsextremisten Carsten M. an seine Bekannte Martina H. weitergegeben. Seit 2004 hat es gegen Carsten M. 26 Verfahren gegeben, unter anderem wegen Drohung, Nötigung, Beleidigung und Waffenbesitz. Er und Martina H. werden den „Aryans“ zugeordnet, gegen die die Bundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.
Verfestigte rechtsstaatfeindliche Gesinnung
Fragen zu diesen aktuellen Ermittlungen wollte Beuth im Ausschuss nicht beantworten. Er nahm allerdings Stellung zu einem Verfahren gegen Carsten M., der in Verdacht geraten war, 2000 auf einen Polizisten geschossen zu haben. Das Verfahren war mangels Tatverdacht eingestellt worden. Der Fall sei ausermittelt, sagte der Minister. Das hatten Ermittler, die den Fall 2013 erneut aufgerollt hatten, anders gesehen und beanstandet, dass eine wichtige Spur nicht verfolgt worden sei.
Martina H. stammt aus Ober-Ramstadt, Carsten M. aus Linsengericht (Main-Kinzig-Kreis). Beide stehen derzeit in Halle wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung vor Gericht. Dort hat die Staatsanwaltschaft jetzt eine Bewährungsstrafe für Martina H. gefordert, für Carsten M. drei Jahre und acht Monate Gefängnis. Beide hätten eine verfestigte nationalsozialistische und rechtsstaatsfeindliche Gesinnung.
Rechts-Terror aus Linsengericht
Die Sicherheitsbehörden hatten 2001 die „Skinheadgruppierung Gelnhausen/Linsengericht“ ins Visier genommen, der damals bis zu 20 junge Männer im Alter zwischen 18 und 23 Jahren angehörten. Die Untersuchung war zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei der Gruppierung um eine gefestigte Organisation handele, deren Gewaltbereitschaft als hoch eingeschätzt werde. In Linsengericht, eine Gemeinde mit 10.000 Einwohnern, sei eine gewisse Toleranz gegenüber dieser Gruppierung festzustellen.
Alarmierend auch: Schon damals hatten die Skins aus Linsengericht Verbindungen zu Personen der rechten Szene in den Kreisen Aschaffenburg, Offenbach und Darmstadt-Dieburg. Das Netzwerk hatte offenbar Bestand: Denn aus diesen Landkreisen stammen die Personen, gegen die aktuell die Bundesanwaltschaft wegen Rechts-Terrors ermittelt.
Von Christoph Cuntz