Eine Reise in die finsteren Keller von Schloss Freudenberg

Schlossherrin Katharina Schenk mit dem Schattenfiguren des Wiesbadener Künstlers Udo W. Gottfried an der Decke. ©

Das neue „Erfahrungsfeld Dunkelheit“ macht im Wiesbadener Entschleunigungsort an vielen Stationen Wahrnehmung bewusster. Warum man dazu auch in einen Kleiderschrank klettern kann.

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WIESBADEN. Wie ein Spukschloss in völliger Dunkelheit: Als Katharina Schenk noch ein Kind war, da öffneten ihre Eltern Beatrice Dastis Schenk und Matthias Schenk mit dem damaligen Oberbürgermeister Achim Exner die schwere Tür zu dem seit Jahren leer stehenden Schloss Freudenberg. „Es war absolut finster, ohne Elektrizität“, erinnert sich die heutige Schlossherrin. 30 Jahre ist das jetzt her. Eine Zeit, in der ihre Eltern hier das „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne“ einrichteten – und Dunkelheit war seitdem dabei immer ein Thema.

Schlossherrin Katharina Schenk mit dem Schattenfiguren des Wiesbadener Künstlers Udo W. Gottfried an der Decke.
Wie ein märchenhaftes Aquarium: Die Schattenspiele lassen sich mit mehreren Farben bespielen. Fotos: René Vigneron

Beim „Nachtmahl“, das in der Finsternis eingenommen wird, in der „Dunkelbar“, in der man von Blinden bedient wird, im „Dunkelgang“, in dem man sich auf alle anderen Sinne als das Sehen verlassen muss. Und jetzt gibt es zum Winter auch ein neues „Erfahrungsfeld Dunkelheit“. Die verschiedenen Facetten kann man hier bis zum Frühjahr erleben.

Das Thema ist für Katharina Schenk in dieser Zeit gesetzt: „Viele fragen sich jetzt: Was liegt vor mir? Wie gehe ich mit Unplanbarkeit um?“ Das will sie erfahrbar machen. Dunkelheit könne man dabei nicht vor sich stellen wie ein Bild, „du verschmilzest damit“. Ihr ging es auch um philosophische Fragen: „Was mache ich mit schwarzen Gedanken? Und warum sieht man so viel schwarz?“

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Aber zunächst einmal sieht man Grün: Im Durchgang zu den einzelnen Stationen im Backstein-Gewölbekeller des Schlosses bleibt man einen Moment stehen und taucht in die Farbe ein. Und sieht danach durch den Komplementäreffekt die Welt Rosa. Eine visuelle Umkehrung der Wahrnehmung, die man vor einem Viereck im Yves-Klein-Blau noch mal hat: Betrachtet man es lang genug und blickt dann auf eine weiße Wand, zeichnet sich ein zitronengelbes Quadrat ab. Verblüffung auch im Dunkelgang: Die einzigen Lichtquellen sind die mitten im Schwarz blühenden Pilze von Frédéric Ecker. „Die leuchten nur für sich selbst“, meint Katharina Schenk.

Wer sich ganz auf seinen Hörsinn einlassen will, ist in einem Dunkelraum richtig, der mit Musik überrascht. Ukrainische Künstler, die hier seit 2016 ein zweites und angesichts der Situation in ihrer Heimat jetzt auch ein langfristiges Zuhause fanden, haben eine Komposition eingespielt zum Thema „Von einer, die auszieht, das Fürchten zu verlernen“. Es gibt aber auch viele interaktive Arbeiten: Licht und Schatten werden in einem Sandbett beim Malen mit den Händen im Wortsinn begreifbar, ein Kasten mit Figuren für ein Schattenspiel lässt sich durch einige Schalter mit unterschiedlichen Farben verzaubern. „Kinder können hier mit alten Zeitungen auch selbst Motive basteln und zum Leben erwecken“, so die Schlossherrin. Und wie ein Kind kann man sich auf den Boden werfen und die Schattenfiguren des Künstlers Udo W. Gottfried oben an der Decke beobachten.

Der blinde Fotograf Evgen Bavcar stellt ebenfalls hier seine sehr eigenen Fotoarbeiten aus, die zur Zeit auch bei Kunst-Schaefer zu sehen sind (wir berichteten ausführlich). Er hat vor 30 Jahren schon das Schloss fotografiert. Und ein herrlich antiquierter Raum huldigt Goethe: Schloss-Mitarbeiter malen nach einem Theaterstück von Peter Hacks das Profil von Gästen hinter einer illuminierten Glasscheibe ab und erstellen daraus einen Schattenriss aus schwarzer Pappe, aus dem sie seine Eigenschaften ablesen. Das ist charmant und poetisch.

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Genau wie jene dem Märchen „Der König von Narnia“ entlehnte Station: Man klettert in einen Schrank – Achtung: Kopf einziehen – und landet dahinter in einem duftenden Raum. Da hängen Kleider auf Bügeln. Hier darf man das tun, was sich sonst verbietet: In den Jackentaschen wühlen und die Gegenstände im Halbdunkel befühlen. Eine Kette, ein Legostein: Es macht Spaß, hier auf Schatzsuche zu gehen. „Das Lakritz darf man auch behalten und essen“, schmunzelt Katharina Schenk.

Ihr Vater hatte die Idee zu einem besonderen Mobile in der Schlosshalle, ein ukrainischer Bühnenbildner genannt „Nuschni“, das heißt: „der Mann, der gebraucht wird“, hat es gebaut: Ein angestrahltes Karussell aus Zweigen, die wie Buchstaben aussehen, zeichnet Schatten auf die Wände. „Buchstaben kommen von Buchen-Stäben“, so Katharina Schenk an diesem Ort, der zur Entschleunigung einlädt. Und während man sich vor dem prasselnden Kaminfeuer in der Halle aufwärmt, wünscht man sich buchstäblich genau das.