Säuretanker vor zehn Jahren auf dem Rhein havariert
Bei St. Goarshausen nahe der Loreley gab es vor genau zehn Jahren ein schweres Unglück bei St. Goarshausen, bei dem zwei Männer ums Leben kamen. Zeitzeugen erinnern sich.
Wäre die „Waldhof“ damals zerbrochen, hätte eine Ökokatastrophe im Rhein gedroht.
(Archivfoto: dpa/Fredrik von Erichsen)
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ST GOARSHAUSEN - (dpa). 2011 ereignet sich einer der folgenreichsten Unfälle auf dem Rhein: die Havarie mit dem Säuretanker „Waldhof“ nahe der Loreley mit zwei Toten. Zeitzeugen erinnern sich. „Wie ein umgedrehter Wal“ habe der Tanker beim weltberühmten Loreley-Felsen im Rhein gelegen. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat das Unglück noch vor Augen: „Wenn die Waldhof durchgebrochen wäre, hätten wir auch noch eine Ökokatastrophe am Rhein gehabt“. An diesem Mittwoch, 13. Januar, ist die Havarie genau zehn Jahre her.
Matthias Pflugradt, der zwischenzeitlich Stadtbürgermeister von St. Goarshausen unterhalb der Loreley war, hielt am vergangenen Sonntag als Laienprediger in der evangelischen Kirche seines Städtchens einen Gedenkgottesdienst. Auf einer der Kirchenbänke saß Lewentz – er wohnt im nahen Kamp-Bornhofen am Rhein. Pflugradt sagt: „Der Gottesdienst war mir ein Herzensanliegen.“ Die Havarie sei ihm ebenfalls noch sehr gut in Erinnerung. Einer der beiden Toten sei von der Rheinströmung fortgerissen und bis heute nie gefunden worden. „Er war so alt gewesen wie ich damals. Das ist sehr berührend“, bekundet der 44-jährige Literaturagent und Medienberater.
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln von 2018 war der 110 Meter lange Tanker „mit Schwefelsäure beladen, wobei die Art der Beladung nicht den europäischen Stabilitätskriterien entsprach und das Schiff um 633 Tonnen überladen“ war. Dadurch sei es instabil gewesen.
Wäre die „Waldhof“ damals zerbrochen, hätte eine Ökokatastrophe im Rhein gedroht. Archivfoto: dpa/Fredrik von Erichsen
Zeitzeuge Matthias Pflugrath steht an der Stelle, von der aus er die Bergung mehr als einen Monat lang täglich mit Fotos dokumentiert hat. Foto: dpa
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Die „Waldhof“ kenterte, trieb kieloben an mehreren anderen Schiffen vorbei, rammte eines und setzte sich am Rand der Fahrrinne fest. In Schifffahrtskreisen wird dieser tückische Flussabschnitt mit seinen Strömungen, Untiefen und unübersichtlichen Kurven Gebirge genannt. Der Sage nach verdrehte hier im burgengesäumten Welterbe Oberes Mittelrheintal einst die schöne Loreley Schiffern den Kopf.
Ralf Schäfer, Fachgebietsleiter Schifffahrt am Standort Bingen des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Rhein, erläutert: „Wenn das Wasser bei der Loreley nicht so besonders tief wäre, hätte sich das Schiff gar nicht drehen können.“ 32 Tage lang blieb Europas verkehrsreichste Binnenwasserstraße gesperrt. „Mehrere hundert Schiffe mussten warten“, berichtet Schäfer. „Von denen haben wir verzweifelte Anrufe bekommen. Viele wollten unbedingt fahren.“
Erst nach einem Monat richteten Schwimmkräne einer niederländischen Spezialfirma den Havaristen wieder auf, nachdem er leergepumpt worden war. Das Schiff wurde abgeschleppt. Schäfer: „Das Aufrichten war nicht einfach.“ Damals sei zu den ohnehin starken Strömungen bei der Loreley noch Hochwasser gekommen.
Minister Lewentz war seinerzeit als Innenstaatssekretär Einsatzleiter des Landes Rheinland-Pfalz am Unglücksort. Damals sei mit dem Wellenschlag anderer Schiffe lange ein Durchbrechen des Säuretankers und eine Verseuchung von Rhein und nahen Trinkwasserbrunnen befürchtet worden. „Wir hatten auch Angst wegen der Explosionsgefahr“, sagt Lewentz.
Pflugradt erinnert sich, dass es einen Monat lang quälende Ungewissheit wegen der beiden vermissten Männer der Besatzung gegeben habe. Erst am Tag der Bergung der „Waldhof“ sei die Leiche eines Besatzungsmitglieds aus Sachsen im Schiffsinneren entdeckt worden. Der fortgespülte und nie gefundene zweite Tote aus Sachsen-Anhalt soll im abgerissenen Steuerhaus gewesen sein. Damals erinnerten am Ufer Blumen, Kerzen und Fotos an die Vermissten.
Die „Waldhof“-Reederei bezifferte den Gesamtschaden auf 3,5 Millionen Euro. Bei der Loreley kommt es Pflugradt zufolge jedes Jahr zu mehreren kleineren Havarien von Binnenschiffen.
Im September 2020 dachten Beobachter auch, das Casting-Schiff der RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) mit Dieter Bohlen und seinem damaligen Jury-Kollegen Michael Wendler an Bord sei auf eine Sandbank aufgelaufen, was der Experte Ralf Schäfer verneint. Das Schiff sei nur bestmöglich platziert worden, damit die Kameras gute Sicht auf die Burgen und tolles Licht hatten. Vor 20 Jahren habe es bei der Loreley noch jährlich mehr als 100 Havarien gegeben. Das sei dank aufgerüsteter Technik besser geworden.
Die Revierzentrale im nahen Oberwesel betreut hier eine in dieser Form bundesweit einzigartige sogenannte Wahrschaustrecke. Rheinaufwärts fahrende Schiffe werden über drei Lichtspalten am westlichen Ufer informiert, welche und wie große Binnenschiffe dort außerdem unterwegs sind. Die Infos richten sich an flussaufwärts fahrende Schiffe, weil diese wegen der Strömung bei Bedarf besser stoppen können.
Pflugradt hat bei der Loreley gelegentlich auch die reparierte „Waldhof“ wieder erspäht: „Sie heißt jetzt Auriga." Er frage sich, ob ihre heutige Besatzung nicht schon einmal ein beklemmendes Gefühl gehabt habe.