Dank perfekter Akustik proben Chöre nicht nur aus Rheinhessen und Mainz in dem 1904 erbauten Sängerheim ein – auch CD-Aufnahmen gelingen hier ausnehmend gut.
Von Jan-Geert Wolff
Volle Konzentration: CD-Produktion mit Gutenberg-Kammerchor und Orchester in der Saulheimer Sängerhalle.
(Fotos:BK/Axel Schmitz)
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SAULHEIM - „Kein Ritardando am Schluss“, ruft der Dirigent. Nicht, dass er das nicht schon in den Proben zuvor öfters angemahnt hätte. Doch nun herrschen verschärfte Verhältnisse: Der Gutenberg-Kammerchor der Mainzer Universität nimmt unter der Leitung von Prof. Felix Koch das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart auf. Und zwei Besonderheiten werden dabei sozusagen ins Ohr stechen: Zum einen hat der Komponist Birger Petersen das Werk um eine bislang fehlende Amen-Fuge ergänzt. Und zum anderen findet die CD-Produktion für das Label Christophorus an einem ganz besonderen Ort statt: in der Sängerhalle Saulheim.
Holzdecke reflektiert den Schall trefflich
Rückblende: Vor anderthalb Jahren lernte Koch den aus Udenheim stammenden Gesangspädagogen Werner Schüßler kennen, der ihm bald die Sängerhalle in Saulheim zeigte, in der er selbst regelmäßig mit seinen Ensembles arbeitet und konzertiert. Koch war sofort begeistert von diesem Bau, der dort herrschenden Akustik sowie den Möglichkeiten, hier eben auch Aufnahmen zu machen.
Ein erneuter Zeitsprung katapultiert an den Beginn des 20. Jahrhunderts: Im Oktober 1904 wurde die Sängerhalle eingeweiht. Stifter war der 1834 in Saulheim geborene Friedrich Weyerhäuser, der mit 18 Jahren in die USA auswanderte und beim Bau der transkontinentalen Eisenbahnstrecken zum „Holzmillionär“ geworden war. Er schenkte dem Gesangverein Liederkranz jene neugotische Sängerhalle mit ihrer walmdachartig vertäfelten Holzdecke, die den Schall auch heute noch so trefflich reflektiert. Neben zahlreichen Portraits erinnert hier der Querschnitt einer über hundert Jahre alten nordamerikanischen Douglasfichte – ein Geschenk der Weyerhaeuser Company aus Tacoma im US-Bundesstaat Washington anlässlich der Hundertjahrfeier des Liederkranzes 1994 – an den in Nieder-Saulheim geborenen Mäzen.
Volle Konzentration: CD-Produktion mit Gutenberg-Kammerchor und Orchester in der Saulheimer Sängerhalle. Fotos:BK/Axel Schmitz
Im Jahr 1904 wurde die neugotische Sängerhalle gebaut – gestiftet von einem in den USA zu Reichtum gekommenen Saulheimer.
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„Diese Halle wurde für den Gesang gebaut“, schwärmt Schüßler, der hier schon berühmte Ensembles wie das Carus Quintett oder den schwedischen Männerchor Orpheus Drängar hörte. Dass der seinerzeit ohne die Kenntnisse der heutigen Akustiktechnik errichtete Bau dennoch höchsten Ansprüchen genügt, ist in der Tat ein Phänomen. Meint auch Ralf Kolbinger, der als Tonmeister des SWR den Gutenberg-Kammerchor aufnimmt: „Schon wenn man den Saal betritt, spürt man eine ganz eigene Atmosphäre – auch wenn man den historischen Hintergrund nicht kennt.“
Die Geschichte steckt hier offenbar im Gemäuer. Oder besser gesagt im Holz: „Vor allem die gigantische Deckenkonstruktion ist für den Klang verantwortlich“, freut sich Kolbinger über die gegebene Höhe. Durch das Holz bekomme der geringe Nachhall eine besonders warme Färbung: Er ist längst nicht so lang wie in einem Sakralbau, aber eben auch nicht so trocken wie im Studio, sondern mischt sich perfekt. Der Tonmeister hat schon an vielen Orten aufgenommen: „Doch die Sängerhalle in Saulheim ist schon etwas Besonderes.“
Gute Bahnanbindung und ausreichend Platz
Als Kleinod beschreibt sie auch Felix Koch: „Es macht unglaublich Spaß, hier zu singen – eine echte Entdeckung.“ Die Tatsache, dass die Sängerhalle das Geschenk eines Mäzens ist, sieht der amtierende Mainzer Stadtmusiker als Anregung für vermögende Kunstsinnige, auch heute für solche Projekte die Spendierhosen anzulegen. Seine Entdeckung will Koch weiterhin mit der Klassikwelt teilen, denn nach Mozart steht bereits die nächste Produktion auf dem Plan: 2020 nimmt der Gutenberg-Kammerchor in Saulheim Georg Friedrich Händels „Messiah“ auf – wie stets begleitet vom exquisiten Neumeyer Consort und mit ausgewählten Solisten.
Dann kommt das Leipziger Chorlabel Rondeau zum Zug. Anlässlich einer Produktion mit dem Mainzer Domchor machte Geschäftsführer Frank Hallmann auch einen Ausflug nach Saulheim und bezeichnet die Sängerhalle als „echten Geheimtipp“. Sie biete optimale Bedingungen, damit sich die Musik im Raum entfalten könne: „Die Großzügigkeit in der Fläche und die Raumhöhe, aber auch die verwendeten Materialien sorgen dafür, dass der Klang nicht durch frühe und unschöne Reflexionen gestört wird. In so einem Raum wird die Musik lebendig.“
Nicht zu vergessen sind auch die guten Rahmenbedingungen: eine direkte Bahnverbindung, die dank umliegender Häuser nicht stört, Räumlichkeiten für die Tonregie sowie genügend Platz für die Musiker im angeschlossenen Gastraum. Die von Haustechniker Heiko Pfau betreute und von Dagmar Balewski, Vorsitzende des MGV Liederkranz 1884 e. V. Saulheim, verwaltete Sängerhalle ist tatsächlich ein Kleinod. Und vielleicht ja bald kein Geheimtipp mehr.