An vielen Weinstöcken in der Region hängen noch verwertbare Trauben. Geerntet werden sie nicht – wegen einer EU-Richtlinie.
Von Torben Schröder
Archivfoto: dpa
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RHEINHESSEN - Die Ernte im Weinberg ist vorüber, doch es hängt noch einiges – oder es liegen dem Anschein nach reife, prima verwertbare Trauben auf dem Boden. Die Anrufe und Zuschriften von Lesern dieser Zeitung, die sich darüber wundern, häufen sich. Und nach der Mangelernte des Vorjahres, den eher zurückhaltenden aktuellen Prognosen und den vielen Schreckensmeldungen aus der Landwirtschaft aufgrund der Trockenheit mutet es in der Tat verwunderlich an, warum manche Winzer ihr Lesegut einfach liegen oder hängen lassen.
Von einer guten Ernte mit hervorragender Qualität, sehr guter Saftausbeute und gesundem Lesegut spricht man bei der Amstad Weinkommission in Bornheim. „Leider dürfen die Winzer aber nicht alles verkaufen, was sie ernten“, bemängelt Marc Amstad. Der Grund ist ein vor rund 30 Jahren erlassenes und zur Jahrtausendwende modifiziertes Gesetz, das Höchstmengen festschreibt. Hintergrund war eine EU-Regelung, wonach die Mitgliedstaaten die Menge an Wein, die in den Markt kommt, regulieren sollten. Mittlerweile werden sogenannte Hektarhöchsterträge festgesetzt, und zwar vom Land. Für das Anbaugebiet Rheinhessen gilt ein Stufenmodell: Für Prädikats- und Qualitätswein dürfen 10 500 Liter pro Hektar vermarktet werden, für Land- und Deutschen Wein – zu nutzen etwa auch für Federweißer – 15 000 Liter und für den sogenannten Verarbeitungswein, der beispielsweise in Traubensaft oder Glühwein fließt, 20 000 Liter pro Hektar. Berechnet wird der Wert laut Dr. Bernd Prior vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Oppenheim auf den gesamten Betrieb bezogen und nicht mehr, wie früher, auf einzelne Lagen.
„Der Zweck ist eine Mengenbegrenzung, damit die Preise stabil bleiben“, erläutert der Weinbau-Abteilungsleiter. Was überschüssig ist, darf nicht verarbeitet werden. Über die Erntemeldungen und Stichproben-Kontrollen werde das kontrolliert. Zu mogeln „sollte sich keiner erlauben“, sagt Prior. Das letzte Mal, dass der Mostertrag so hoch war, dass die Regelung auf breiter Fläche griff, war 1999 mit deutschlandweit fast 12,3 Millionen Hektolitern. Manche Stimmen verweisen auf das Jahr 1982, als 15,4 Millionen Hektoliter zusammenkamen. Üblich sind Werte zwischen neun und zehn Millionen Hektolitern. „Aber heute wird man die tatsächliche Menge kaum noch ermitteln können, weil die Winzer die überschüssigen Trauben liegen lassen“, sagt Prior. Er schätzt, dass etwa jede zwanzigste, vielleicht sogar jede zehnte Traube aufgrund der Höchstmengenregelung liegen bleibt. Besonders die Fassweinerzeuger seien betroffen.
Grundsätzlich hält Prior die Regelung für sinnvoll. „Für mich wäre es einleuchtend, die Traubensaftmenge freizugeben, aber das geht auch nicht“, sagt er. Was aber, wenn die Winzer das überschüssige Lesegut beispielsweise Tafeln oder Food-Sharing-Initiativen zur Selbstabholung anbieten? Für Andreas Schwalb, Weinrechtsexperte beim DLR, liegt schon hier eine rechtliche Grauzone. Zudem könnte es sein, dass in den Weinbergen Spritzmittel verwendet wurden, die bei zum Verspeisen gedachten Trauben gar nicht zulässig wären. Marc Amstad würde es gut finden, wenn das Lesegut komplett vermarktet werden dürfte. „Die bestehende Regelung macht nur Sinn, wenn man auch einen Mindestpreis festlegt“, sagt der Weinkommissionär.
Bei Übermengen ist der Preis das eigentliche Problem. Je mehr Angebot, desto größer der Marktdruck. Im Moment ist das offenbar besonders zu spüren. Bei den Kellereien hält man sich mit Auskünften sehr bedeckt – es ist Verhandlungszeit mit dem Einzelhandel. „Viel schlechter als letztes Jahr“ liege der Preis derzeit, sagt Amstad. Sinnvoll sei, den Winzern die Chance zu geben, dies über mehr Menge auszugleichen – spätestens in den Folgejahren, so wie beispielsweise noch 1999. Doch das geht ebenso wenig wie eine Verrechnung mit der Mangelernte 2017. Allenfalls könnten die Winzer unter bestimmten Voraussetzungen Ertragsmengen im Vorgriff auf mögliche Mindererträge im kommenden Jahr „parken“.
Eine Initiative seitens des Weinbauverbandes, die darauf zielt, dass der Gesetzgeber die Höchstmengen nach oben setzt, gab es nach Auskunft des rheinhessischen Weinbaupräsidenten Ingo Steitz nicht. Der Grund: Bis zum Erntestart sei überhaupt nicht zu erwarten gewesen, dass die Erntemenge dermaßen nach oben schießt. Und mitten in der Ernte Sonderregelungen zu veranlassen, wäre nicht nur bürokratisch hoch kompliziert, sondern auch ungerecht. „Seit wir dieses System haben, hatten wir keine Preisabstürze mehr wie noch in früheren Jahrzehnten“, betont Steitz. Die im Weinberg liegenden Trauben sind, so gesehen, ein zum Glück seltener Kollateralschaden.