MAINZ - „Sport und Bewegung ist eine Schule für das Leben“, hält Professor Ingo Froböse fest, „ich hoffe, dass unsere Bildungsverantwortlichen und Politiker das endlich erkennen.“ Vor 270 Besuchern in Mainz hatte der Sportwissenschaftler und ARD-Gesundheitsexperte über das Thema „Beim Sport gelernt“ referiert und dabei auf den Punkt gebracht, was der Landessportbund mit einer Kampagne verdeutlichen will: den Wert, den der Lernort Sportverein und der Sport an sich für die Entwicklung in allen Phasen unseres Lebens haben.
Der Sportverein stellt Heimat dar, etwas Ideelles, Familiäres – Froböse wusste die vielen Übungsleiter und Vereinsverantwortlichen im Otto-Schott-Gymnasium abzuholen. Fußball auf der Straße, Klettern im Wald, kaputte Knie – was früher normal war, gehe verloren. „Sport ist laut, Sportstätten werden an den Stadtrand gelegt“, betonte der Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule in Köln. Bestehen bleibe der menschliche Bewegungsdrang: „Wir müssen viele Dinge, die wir verloren haben, kompensieren.“ 1,1 Millionen Menschen würden europaweit pro Jahr an Bewegungsmangel sterben. Um dem präventiv entgegen zu wirken, müssten Kinder und Jugendliche „hinsichtlich ihrer motorischen Voraussetzungen gefördert“ werden.
Muskeln erneuern sich alle 15 Jahre
Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit – nicht jeder ist in den Grunddisziplinen gleich veranlagt. „Leichtathletik und Turnen sind die essenziellen Grundlagengeber“, erklärte Froböse, „je früher die Spezialisierung, desto schlechter.“ Stattdessen werden Elfjährige für vierstellige Summen zu Bundesliga-Fußballklubs verkauft. „Und Fitness wird zu einem Konsumgut“, blickte Froböse auf die „Wachstumsraten in dem Segment, wo es schnell gehen soll, ohne viel Schweiß und Aufwand.“ Früher sprach man, mit ganzheitlichem Ansatz, von leiblicher Ertüchtigung, nun zähle nur noch die Hülle.
Auf seinen gegenwartskritischen Ansatz ließ Froböse ein ausgedehntes Plädoyer folgen. So wie die Knochen, erneuern sich auch die Muskeln alle 15 Jahre. „Leistungsabfall im Alter hat damit zu tun, ob ich stimuliere oder nicht. Muskelzellen sind immer in der Lage, trainiert zu werden. Es ist niemals zu spät, mit Sport zu beginnen.“
Plädoyer für Disziplin und Regeln
Doch frühzeitige Bewegungsförderung hilft ein Leben lang. Das Alter acht bis 14 Jahre sei die beste Phase des motorischen Lernens. Ein Sechstel bis ein Viertel der Gehirnzellen gingen in der Pubertät verloren. Froböse leitet die Verpflichtung ab, aktiv Gehirnstrukturen zu entwickeln – schließlich stünden kognitive Prozesse in engem Zusammenhang mit motorischen Fähigkeiten. Motorische Aktivität und Gehirnwachstum seien verbunden, jeder Spaziergang erhöhe die Durchblutung des Gehirns.
Das Kampagnenmotto trifft insofern ins Schwarze. Froböse sieht auch gesellschaftliche Implikationen. Wo, wenn nicht im Sport, könnten Jubel und Niederlage, Glück und Ärger intensiv ausgelebt werden? „Das Emotionale“ sei eine „unheimlich wichtige Ressource“ – und gesellschaftlich verpönt, sodass es sich immer stärker in verzerrter, übersteigerter Form entlädt. Auch durch soziale Erlebnisse sowie das Übernehmen von Verantwortung für andere und sich selbst könne der Sportverein heilsam wirken. Froböse spricht von „Kompetenzen, die alle Lebenssituationen betreffen“. Und „Disziplin und Regeln sind etwas, das unserer Gesellschaft gut tun würde“, ebenso wie die im Sport erlernte Belastbarkeit und Stressresistenz – mitsamt der zur Leistungssteigerung so wichtigen Zeit zum Regenerieren. Sport als Schule des Lebens eben.