Mainz: Polizeidirektor Achim Zahn geht in Ruhestand
Von Frank Schmidt-Wyk
Reporter Rheinhessen
Es ist nicht das, wonach es aussieht, sondern wirklich reiner Zufall: Mit dem Motto seiner aktuellen Spielzeit will das Staatstheater Mainz keineswegs Stellung beziehen zum Ende der Spielzeit von Polizeidirektor Achim Zahn – oder gar zu dessen Verhalten als Einsatzleiter bei der AfD-Kundgebung am 21. November 2015 genau an dieser Stelle. Foto: Sascha Kopp
( Foto: Sascha Kopp
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MAINZ - Die Schränke im Büro des Polizeidirektors sind ausgeräumt, der Schreibtisch ist leergefegt, in der Ecke stehen Kartons: Achim Zahn packt seine Sachen. Am heutigen Freitag, wenn er zu seiner Verabschiedung geht, wenn er also das letzte Mal aus der Tür seines Büros in den Korridor im 1. Stock des Präsidiums tritt, erst dann wird er auch noch den kleinen Zettel von der Wand nehmen, der in Augenhöhe rechts neben dem Türrahmen fesgepinnt ist. Die anatomische Zeichnung einer menschlichen Wirbelsäule, darüber steht: „Wanted“. Daneben: „Das Rückgrat. Es ermöglicht den aufrechten Gang. Eine Haltung, die man um keinen Preis aufgeben sollte.“
Ein Kollege hat Zahn die Zeichnung geschenkt, als er 2004 die Leitung der Polizeiinpektion 2 in der Neustadt übernahm. Zuvor war er fünf Jahre lang Chef der Inspektion 1 in der Weißliliengasse gewesen. Der Kollege arbeitet inzwischen beim Landeskriminalamt und hat in seinem Büro, laut Zahn, genau drei Bilder aufgehängt: die Queen, Maggie Thatcher – und Achim Zahn.
Rückgrat zeigen – die Botschaft der kleinen Zeichnung nahm sich Zahn offenbar auch zu Herzen, als er am Abend des 21. November 2015 Strafanzeige stellte gegen den Intendanten des Mainzer Staatstheaters, Markus Müller, und sich damit eine Menge Ärger einhandelte.
Es ist nicht das, wonach es aussieht, sondern wirklich reiner Zufall: Mit dem Motto seiner aktuellen Spielzeit will das Staatstheater Mainz keineswegs Stellung beziehen zum Ende der Spielzeit von Polizeidirektor Achim Zahn – oder gar zu dessen Verhalten als Einsatzleiter bei der AfD-Kundgebung am 21. November 2015 genau an dieser Stelle. Foto: Sascha Kopp Foto: Sascha Kopp
Es ist nicht das, wonach es aussieht, sondern wirklich reiner Zufall: Mit dem Motto seiner aktuellen Spielzeit will das Staatstheater Mainz keineswegs Stellung beziehen zum Ende der Spielzeit von Polizeidirektor Achim Zahn – oder gar zu dessen Verhalten als Einsatzleiter bei der AfD-Kundgebung am 21. November 2015 genau an dieser Stelle. Foto: Sascha Kopp Foto: Sascha Kopp
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Intendanten angezeigt
Müller hatte rund 100 Mitarbeiter mit Beethovens „Ode an die Freude“ gegen eine AfD-Kundgebung auf dem Gutenbergplatz ansingen lassen und sich, so sah es Zahn, möglicherweise der erheblichen Störung einer nicht verbotenen Versammlung und damit eines Verstoßes gegen Paragraf 285 des Strafgesetzbuches schuldig gemacht. Müller wurde als Held gefeiert, Zahn stand als Buhmann da. Er dürfte der einzige Polizeidirektor sein, der es sogar in die Schlagzeilen der internationale Presse geschafft hat. Tenor: Mainzer Staatstheater kassiert Strafanzeige der Polizei für Protest mit Beethoven gegen Rechts.
Auch aus Stadt- und Landespolitik, vor allem aus Richtung von SPD und Grünen, bekam Zahn Gegenwind zu spüren. Das hat ihn zwar enttäuscht. Doch damals wie heute plagen ihn nicht die geringsten Zweifel, richtig gehandelt zu haben. „Legalitätsprinzip“ lautet für ihn das entscheidende Stichwort: die Verpflichtung der Polizei, ein Verfahren einzuleiten, wenn sie von einer möglichen Straftat Kenntnis erlangt. Es habe in dieser Sache für ihn keinen Spielraum gegeben, sagt Zahn. Er ertrug es still, als man ihm unterschwellig Sympathien für die AfD unterstellte – und war dann alles andere als niedergeschlagen, als die Staatsanwaltschaft Monate später die Ermittlungen gegen Müller einstellte.
AUSGEWÄHLTE ZAHN-STATIONEN
1971-1973: Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei
1973-1980: Einzeldienst in den Polizeiinspektionen (PI) 1 (Innenstadt) und 3 (Lerchenberg)
1999-2004: Leiter PI 1
2004-2014: Leiter PI 2 (Neustadt)
2014-2017: Leiter Polizeidirektion Mainz (Zuständig für die drei Mainzer Stadtinspektionen sowie die Inspektionen Ingelheim und Oppenheim)
Ausgewählte ZAHN-Stationen
1971-1973: Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei
1973-1980: Einzeldienst in den Polizeiinspektionen (PI) 1 (Innenstadt) und 3 (Lerchenberg)
1999-2004: Leiter PI 1
2004-2014: Leiter PI 2 (Neustadt)
2014-2017: Leiter Polizeidirektion Mainz (Zuständig für die drei Mainzer Stadtinspektionen sowie die Inspektionen Ingelheim und Oppenheim)
6700 Überstunden angehäuft
Menschen mit Rückgrat können unbequem sein. Zahn scheute sich nie, auch Missstände innerhalb der Polizei anzusprechen, den Personalabbau, die vielen Überstunden. 6700 schob er zu Spitzenzeiten vor sich her und war damit vorübergehend Rekordhalter in Rheinland-Pfalz. Jetzt sind es noch etwas über tausend – genug, um sich eineinviertel Jahr vor Erreichen des Ruhestandsalters aus dem Dienst zu verabschieden.
Viele Kollegen schätzen Zahn für seine Geradlinigkeit und werden ihn vermissen. Für den einen oder anderen Politiker und Vorgesetzten gilt das vermutlich nur eingeschränkt. Mit Achim Zahn tritt ein Typus Beamter ab, der in der Polizei und nicht nur dort, immer seltener wird. Vor sechs Jahren startete die Gewerkschaft der Polizei eine aufwändige Medienkampagne, um der Gesellschaft in Erinnerung zu rufen: Ein Polizeibeamter ist „auch Mensch“. Achim Zahn verkörpert eher die Botschaft: Dieser Mensch ist auch Polizist. Er hat eine eigene Meinung, sagt sie auch – und steht dazu.
Zum Menschsein wie zum Polizistsein gehört ebenso die Fähigkeit, mal Fünfe gerade sein zu lassen. Auch dafür gibt es einen speziellen Polizeibegriff: „Opportunitätsprinzip“. Er bedeutet, dass Beamte insbesondere bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten einen Ermessensspielraum haben. Als Streifenpolizist herrschte Zahn in der Neustadt mal einen Mann an, der gerade an eine Hauswand urinierte. „Der zuckte zusammen und zog blitzartig die Hose hoch. Auf einmal sahen wir, wie ihm aus den Hosenbeinen die Brühe lief“, erzählt Zahn grinsend. Anstatt ein Bußgeld wegen Wildpinkeln zu kassieren, ließ er den Mann laufen. „Der war genug gestraft.“
Gewagte Strategie ging auf
Fingerspitzengefühl und Humor, einschließlich der für Polizisten nicht unbedingt typischen Eigenschaft, über sich selbst lachen zu können, gehören – neben dem durchgedrückten Rückgrat – zur Wesensart des Achim Zahn. Als es im Sommer 2002 Aufregung gab um Punker, die vor dem Theater herumlungerten, kochte er den Konflikt geschickt herunter. Bei einem Aufeinandertreffen zwischen demonstrierenden Augsburger Fußballfans und Mainzer Ultras, die am Schillerplatz ihr Revier abstecken wollten, hielt Zahn die Polizeikräfte bewusst zurück. Eine gewagte Strategie, zumal direkt vor der Tür des Innenministeriums, doch sie ging auf, der Showdown blieb friedlich.
Ultras werden ihm keine Träne nachweinen
Dennoch werden die Ultras Zahn vermutlich keine Träne nachweinen. Für einige von ihnen war der Polizeidirektor, der bei zahllosen Heimspielen der Nullfünfer die Einsatzleitung hatte, zumindest zeitweise ein Feindbild. Zahn würde niemals behaupten, dass es die Ultras waren, doch es war nun mal während einer solchen schwieirigen Phase, als ihm jemand zuhause eine tote Ratte hinter die Regenrinne des Carports hängte. „Womöglich hat sie ja auch Selbstmord begangen“, überlegt Zahn. Vielleicht aus Entsetzen über das Aussehen des Carports, den er selbst gezimmert habe. Heinwerken ist eines der wenigen Hobbies, für die er neben dem Dienst noch Zeit fand. Wie viele Kollegen hat Zahn privat einen hohen Preis bezahlt für seine Polizeikarriere.
Und jetzt? Freut er sich darauf, mehr Zeit mit seiner zweiten Frau, seinen drei erwachsenen Kindern und den „zweidreiviertel“ Enkeln zu verbringen. Und sich um seine 92-jährige Mutter kümmern zu können, die immer noch an der Mosel wohnt. Als Polizeidirektor hatte er sie regelmäßig besucht, immer dienstags, seinem „Muttertag“. Genug Überstunden abzubauen gab es ja.
Zahn wird sich allerdings erst daran gewöhnen müssen, dass es nun keiner „Lagebeurteilung“ mehr bedarf, wenn er sich zum Einkaufen auf den Weg in die Stadt macht und dass er sich am Telefon jetzt nicht mehr mit: „Zentrum der Arbeit“ melden muss, wenn der AZ-Reporter anruft.