Kohlgraf zu Missbrauch: „Wir werden jeder Meldung nachgehen”

Die Lektüre der Missbrauchsstudie für das Mainzer Bistum habe auch ihn an persönliche Grenzen gebracht, sagt Bischof Peter Kohlgraf im Interview mit dieser Zeitung.

Welche Konsequenzen der Mainzer Bischof aus der Missbrauchsstudie zieht, wann er von den Fällen erfahren hat und was er über die Vorwürfe gegen seinen Vorgänger Karl Lehmann sagt.

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Bischof Kohlgraf: „Lehmann war nicht nur der liebe Mensch”

Herr Bischof, die Lektüre der Missbrauchsstudie ist auch für den neutralen Beobachter aufwühlend. Welche Gefühle hatten Sie beim Lesen?

Seit dem Zwischenbericht von Anwalt Weber im Oktober 2020 war klar, dass Missbrauch auch im Bistum Mainz ein erhebliches Thema ist. Auch ein systemisches. Aber die konkreten Schilderungen jetzt waren für mich fast nicht mehr erträglich. Ich habe die Studie in zwei Tagen gelesen und bin dabei auch persönlich an echte Grenzen gekommen.

Beim Lesen gewinnt man den Eindruck, dass es bei vielen Mitarbeitern ein offenes Geheimnis war, dass Kardinal Lehmann zwei Seiten hatte. Wirklich überraschend können die Ergebnisse für Sie nicht gewesen sein.

Dass Kardinal Lehmann nicht nur der liebe Mensch war, das haben viele gemerkt, die sehr eng an ihm dran waren. Das spricht aber nicht gegen ihn. Nur mit Liebsein kann man so ein Amt nicht ausüben. Aber ich kann mich als Bischof nicht über die Abwehr bestimmter Themen definieren, das geht nicht.

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Wann haben Sie erstmals von Missbrauchsfällen im Bistum erfahren?

Sehr konkret, auch mit Namen verbunden, zum ersten Mal bei der MHG-Studie 2018 (die Studie der Bischofskonferenz, d. Red.). Bevor ich 2017 Bischof wurde, war das für mich eher ein akademisches Thema. 

Wie meinen Sie das?

Ich war zehn Jahre im Schuldienst, uns wurde schon damals bei Fortbildungen gesagt: Rechnen Sie damit, dass in jeder Klasse zwei bis drei Kinder sitzen, die von sexueller Gewalt betroffen sind. Nicht nur im Bereich der Kirche. Aber zu einem Thema, das mich persönlich ganz stark betrifft, wurde es mit der MHG-Studie.

Was wusste der heutige Generalvikar Bentz über die Vorgänge im Bistum Mainz?

Ihr heutiger Generalvikar, Udo Bentz, war bei Lehmann unter anderem vier Jahre Bischofskaplan. Für wie glaubwürdig halten Sie, dass er nichts gewusst hat?

Ich glaube ihm das. Punkt. Ich kenne aus Köln noch die Aufgaben eines Bischofskaplans: Dazu gehörte die Vorbereitung von Liturgie, theologische Zuarbeit, auch die Beantwortung von Post, die aber schon vororganisiert war. Die Studie zeigt, dass der Bischofskaplan nicht an inhaltlichen Entscheidungen beteiligt war. Kardinal Lehmann war nach meiner Wahrnehmung, und das sagt ja auch die Studie, niemand, der das Thema Missbrauch wirklich an sich heranließ. Er hat das direkt an Generalvikar oder Personaldezernent gegeben und nicht im Bischofshaus diskutiert. Und ich werde den heutigen Generalvikar auch danach beurteilen, was er in den letzten fünf Jahren geleistet hat. 

Nämlich?

Er hat mit mir die Studie beauftragt. Wenn er etwas gewusst hätte, dann wäre er das Risiko eingegangen, dass dies auch zur Sprache kommt, und dann hätte er auch seine eigene Existenz gefährdet. In der ganzen Studie findet sich nun nicht ein einziger Hinweis auf ein Mitwissen. Und ich nehme wahr, dass er zusammen mit mir und den anderen Verantwortlichen eine Art der Aufarbeitung in die Wege geleitet hat, die dafür spricht, dass es ihm um völlige Transparenz geht.

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Generalvikar in der Lehmann-Zeit war Dietmar Giebelmann. Wie gehen Sie mit ihm um?

Er hat keine Aufgabe mehr im Bistum. Anwalt Weber hat mit ihm gesprochen, er hat sich offen geäußert. Insofern werde ich aus der Studie keine dienstrechtlichen Konsequenzen mehr ziehen können. 

Im Vergleich zum Fehlverhalten früherer Bischöfe stehen Sie selbst als Saubermann dar. 

Es geht hier nicht um mich und dass ich gut dastehe. Ich betrachte mich auch nicht als Saubermann. Persönlich habe ich mir in den vergangenen Jahren im operativen Geschäft nichts vorzuwerfen. Aber ich will auch nicht derjenige sein, der mit moralischem Zeigefinger auf seine Vorgänger zeigt. Ich weiß nicht, wie ich vor zehn, 20, 30 Jahren gehandelt hätte. Wir haben jetzt klare Leitlinien, das ist vielleicht die Gnade der späten Geburt. Und wir sind in der Leitung hoffentlich sensibel genug geworden für die Brisanz dieses Themas.

Der Abschlussbericht der Missbrauchsstudie liegt vor, aber noch immer sind viele Fragen offen: der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf im Interview.
Der Abschlussbericht der Missbrauchsstudie liegt vor, aber noch immer sind viele Fragen offen: der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf im Interview. (© Tim Würz)

Wie können Sie ausschließen, dass heute Fehler passieren?

Wenn sich bei uns im Bistum ein Mensch meldet, den Missbrauch betrifft, ist das Vorgehen völlig klar. Wir haben verschiedene Kommissionen, es ist nicht mehr allein Sache des Bischofs, das auszukungeln. Dieses Mehraugenprinzip schafft Professionalität.

Die Studie macht auch Gemeinden und Familien schwere Vorwürfe. Beschuldigte seien in Schutz genommen, Betroffenen nicht geglaubt worden. Wie soll es auf den unteren Ebenen weitergehen?

Auch hier geht es nicht um Vorwürfe, sondern um Sensibilisierung: Schaut genau hin, glaubt euren Kindern, wenn sie was erzählen. Und geht dann in die Kommunikation. Das wäre meine Botschaft. 

Seit Veröffentlichung der Studie im Bistum Mainz haben sich weitere Betroffene gemeldet

Nur wenige Beschuldigten wurden strafrechtlich verfolgt. Erwarten Sie neue Anzeigen?

Wir werden jeder Meldung nachgehen. Wir haben in den letzten Jahren jeden gemeldeten Tatbestand, egal ob er rechtlich relevant war oder verjährt, an die Staatsanwaltschaften gegeben. Von deren Seite sind die Beschuldigten, die wir kennen, juristisch bearbeitet. Viele Täter sind tot, aber die Betroffenen sind noch da. Für uns ist die ganz entscheidende Frage, wie wir ihren Bedarfen wirklich gerecht werden können. Zudem war ja eine Hoffnung der Studie, dass sich neue Betroffene melden und dass sich das Dunkelfeld, das es sicherlich gibt, erhellt.

Haben sich seit der Veröffentlichung weitere Betroffene gemeldet? 

Ja, tatsächlich über die Hotline, die wir eingerichtet haben. 

Wie viele?

Persönlich weiß ich von zwei.

Suchen Sie auch nach Mitarbeitern, die etwas vertuscht haben?

Das wird eine Fragestellung für die weitere Aufarbeitung der Studie sein. Es wird dabei aber nicht nur darum gehen, Schuld zuzuweisen. Sondern auch unseren Mitarbeitenden die Chance zu geben, ihre Erfahrungen mit dem System Bistum und Kirche anzusprechen.

Bei Ihrer Pressekonferenz hat ein Betroffener von Ihnen für die Opfer eine pauschale, sechsstellige Entschädigung gefordert. Was halten Sie für angemessen? 

Zunächst einmal fand ich es wichtig, dass dort auch eine Betroffenenstimme zu Wort kommt. Ich halte es für einen Gewinn, dass wir jetzt in allen deutschen Diözesen eine einheitliche Regelung für die Anerkennungszahlungen haben: Eine unabhängige Kommission legt anhand von Schmerzensgeldtabellen die Beträge fest, und zwar großzügig. Dass auch bei diesem Verfahren Verletzungen entstehen, verstehe ich. Die andere Seite ist aber, dass eine pauschale Zahlung noch keine Gerechtigkeit herstellt. Die Fälle sind ja auch sehr unterschiedlich. Zusätzlich werden wir auch weiterhin individuelle Bedarfe sehr niedrigschwellig erfüllen, etwa wenn es um Therapiekosten geht.

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Kohlgraf: Vertrauen zurückgewinnen durch Transparenz, klare Intervention und Prävention

Die Bistumsleitung stellt sich nun in Dialogveranstaltungen der Diskussion, jeweils eine pro Region. Reicht das?

Nein, das ist erst ein Aufschlag. Eine Erfahrung der vergangenen Jahre ist: Es gibt Gemeinden, in denen solche Themen nochmal aufbrechen. Wenn etwa bei einem harmlosen Besuch die Frage aufkommt: Warum hängt dieses Bild des Pfarrers noch im Pfarrheim? Dann merkt man: Da war was. Und dann müssen wir ins Gespräch gehen.

Die Kirche steckt auch wegen der Missbrauchsfälle in einer tiefen Vertrauenskrise. Wie wollen Sie verlorenes Vertrauen zurückgewinnen? 

Ich kann nicht garantieren, dass das nie wieder vorkommt. Aber ich will garantieren, dass wir transparent damit umgehen. Ich glaube, wir sind auf einem Weg, Vertrauen zurückzugewinnen durch klare Intervention und Prävention. Dass im Bistum bereits 20.000 ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter durch Schulungen gegangen sind, ist eine Riesengeschichte. Da werden wir immer wieder nachbessern. Aber um Vertrauen kann ich nur bitten, das kann ich nicht einfordern.