Kirchenasyl - Küster fühlt sich nach Durchsuchung kriminalisiert: "Man will mich unter Druck setzen"
Als Andreas Koch morgens um 6 Uhr die Tür öffnet, stehen sie vor ihm: sechs Polizisten und Mitarbeiter der Kreisverwaltung. Sie präsentieren ein Gerichtsdokument, zwei Verwaltungsangestellte beginnen kurz darauf
mit der Durchsuchung der Räume von St. Pankratius in Budenheim. Sie suchen einen Flüchtling, der zuvor im Kirchenasyl in der Gemeinde war. Für Koch ist das eher ein Versuch, ihn einzuschüchtern. Kurz darauf beendet er alle ehrenamtlichen Aktivitäten in der Gemeinde.
Von Dominic Schreiner
Andreas Koch, Küster der Gemeinde St. Pankratius in Budenheim, ist der Überzeugung, dass die Verwaltung ihn, den Flüchtlingshelfer, einschüchtern will. Foto: Torsten Boor
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BUDENHEIM - Als Andreas Koch am Mittwoch vergangener Woche um 6 Uhr die Tür öffnet, stehen sie vor ihm: sechs Polizisten und ein paar Mitarbeiter der Kreisverwaltung Mainz-Bingen. Die Männer präsentieren ihm ein Dokument des Verwaltungsgerichts Mainz. Und wenig später fangen zwei Verwaltungsangestellte mit der Durchsuchung an, während die Polizisten draußen stehen bleiben – draußen vor der Kirche St. Pankratius in Budenheim.
Sie durchsuchen das Gotteshaus samt Altarraum und Sakristei, das Küster- und das Pfarrhaus inklusive der sich dort befindenden Wohnungen, das Büro des Pfarrers sowie weitere Räume auf dem Gelände der Gemeinde. Koch, Küster der Gemeinde, muss dabei zusehen. Noch früher am Morgen waren die Beamten nach Auskunft der Verwaltung auch zu einer kommunalen Flüchtlingsunterkunft der Gemeinde Budenheim gefahren.
Syrer war bis einen Monat vorher in Kirchenasyl
Der Grund: Ein Flüchtling aus Syrien, ein sogenannter Dublin-III-Fall, sollte an diesem Tag nach Bulgarien abgeschoben werden. Dort hatte er zuerst Boden der EU betreten, dort hätte er gemäß internationaler Abkommen auch seinen Asylantrag stellen müssen. Die Gemeinde St. Pankratius hatte ihm mit Genehmigung des Bistums Mainz und in Absprache mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zwischen Mitte Dezember und bis zum 20. Februar, also gut einen Monat vor der Durchsuchung, aus humanitären Gründen offiziell Kirchenasyl gewährt.
== STAAT ERMITTELT ==
Das Institut Kirchenasyl ist seit vielen Jahren umstritten, aktuell scheint es zunehmend weniger von Behörden respektiert zu werden. In Bayern etwa wurde wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt aktuell eine größere Anzahl an Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer eingeleitet, die Kirchenasyl gewährt hatten, es soll allein in Bayern mindestens 50 Verfahren geben. Den Betroffenen drohen bei einer Verurteilung Geld- und Freiheitsstrafen.
Zumeist werden diese Verfahren folgenlos eingestellt, sollen jedoch zumindest eine einschüchternde Wirkung auf die betroffenen Kirchenvertreter haben. Asylverbände kritisieren diese Entwicklung scharf. Es ist davon die Rede, dass es sich um „politisch motivierte Einschüchterungsversuche“ handeln solle. „Ich habe kein Verständnis für die Kriminalisierung von Menschen, die gewaltfrei dafür eintreten, Menschenrechte zu achten und Leben zu schützen“, sagt Dietlind Jochimd, Vorsitzender der BAG
== STIMMEN ==
"Man unterstellt uns, dass wir rechtswidrig handeln." Andres Koch, Küster der Gemeinde St. Pankratius Budenheim
"Die Frage ist, ob sich die Gemeinde daran gehalten hat." Kreisverwaltung Mainz-Bingen
"In Budenheim wurden die Verfahrenswege eingehalten" Bistum Mainz
"Wir bewegen uns auf dem Boden von Recht und Gesetz." Thomas Zöller, Sprecher der Kreisverwaltung Mainz-Bingen
"Die wollen uns fertig machen." Andres Koch, Küster der Gemeinde St. Pankratius Budenheim
"Das ist mir bislang landesweit noch nicht untergekommen" Siggi Pick, Ausländerpfarrer und Leiter des Arbeitskreises Asyl Rheinland-Pfalz
Doch der Mann war mittlerweile untergetaucht, nachdem der Rechtsweg im Asylverfahren in Deutschland erschöpft war, er auch vor dem Verwaltungsgericht in Trier keinen Aufenthaltstitel erstreiten konnte und er zuletzt in einer kommunalen Unterkunft der Gemeinde Budenheim untergebracht war. Die Kreisverwaltung hatte nach eigenen Angaben und entgegen der Auskunft durch Küster Koch jedoch „Hinweise darauf, dass sich der Gesuchte immer noch auf dem Gelände der Kirchengemeinde“ befände.
Und vollzog daher den Durchsuchungsbeschluss, den sie sich vom Mainzer Verwaltungsgericht bereits am 16. Februar hatte ausstellen lassen. „Die unterstellen uns permanent, dass wir rechtswidrig handeln würden“, zeigt sich Koch auch Tage nach der Aktion noch erbost und persönlich agegriffen – „kriminalisiert“, wie er sagt.
Reichlich Klärungsbedarf nach Kirchen-Durchsuchung
„Warum wurde alles durchsucht bis auf unser altes Kirchengebäude am anderen Ende des Orts? Die haben doch gar nicht erwartet, dass der Syrer hier ist. Die wollen uns fertig machen“, sagt Koch. „Das ist Quatsch. Niemand will hier ehrenamtliche Flüchtlingshelfer kriminalisieren oder einschüchtern,“ sagt Thomas Zöller, Sprecher der Kreisverwaltung.
„Wir bewegen uns auf dem Boden von Recht und Gesetz“, bekräftigt er, „das ist unzweifelhaft. Wir können über vieles diskutieren. Worüber man nicht diskutieren kann, ist, dass es für unser Handeln eine rechtliche Grundlage gab. Die Vorwürfe in unsere Richtung können also eher moralisch-ethischer Natur sein.“
Doch die durch ein Gericht abgesicherte Durchsuchung der Kirchenräume, die in persönlicher Anwesenheit des kommissarischen Leiters der Ausländerbehörde des Kreises, Bernd Misskampf, und des leitenden staatlichen Beamten der Kreisverwaltung, Stefan Cludius, vollzogen wurde, sorgt über die Grenzen Budenheims hinaus für reichlich Diskussions- und Klärungsbedarf. Vor allem weil, so die Überzeugung von Koch als Vertreter der Kirchengemeinde und auch die des Bistums Mainz, die Beendigung des Kirchenasyls den staatlichen Stellen formal angezeigt worden sei.
Am 20. Februar aus Kirchenasyl entlassen
Zudem sei der Syrer am 20. Februar offiziell aus dem Kirchenasyl entlassen worden und sei im Beisein der Budenheimer Sozialbehörde in die Flüchtlingsunterkunft der Kommune zurückgekehrt. Zwei Tage später habe das Sozialamt ihm dann Geldmittel ausgezahlt.
„Vor diesem Hintergrund bedauert das Bistum Mainz, dass trotzdem eine umfangreiche Durchsuchung kirchlicher Räume durchgeführt wurde“, heißt es in einer Stellungsnahme des Bistums. „Im Budenheimer Fall wurden die Verfahrenswege eingehalten“, ist sich das Bistum sicher, das weiterhin darauf verweist, dass ihm ein entsprechender Schriftverkehr zwischen Pfarrei und Budenheimer Verwaltung vom 17. Februar vorliege, mit dem der Umzug des Syrers in die kommunale Flüchtlingsunterkunft vorbereitet wurde.
Der Kreisverwaltung scheint das aber nicht ausgereicht zu haben. „Es gab nie eine offizielle Bestätigung durch die Gemeinde, dass das Kirchenasyl beendet ist“, erklärt Zöller. Zwar sei bekannt gewesen, dass das Bistum das Kirchenasyl formal für beendet erklärt hatte – „doch die Frage ist, ob sich die Gemeinde auch daran gehalten hat. Das ist der Kern des Ganzen.“
"Kirchenasyl ist wieder ein großes Thema
Schließlich habe etwa der Pfarrer der Budenheimer Gemeinde, der inzwischen seit einiger Zeit im Urlaub ist, in einem Gespräch am 24. Februar mitgeteilt, dass er mit dem Syrer über das weitere Vorgehen sprechen wolle. „Damit bestand Grund zur Annahme, dass er sich noch im Kirchenasyl aufhalten könnte“, erläutert Zöller. Der Verwaltungssprecher betont: „Es hat keine Durchsuchung gegeben, auch keine Razzia. Wir sind lediglich mit dem Küster
und dem nötigen Respekt vor den Örtlichkeiten durch die Räume gegangen.“
„Es ist ausgesprochen ungewöhnlich, dass eine Ausländerbehörde in Kirchenräume eindringt, nachdem die betroffene Gemeinde das Kirchenasyl für beendet erklärt hatte“, sagt der Bad Kreuznacher Ausländerpfarrer Siggi Pick, der auch der Leiter der Geschäftsstelle des Arbeitskreises Asyl Rheinland-Pfalz ist. „Das bedeutet doch, dass die Behörde Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Gemeinde hat, was für uns sehr erstaunlich und mir bislang landesweit noch nicht untergekommen ist.“ Aktuell sei eine Flut von Ablehnungsbescheiden und Dublin-Verfahren festzustellen. „Kirchenasyl ist wieder ein großes Thema“, sagt er.
Irritation im Integrationsministerium
Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium von Anne Spiegel (Grüne) zeigt sich von dem Vorgehen der Kreisverwaltung Mainz-Bingen irritiert. „In den vergangenen Jahren hat es in Rheinland-Pfalz keine nennenswerten Probleme mit Kirchenasyl-Fällen gegeben. Wir haben mit dem Leitsatz, nach dem alle Beteiligten sensibel und bedacht mit einem solchen Fall umgehen, sehr gute Erfahrungen gemacht“, telit die Ministerin auf Anfrage mit. „Ich würde es begrüßen, wenn dieses Vorgehen so auch in Zukunft umgesetzt würde.“ Das Ministerium stehe mit der Verwaltung in Kontakt, um sich ein Bild über die näheren Umstände zu machen, die zu der Maßnahme geführt haben. Von daher sei es für eine abschließende Bewertung noch zu früh.
Für Küster Koch ist es aber schon fast zu spät. Direkt nach dem Vorfall hat er auch zum Schutz seiner Mitstreiter seine ehrenamtlichen Tätigkeiten für St. Pankratius eingestellt. „Beihilfe zum Untertauchen wird mir unterstellt“, meint er. Die Mitglieder der Kirchengemeinde würden hinter ihm stehen, Dennoch: „Ich muss davon ausgehen, dass man mich persönlich unter Druck setzen will.“ Und Fälle wie der seine, in denen Flüchtlingshelfer ins Kreuzfeuer von Behörden gelangten, würden sich momentan deutschlandweit häufen.