Samstag,
23.12.2017 - 03:00
4 min
Gott nur einen Mausklick weit entfernt – Digitalisierung ist in den Kirchen Rheinhessens angekommen

Von Anita Pleic
Redaktionsleitung Rheinhessen
RHEINHESSEN - Gott – nur einen Mausklick entfernt? Werden wir in Zukunft Spiritualität live aus den Kirchen auf die Smartphones übertragen? In vereinzelten Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) lautet die Antwort auf letztere Frage schon heute: Ja. Willkommen in der Kirche der Zukunft!
Ein Jahr ist es her, dass in Eppertshausen (Hessen) ein Pilotprojekt startete. Ein interaktiver Gottesdienst unter dem Titel „5015 – ruf nach mir“ wurde etabliert (Der Titel bezieht sich auf den Psalm 50,15). Die Idee: eine virtuelle Glaubensgemeinde aufbauen, Gottesdienst für die erlebbar machen, die nicht mehr mobil genug sind. Mit Beginn des Gottesdienstes startet auch der Livestream, während der Liturgie gibt es eine Umfrage zu einer theologischen Frage und ähnliches. Die Ursprungsidee schwappte nach Rheinhessen über, wo in Ingelheim der erste Live-Gottesdienst aus der Versöhnungskirche im Frühjahr dieses Jahres übertragen wurde. Zwar mit ein paar technischen Problemen, aber durchaus mit Interesse von Gläubigen verfolgt. Der Gottesdienst 2.0, so der Titel im ersten Livestream aus einer rheinhessischen Kirche, setzte auf Austausch. Wer live dabei war, konnte Wünsche für die Fürbitten äußern, Kommentare zur Predigt auf der Seite lassen, die Konfirmanden twitterten gleichzeitig Bilder aus dem Gottesdienst. Trotz Hängern in der Übertragung: Wiederholungen sind angedacht. Auch weil die Ingelheimer mit Vikar Simon Weigand jemanden in der Gemeinde haben, der dem Thema äußerst aufgeschlossen gegenübersteht, Ideen einbringt und umsetzt, wie Klaus-Volker Schütz, Propst für Rheinhessen und das Nassauer Land, erklärt.
Kirchenpräsident fördert neue Formate für digitale Kanäle
Und damit liegt der Ingelheimer Vikar ganz auf einer Wellenlänge mit Volker Jung, Kirchenpräsident der auch für Rheinhessen zuständigen EKHN. Der nutzt die Möglichkeiten, die Digitalisierung auch den Glaubensgemeinschaften bietet, schon intensiv. Medienbischof der Evangelischen Kirche Deutschlands ist er, war im Silicon Valley und hat sich dort, in der Weltmetropole der Digitalisierung, angeschaut, wie sich Lebens- und Arbeitswelten ändern, welche Chancen die fortschreitende Digitalisierung auch in der Kommunikation mit den Gläubigen aller Generationen bieten kann. Jung füttert seine Facebook-Seite täglich mit Neuigkeiten, hat in seiner Kirche ein zentrales Medienhaus in Frankfurt und im Lutherjahr 2017 einen Schwerpunkt auf Digitalisierungsprojekte gesetzt.
Die ureigenste Aufgabe der christlichen Kirchen, das Evangelium zu kommunizieren, das soll in Zukunft verstärkt auch über Soziale Medien möglich sein. Glaube, so hatte Jung in verschiedenen Interviews gesagt, sei schließlich immer darauf angewiesen, mit anderen zu kommunizieren. Ein Grund, wieso auch in der Propstei Rheinhessen und Nassauer Land das Thema immer mehr in den Alltag der Kirchengemeinden und der Gläubigen rückt. Aber: Für Schütz muss das Ganze mit theologischer Tiefe verbunden sein. Die Spiritualität ist für ihn entscheidend. Kirche stehe immer noch für Ruhe, für Stille, für Tiefe. „Digitalisierung bringt ja vor allem moderne Formen, in Kontakt zu treten. Es gibt bei uns fast keine Gemeinde mehr, die nicht eine Homepage hätte oder eine Facebook-Seite“, skizziert Schütz die Basis der digitalen Arbeit in den Gemeinden.
Live-Gottesdienste und Online-Seelsorge werden genutzt
Vor allem der Austausch mit der jüngeren Generation ist längst interaktiv. Da werden die sozialen Kanäle im Internet auch zur pädagogischen Plattform. So vermitteln seine Mitarbeiter immer öfter theologische Inhalte über kreative digitale Projekte. „Gerade erst haben wir mit Konfirmanden das Thema Freiheit umgesetzt. Sie haben ein Drehbuch geschrieben, ein Video gedreht und das auf den Youtube-Kanal hochgeladen, wo es nun jeder anschauen kann“, beschreibt der Propst. Die Plattform dafür stellt die EKHN bereit. Das Medienhaus in Frankfurt arbeitet zentral für die gesamte Region, kommuniziert über Video, Facebook und experimentiert mit neuen Formaten. Wer einen Live-Gottesdienst verfolgen will und dabei nicht unbedingt allein auf seine Heimatgemeinde hofft, der findet auf sublan.tv fortlaufend aktuelle Informationen über geplante Streams oder Diskussionsrunden zu theologischen Fragen. Immer wieder tauscht sich die Kirchenleitung der EKHN zu Digitalisierungsprojekten aus. Gottesdienste sind dabei das eine. Doch funktioniert Seelsorge digital? Auch da geht die evangelische Kirche in der Region neue Wege. Ein ganzes Beratungsteam, online erreichbar und mit einer ganzen Bandbreite an Schwerpunkten, findet man über das Angebot „Pfarrer im Netz“.
Dass Kirche durch all diese Angebote in gewisser Weise in der heutigen Zeit nutzerfreundlicher wird, das sieht auch Propst Schütz als positiven Aspekt der Digitalisierung. „Es macht die Gläubigen auch mobiler, weil man so etwa das richtige Angebot für sich leichter finden kann, wie etwa den für den Einzelnen am besten gestalteten Gottesdienst“, beschreibt der Propst, der ein genaues Gespür für veränderte Lebenswelten hat. Ein Aspekt unter vielen: die Trauerkultur. „Sie befindet sich seit Jahren im Wandel, ändert sich. So gibt es auch Internetportale für Trauernde, es ist so, dass es alle Lebensbereiche durchdringt.“ Digitales Leben bis in die privatesten und emotionalsten Momente oder Lebensphasen, da muss man auch Schritt halten können, kann eine Institution wie die Kirche nicht außen vor bleiben. Ob es im 500. Jahr nach Martin Luther eine digitale Reformation ist? Dass die Digitalisierung die Welt verändert, ist Tatsache. Dass Luther die modernsten Kommunikationsmittel seiner Zeit nutzte, um die Reformation und seine Ideen zu verbreiten, auch. Naheliegend also, dass die evangelische Kirche die sich bietenden Chancen für sich und ihre Gläubigen nutzt. Und ein spannendes Projekt für alle Beteiligten, das gleichzeitig die Herausforderung mit sich bringt, sich dennoch analoge Inseln in der digitalen Welt zu erschließen. Für Propst Schütz gehören dazu die Exerzitien. „Da wird natürlich das Handy ausgeschaltet, das ist mir auch wichtig.“ Tiefe, Stille, Glaube, auch ohne Mausklick verbunden mit Gott.