Auf dem Oakland-Friedhof befinden sich Grabsteine der aus Hamm stammenden Haas-Familie. Fotos: Gabriele Hannah
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GIMBSHEIM - „Down town Atlanta! Chaos ohne Ende.“ Gabriele und Bob Hannah kämpfen sich mit ihrem Mietwagen durch den Verkehr der Hauptstadt des US-Bundesstaates Georgia quer durch die Innenstadt: vom Oakland-Friedhof zum Inman Park, wo einst Aaron Haas aus Hamm wohnte, anschließend zum jüdischen Breman Museum. Die Mainzerin Gabriele Hannah ist auf Forschungsreise. Für abschließende Recherchen zu ihrer Dokumentation über die „Juden vom Altrhein“, an der sie zusammen mit Martina und Hans-Dieter Graf arbeitet, flog sie in die USA. Die Guthmanns, die Haases und die Hirsches, einst am Altrhein zu Hause, verschlug es im 19. Jahrhundert in die Südstaatenmetropole. Hier gründeten sie ihre Geschäfte, engagierten sich in gesellschaftlichen und religiösen Institutionen und fanden ihre letzte Ruhe auf dem Oakland Cemetery, dem ältesten Friedhof der Stadt. Heute erinnern ihre Grabsteine, ihre Häuser und die nach ihnen benannten Straßen an die Geschichte und Blütezeit des jüdischen Lebens von Atlanta.
Menschen erhalten eine Geschichte und ein Gesicht
Jakob Haas aus Hamm, der mit Jeanette Hirsch aus Gimbsheim verheiratet war, wanderte 1842 nach Amerika aus. Sein Geschäftspartner und er waren die ersten Juden, die sich 1847 in der damals noch jungen Stadt niederließen. Auch den Bruder Hermann Haas zog es nach Amerika. Verheiratet war er mit Wilhelmina, geb. Weil, deren Schwester in eine Gimbsheimer David-Familie eingeheiratet hatte. Seine acht Kinder – darunter drei Zwillingspärchen – kamen noch in Hamm zur Welt. Hermanns Sohn Aaron brachte es 1875 zum stellvertretenden Bürgermeister von Atlanta, er gründete unter anderem eine – noch heute existierende – Immobiliengesellschaft. Seine prächtige Villa im Inman Park befindet sich noch immer dort.
Die Hannahs folgen den Spuren der Auswanderer. „Nur zur Haas Avenue haben wir es aber leider nicht mehr geschafft – zu viel Verkehr“, entschuldigt sich „Chauffeur“ Bob Hannah. Aber dafür werden die beiden schon im jüdischen Museum erwartet, wo die schriftlichen Nachlässe und Bildnisse der einstigen Juden vom Altrhein aufbewahrt werden. Eine Sammlung an Archivalien wurde für die Besucher aus Deutschland bereitgestellt. Und wieder einmal erhalten die Juden vom Altrhein eine Geschichte und ein Gesicht.
Auf dem Oakland-Friedhof befinden sich Grabsteine der aus Hamm stammenden Haas-Familie. Fotos: Gabriele Hannah Foto:
Gabriele Hannah (l.) überreicht Lindsay Resnick für ihre Bibliothek Literatur über die Juden vom Altrhein. Foto:
Der Reisepass mit rotem „J“ gehörte Mathilde David Guthmann, die in der Neuen Kirchstraße in Gimbsheim lebte. Foto:
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Empfangen werden die Hannahs von Mrs. Lindsay Resnick, die den Besuchern mit Rat und Tat zur Seite stand. Zum Abschied überreicht Gabriele Hannah Mrs. Resnick das Buch „Vom Rhein an den Cape Fear River“, das die Geschichte von Abraham David aus Gimbsheim erzählt, das aktuelle Exemplar der „Alzeyer Geschichtsblätter“ mit einem Beitrag über die Familie Jakobi aus Eich und das „Heimatjahrbuch Alzey-Worms 2017“, worin sich ein Aufsatz über die Hirsch-Familie aus Gimbsheim befindet. (Einer der Söhne der Auswanderer, Harold Hirsch, war einer der drei führenden Männer der damals in Atlanta gegründeten Coca Cola Company. Die Entscheidung des Unternehmens für die weltbekannte geriffelte Flaschenform sowie für den Coca Cola-Schriftzug gehen auf sein Konto. Aber das ist eine andere Geschichte.)
EINBAND
Für den Einband stellt die israelische Künstlerin Yael David-Cohn, deren Großvater aus Gimbsheim stammte, ihr Kunstwerk „Family Album“ zur Verfügung.
Zurück in Deutschland berichtet die Forschungsreisende Thomas Höppner-Kopf und ihren Mitautoren von ihren Erlebnissen und Entdeckungen. Der evangelische Pfarrer von Hamm begleitet ihre Forschungen mit großem Interesse. Seine Kirchengemeinde hat sich bereit erklärt, die Herausgabe der Dokumentation zu übernehmen, die im nächsten Jahr im Nünnerich-Asmus-Verlag in Mainz erscheinen soll. „Neben der geschichtlichen Aufarbeitung ist sie ein Werk der Erinnerung an die ehemaligen Juden vom Altrhein und ein Werk der Versöhnung“, umschreiben die Autoren die Zielsetzung. „Ohne die Unterstützung der jüdischen Nachfahren hätten wir dieses Buch nicht schreiben können.“ Inzwischen hat sich auch die evangelische Kirchengemeinde von Eich den Herausgebern angeschlossen. „Und vielleicht wird es ja sogar noch zu einem ökumenischen Projekt“, hoffen Thomas Höppner-Kopf und das Autorentrio.
Das Buch „Die Juden vom Altrhein. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Holocaust und das Weiterleben im Exil“ ist eine Dokumentation, die die Lebensgeschichten der einst in der Altrheinregion beheimateten jüdischen Familien von ihrer ersten Ansiedlung Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts bis zu ihrer Vertreibung 1939 beschreibt und die die Lebenswege der Überlebenden und ihrer Nachfahren bis in die Gegenwart verfolgt. Recherchiert wurden insgesamt annähernd 800 Biografien mit − je nach Quellenlage − kürzeren oder längeren Lebensläufen. Daneben wurde versucht, die familiären Beziehungen innerhalb der jüdischen Familien in den drei Gemeinden zu veranschaulichen: Familienstrukturen, die über Generationen hinweg intakt waren, und der verwandtschaftliche Zusammenhalt, der weit über den engen Familienkreis hinausging, traten so, trotz großer geografischer Entfernungen und unterschiedlicher Lebensentwürfe, konkret hervor.