Frust am „Nadelöhr“ Rheinhessenstraße

Der vierspurige Ausbau der Rheinhessenstraße (L 425) taucht im neuen Verkehrskonzept der Planungsgemeinschaft Rheinhessen-Nahe nicht mehr auf. Das stößt auf ein geteiltes Echo. Archivfoto: Sascha Kopp

Ist es eine Katastrophe oder war es absehbar? Was Bürgermeister der Anliegergemeinden dazu sagen, dass die Rheinhessenstraße nicht ausgebaut wird.

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RHEINHESSEN. Der vierspurige Ausbau der Rheinhessenstraße (L 425) taucht im neuen Verkehrskonzept der Planungsgemeinschaft Rheinhessen-Nahe nicht mehr auf. Stattdessen wird empfohlen, im Sinne des Klimaschutzes den ÖPNV, Mitfahr- oder Carsharing-Angebote auszubauen. Der Mainzer Verkehrsausschuss hat dem Stadtrat deshalb empfohlen, die Pläne für einen Ausbau der Pendlerroute ad acta zu legen - bei Gegenstimme der CDU (wir berichteten).

Ein Stück betonierter Frustration

Im Umland stößt diese Entscheidung nicht unbedingt auf Gegenliebe, wie eine Umfrage dieser Zeitung ergab. Der Mommenheimer Ortsbürgermeister Hans-Peter Broock (CDU) ist von dem Aus für einen vierspurigen Ausbau nicht überrascht, im Gegenteil: Er habe sowieso schon seit vielen Jahren nicht mehr damit gerechnet, dass sich in der Sache etwas tut. „Immer wieder kommt eine neue Idee, aber es passiert nichts“, sagt Broock, der seit 13 Jahren Ortsbürgermeister von Mommenheim ist. „Ich finde das schade.“ Er habe immer gefordert, dass der Verkehrsfluss verbessert wird. „Es ist ein Stück Frustration, die jetzt einbetoniert ist.“ Die Grünen, deren Mainzer Verkehrsdezernentin das Aus für den vierspurigen Ausbau initiiert hatte, interessierten sich nicht für die Bedürfnisse der Menschen im Umland – das sei auch an den dortigen Wahlergebnissen abzulesen. Nun bleibe abzuwarten, ob die Neuordnung des Busverkehrs ab Oktober funktioniere. Zudem müsse dringend das Wabensystem für die Ticketpreise überarbeitet werden.

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Auch für Patric Müller (SPD) hat sich bereits angedeutet, dass aus dem Ausbau nichts wird. Der Ortsbürgermeister von Gau-Bischofsheim sieht das allerdings nicht als Problem an: Er sei noch nie ein Fan von der Idee gewesen. „Selbst nach einem Ausbau wäre vor oder nach der vierspurigen Strecke wieder ein Nadelöhr entstanden“, sagt Müller. Zudem habe es für einen Ausbau viele Hindernisse in Zusammenhang mit den angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen gegeben. Statt mit dem Auto werde man in Zukunft schneller mit dem Bus nach Mainz kommen: Bereits in Betrieb ist die neue Linie 69, die aus Mainz über Gau-Bischofsheim bis ins Bodenheimer Gewerbegebiet fährt. Ab Oktober hofft auch Müller auf weitere Verbesserungen bei der Busanbindung. „Bis in einem Haushalt mal ein Auto eingespart wird, ist es ein langer Weg. Aber es ist nicht utopisch.“

Entscheider sind nicht betroffen

Der Harxheimer Ortsbürgermeister Andreas Hofreuter (CDU) dagegen hält „gar nichts“ von der Entscheidung, den Ausbau der Rheinhessenstraße aus dem Verkehrskonzept Rheinhessen zu streichen. „Ich bin der Meinung, dass die Straße ausgebaut werden sollte, weil das eine echte Entlastung wäre“, sagt Hofreuter. „Aber das entscheiden Leute, die dort morgens nicht zur Arbeit fahren müssen – sondern wenn sie mal durch die Lande fahren, dann erst um 10 Uhr mit Chauffeur.“ Zudem sei für ihn ein interkommunales Gewerbegebiet zwischen Harxheim und Ebersheim noch nicht vom Tisch. Einen ähnlichen Plan verfolgt die Stadt Mainz nun mit Ober-Olm auf einer dortigen Fläche. „Ein Gewerbegebiet bei uns wäre ein weiteres Argument für den Ausbau der Rheinhessenstraße“, sagt Hofreuter. Beim Thema Harxheimer Umgehungsstraße dagegen gebe es im Ort viele Widerstände: „Die Route durch die Weinberge wollen wir nicht.“ Zudem stünden beim Landesbetrieb Mobilität (LBM) nicht genug Ingenieure zur Verfügung, um die Planung voranzubringen.

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Monja Seidel (FWG) ist Ortsbürgermeisterin von Selzen, das vom Durchgangsverkehr aus den rheinhessischen Gemeinden nach Mainz extrem betroffen ist. Die enge Ortsdurchfahrt ist das größte Problem, da helfe auch die temporäre Ampel in der Gaustraße nicht, sagt Seidel. Sie hat eine deutliche Meinung: „Es ist eine Katastrophe, dass überall neue Baugebiete ausgewiesen werden, aber die Rheinhessenstraße, die den Verkehr aus diesen Gebieten aufnehmen muss, nicht ausgebaut wird.“ Sie verstehe das Argument, dass nicht weitere wertvolle Flächen versiegelt werden sollten. Trotzdem müsse eine Lösung her, die der Stadt und dem Umland zugutekomme. Auch beim Ausbau des ÖPNV, etwa dem Bau einer Straßenbahnlinie, würde schließlich in die Natur eingegriffen.

Millionen lieber in den Busverkehr stecken

Werner Kalbfuß (SPD), ihr Amtskollege aus Hahnheim, erachtet einen vierspurigen Ausbau der Rheinhessenstraße nicht für notwendig. Die Millionen, die in den Straßenbau fließen würden, sollten lieber in den Ausbau des Busverkehrs gesteckt werden. „Wir brauchen diesen als gescheite Alternative, müssen Anreize schaffen, damit die Leute auf den ÖPNV umsteigen“, unterstreicht Kalbfuß.

Kurz- und mittelfristig wäre nach Aussage von Steffan Haub (CDU), dem Ortsbürgermeister von Lörzweiler, ein Ausbau der Rheinhessenstraße „absolut“ angezeigt. Der käme auch Bussen zugute, der Straßenbau habe sich bei Fokussierung auf den ÖPNV ja nicht erledigt. Und auch die zunehmende Zahl an E-Autos benötige Straßen. Derzeit verlieren Pendler, die zum Arbeitsplatz nach Mainz, Frankfurt oder Rüsselsheim fahren, sehr viel Zeit im Stau. Auch dies stelle eine Ressourcenverschwendung dar. Klar ist für Haub aber auch: Der ÖPNV muss massiv aufgestockt und „interessant“ gemacht werden, um die Autofahrer zum Umstieg zu bewegen. Ein erster Schritt sei der neue, kommunalisierte Busverkehr im Landkreis ab Oktober. Fakt sei, dass Stadt und Umland Wachstumsregionen seien - und die produzierten nun mal Verkehr.