Ein Baseball als historischer Schatz: Wenn die Wissenschaftler des Instituts für Geschichtliche Landeskunde mit ihrem Mobil unterwegs sind, stoßen sie oft auf interessante Funde.
RHEINHESSEN. In den Gesichtern von Wissenschaftlern findet sich dann und wann dieses Lächeln, das man sonst nicht sieht. Ein Fund, ein Fakt, eine neu gewonnene Perspektive auf einen Forschungsgegenstand löst es aus. Dr. Kai-Michael Sprenger hat dieses Lächeln im Gesicht, als er von einem Baseball erzählt.
Der Geschäftsführer des Instituts für Geschichtliche Landeskunde (IGL) an der Universität Mainz war mal wieder mit dem IGL-Geschichtsmobil unterwegs, da kam ein älterer Mann auf ihn zu, zögernd, schüchtern. Er hätte da eine Geschichte zu erzählen, von seinem Vater, der als achtjähriger Bub 1920 eine Hand verlor – aufgrund eines amerikanischen Blindgängers aus dem Ersten Weltkrieg. Alle Unterlagen aus dem Entschädigungsprozess hatte er noch, darunter die alten Granatsplitter. Und einen Baseball. Dass die Amerikaner schon vor 100 Jahren auf deutschem Boden ihren Nationalsport ausübten, war bislang unbekannt. Der Ball ist folglich auch der älteste hierzulande bekannte. „Das ist ein echter Knaller“, betont Sprenger.
Neue Einblicke in Themen wie die Mainzer Republik
Der Fund, die Erzählung ist natürlich nichts, das einen neuen Blick auf den Weltenlauf eröffnet oder erforderlich macht, Geschichtsbücher umzuschreiben. Aber darum geht es im historischen Tagewerk auch nur in seltenen Fällen. Und die Einsätze des Geschichtsmobils ermöglichen immer wieder neue Einblicke auch in die „großen Themen“.
Die Mainzer Republik ist eines davon. In der Bevölkerung, erzählt Professor Michael Matheus, schwankt die Sicht auf den Freistaat unter französischer Besatzung, der 1793 nur wenige Monate Bestand hatte, zwischen „Terrorregime“ und „Keimzelle der Demokratie auf deutschem Boden“. „In Königstein im Taunus gibt es eine sehr rührige Gruppe, die an die Gefangenen erinnern will, die als Anhänger der Jakobiner galten“, berichtet der IGL-Vorsitzende. Hier Verbindungen zu schaffen, Diskussionen zu führen, Standpunkte und Fakten auszutauschen, ist wertvoll für die historische Einordnung.
Menschen wie der ältere Herr aus dem Westerwald würden nie, betont Sprenger, den Weg an die Uni, ans Institut suchen. Das Geschichtsmobil hat einen doppelten Zweck. Es soll über Regionalgeschichte informieren, und es soll den IGL-Fachleuten Erkenntnisse verschaffen. Aufsuchende Wissenschaft sozusagen, die in doppelter Hinsicht eine Lücke schließt: Das „Land“ wird regionalgeschichtlich besser versorgt und spielt in den Betrachtungen der Historiker eine wachsende Rolle.
Vor zehn Jahren wurde der Mercedes-Bus mit Unterstützung des Bundes angeschafft. Mehr als 100 Einsätze kamen seither zusammen, über 100 000 Kilometer hat der Bus auf der Uhr. Matheus spricht von „wechselseitigen Lernprozessen zwischen Profis und Laien“. Der Bus, der mit Zelt und Pavillon, Tisch und Literatur, Bildschirm und Scanner zu einer, wie IGL-Mitarbeiterin Sarah Traub sagt, „fahrbaren Forschungsstation“ hochgerüstet werden kann, fährt Schulen und Geschichtsvereine, Großveranstaltungen und Ortsjubiläen an, öffnete schon bei Rheinland-Pfalz-, Historiker- und Demokratie-Tagen seine Türen. Manchmal hat er Wanderausstellungen dabei, manchmal kommt er auf Einladung der Gastgeber. Ein, so Traub, deutschlandweit weiterhin einmaliges Vorhaben.
„Die Geschichts- und Heimatvereine haben oft tolle Dinge in ihren Bereichen, aber sie bleiben gern für sich“, sagt Sprenger. Das vom IGL betriebene Portal Regionalgeschichte.net bricht die Geschichte auf die Gemeinden runter. Es lebt auch von der Vernetzung lokaler Forschungsarbeit. Oft lernen die Hobby-Historiker vor Ort bei den Stippvisiten Neues aus dem Portal, und sie erkennen Informationslücken, die sie selbst schließen können. Zudem werden ungenutzte Quellen aus Dachböden und Schubladen geholt.
Zum Thema Weingeschichte beispielsweise kam, wie Matheus erzählt, einiges an Material zusammen, Fotos, Etiketten, Rechnungsbücher. Unlängst stieß der Wissenschaftler auf Abbildungen noch nicht bekannter Teilnehmer am Hambacher Fest. „Es gibt unter den vielen Geschichtsinteressierten im Land ein riesiges Potenzial“, sagt Sprenger. Und lächelt wieder.