Der Frust überwiegt: So geht es Eltern in der Corona-Krise
Das wochenlange Homeschooling hat Familien während der Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen gestellt. Wir haben Eltern in Rheinhessen gefragt, wie sie diese Zeit erlebt haben.
Von red
Viele Eltern sind durch die Corona-Pandemie und die Schulschließungen gefrustet.
(Symbolfoto: dpa)
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RHEINHESSEN - Häufig haben wir in den vergangenen Wochen über die Sicht der Schulen und Lehrer in der Corona-Krise berichtet. In einem Aufruf haben wir nun nach der Sicht der Eltern gefragt – und viele Zuschriften erhalten. Alle mit dem Wunsch, anonym zu bleiben. Aus Angst vor negativen Folgen in der jeweiligen Schule. An dieser Stelle veröffentlichen wir eine Auswahl.
„Unsere Situation ist mehr als mies“
Unser Sohn besucht die sechste Klasse des Otto-Schott-Gymnasiums in Mainz-Gonsenheim. Eigentlich dachten wir, die Schule ist eine der strukturierteren. Inzwischen wurden wir eines Besseren belehrt. Wo soll ich anfangen?
Als die Schüler von einem Tag auf den anderen zu Hause bleiben sollen, musste sich alles erst einspielen – klar. Was ich hingegen inakzeptabel finde, dass Lehrer sich schlicht weigern, überhaupt Aufgaben für die „Heimarbeit“ aufzugeben. Wie kann das sein? Der Lehrauftrag oder die Erfüllung dessen ist doch die Grundlage ihrer Entlohnung?
Und selbst wenn Aufgaben gestellt wurden. Unvermeidliche Rückfragen erschienen unerwünscht. Wie kann es sein, dass Lehrer auf eine Frage zu Aufgabe antworten: „Wende Dich bitte an Deine Mitschüler oder Eltern!“
Dazu das Chaos, dass jeder Lehrer eine eigene Übermittlungsform gewählt hat. Die Schule hatte bereits eine Lernplattform, wo in jedem Fach Kontakt zwischen Lehrer und Schüler hergestellt werden kann. Dazu sollten wir einen Zugang zu einer Cloud einrichten. Einige Lehrer haben die Aufgaben direkt per Mail verschickt. Auf die Barrikaden sind wir gegangen, als Schüler dann noch Apps installieren sollten. Schließlich hat die Schule vorher immer betont, dass Handys bei Schülern unterhalb der Oberstufe unerwünscht sind. Dazu kamen Beschwerden der Lehrer, wenn die Kinder das Lösungsblatt als Foto geschickt haben. Wir mögen uns doch bitte einen Scanner kaufen. Das kam von mehreren Lehrern – das war deren Problem!
Aber es wurde mit der Zeit etwas besser. Die Aufgaben werden inzwischen am Montag auf die Lernplattform eingestellt. Dies erfolgte mit Zähneknirschen, auf Druck der Eltern. Es wurde uns schon als Erfolg verkauft, dass die unwilligen Lehrer überredet werden konnten, auch Aufgaben dort einzustellen – ernsthaft? Überredet werden konnten? Was leider eine Katastrophe ist, es gibt keinerlei Rückmeldung zur Erledigung. Es wird lediglich kontrolliert, ob die Lösungen eingereicht wurden. Wir und andere Eltern haben das beanstandet, aber das wurde mit Lachen abgetan. Wirklich mit einem Lachen und der Aussage, dass wir davon ausgehen sollen, wenn wir nichts hören, ist alles in Ordnung. Die Lehrer hätten mit Schülern, die nichts abgeben, genug zu tun. Das heißt, die bemühten Schüler haben wohl Pech gehabt – super!
Onlineunterricht findet übrigens gar nicht statt. Es gibt ein Tutorenprogramm. Dies ist ohne (!) jegliche Lehrerbeteiligung. Da helfen Schüler andern Schülern. An sich, ein möglicher Ansatz, aber doch ergänzend und nicht als einziges Angebot. Fazit: Wir Eltern fühlen uns komplett im Stich gelassen. Wir dürfen nicht nur die Kinder beaufsichtigen, sondern auch unterrichten. Oh, und nebenbei natürlich auch arbeiten, im Homeoffice. Also zwei Jobs parallel, da frag ich mich schon, wofür Lehrer überhaupt studieren müssen, wenn es die Eltern jetzt nebenbei erledigen können sollen?
Zusammenfassend ist unsere Situation mehr als mies, da alles dazu beiträgt, die Kinder zu demotivieren. Das macht den weiteren Schulbesuch richtig schwer.
„Wir sind absolut zufrieden“
Als Eltern zweier Kinder, die in der IGS Anna Seghers in Mainz angemeldet sind, sind wir mit der Organisation dieser Schule absolut zufrieden, gar begeistert.
Homeschooling, oder „Heimbeschulung“, ist leider in „normalen“ Zeiten in Deutschland verboten. Dieses Verbot soll endlich in modernen Zeiten aufgehoben werden!
Es bieten sich gerade dadurch wunderbare Chancen für Schulen, Lehrer und Schüler, um das System, so wie es existiert, umzukrempeln. Unsere Kinder kommen zu Hause mit den Hausaufgaben sehr gut klar, der Zeitdruck fällt komplett weg, die Online-Hilfe, die von Lehrern angeboten wird, wird wahrgenommen, und der Stoff wird verinnerlicht, alles stressfrei!
Das kann und soll auf jeden Fall im nächsten Schuljahr so weitergehen! Kindern und Eltern, die mit dieser Art des Lernens nicht klarkommen, könnte angeboten werden, in Absprache mit den Lehrern, regelmäßiger auf die Schulbank zurückzukehren, aber für diejenigen, die fast nur Vorteile dadurch sehen, warum könnte es nicht so weitergehen?
„Ein absolutes Armutszeugnis“
Meine Tochter besucht die neunte Klasse der IGS Mainz-Bretzenheim. Diese Jahrgangsstufe hat seit einigen Wochen wieder sogenannten Präsenzunterricht. Für mich völlig unfassbar, dass die Kinder in dieser Zeit keine einzige Stunde Unterricht hatten und haben werden, da die Lehrer lediglich Aufsicht machen und von Klassenraum zu Klassenraum gehen. Die Kinder sitzen mit ihren Handys in der Kleingruppe im Klassenraum und sollen alleine Aufgaben lösen. Natürlich wird das Handy dann auch zum Netflix-Schauen genutzt.
Von anderen Stufen der IGS weiß ich, dass dort auch der Präsenzunterricht ohne Unterricht abläuft.
Meine Tochter sagt, dass man ganz langsam arbeiten müsse, sonst würde man nur rumsitzen und hätte nichts mehr zu tun.
Da in der Schule kein Unterricht stattfindet, weiß ich, dass einige Klassenkameraden erst gar nicht in die Schule geschickt werden und weiterhin von zu Hause arbeiten.
Ein Tutor (Klassenlehrer) meiner Tochter hat sich während dieser vielen, vielen Wochen nur einmal bei seiner Klasse gemeldet und nur einmal Aufgaben aufgegeben. Rückmeldung über die bearbeiteten Aufgaben gab es nicht. Mails über die bestehenden Missstände an einzelne Lehrer und die Schulleitung haben bisher keinerlei Änderungen gebracht.
Von anderen Schulen weiß ich, dass sie auch richtigen Präsenzunterricht und nicht nur eine Betreuung hinbekommen. Wie das läuft, ist das ein absolutes Armutszeugnis für die die gesamte Schule. Man hat das Gefühl, dass das Problem ausgesessen wird.
„Freiwillige Wiederholung“
Gerne berichte ich über den Alltag mit Homeschooling und Präsenzunterricht meiner Kinder in der Klasse 11 und 9 an der IGS Osthofen und Klasse 1 und 2 an der Grundschule Flomborn.
Voraussetzung bei allem müssen natürlich Drucker und andere Geräte sein. Anfang des Schuljahres wurde Materialgeld gezahlt, was natürlich nun eine doppelte finanzielle Belastung ist, da ja zu Hause alles ausgedruckt werden muss. Für den Präsenzunterricht müssen die Kinder zudem ausreichende Datennutzung haben, um sich die Aufgaben aus der Schulbox runterzuladen und wieder hochzuladen.
Den beiden Kleinen müssen neue Themen und Buchstaben beigebracht werden. Das ist für mich sehr schwer. Ich bin alleinerziehend und arbeite in einem Lebensmitteldiscounter Teilzeit, weshalb ich erst nachmittags zu Hause bin – das ist für mich nicht machbar. Die Kinder mussten die ganze Zeit von der Oma betreut werden, da ich in der Regel um sechs Uhr anfange und die Notbetreuung für mich nicht in Frage kam. Oma ist auch nicht mehr in der Lage, Schulaufgaben zu erklären. Deswegen habe ich mich mit meiner Kleinsten freiwillig für die Wiederholung der ersten Klasse entschieden.
Aus meiner Ansicht würde uns Eltern ein Teil des Lehrergehaltes zustehen, denn diesen Job erledigen wir im Moment auch noch.
„Ich bin vor allem müde“
Vor allem bin ich müde. Als Vollzeit-arbeitende Mutter von drei Kindern bin ich oft müde, aber die letzten Wochen – in denen ich eigentlich auch drei Wochen in einer Mutter-Kind-Kur weilen sollte – haben mir noch mehr abverlangt als sonst.
Gerade die weiterführenden Schulen meiner zwei älteren Kinder haben ihre virtuellen Arbeitsformen auf Annahmen gegründet, die sie nie überprüft haben.
Arbeitsblätter zum Ausdrucken – wir haben keinen Drucker. Bearbeitete Papiere scannen – wir haben keinen Scanner. Mehrere Plattformen zum täglichen Einwählen, Dokumente hoch- und runterladen – wir haben zwei Laptops für fünf Menschen mit Homeoffice-Aufgaben zu Hause und ein ganz langsames Internet. Wochenlang bin ich gerannt, nach den Stunden im Homescooling noch ins Büro, und abends zurück, dann noch Blätter verschicken, hochladen, runterladen, Systemzusammenbrüche. Auch meine eigenen, inneren. Manchmal habe ich Nachts um ein Uhr noch Arbeitsblätter hochgeladen. In viele Themen habe ich mich reingearbeitet – Dezimal- in Bruchzahlen umwandeln, Überhangmandate im Bundestag, Mukoviszidose im rezessiven Erbgang, Laborversuche im Keller, Kläranlagen im Garten. Und dann kamen die Enttäuschungen – so viel Lehr- und Lernaufwand und so viele Lehrer, die nur Aufgaben abhakten oder Lösungen zum eigenen Vergleich verschickten. Meine Kinder verloren auch darüber ihre Motivation, allein weiterzumachen. Ich habe Tränen getrocknet und versucht, ihnen Feedback zu geben. Dazwischen aufräumen, kochen, einkaufen – mehr als sonst. Wenn andere von Coronaferien sprachen, habe ich in den letzten Monaten genau an einem Nachmittag in unserem Garten gelegen. Und bin dort eingeschlafen. Müde. Sehr müde.
„Die Folgen sind fatal“
Wir haben drei Kinder auf drei verschiedenen Schulen in der ersten, achten und zehnten Klasse. Jede Schule hat andere Zugangs- und Aufgabenverteilungstechniken. Wir sind in der glücklichen Lage, einen schwarz-weiß Drucker zu haben und ausreichend Computer (arbeitsbedingt Homeoffice), iPad privat, die zwei großen Kinder haben Smartphone für Recherchen. Farbausdrucke wären hilfreich, Farbdrucker haben wir aber leider nicht! Wir schicken deshalb Fotos und Aufgabenblätter in Farbe hin- und her. Am Mainzer Gutenberg-Gymnasium gibt es ausschließlich Aufgabenstellungen. Von jedem einzelnen Lehrer über Mail. Es gab keinerlei Kontrolle der Lehrer über die Schüler und die gemachten Aufgaben. Zwei bis drei Fachlehrer verlangten eine Rückgabe von einzelnen Aufgaben, allerdings meistens mit dem Zusatz „freiwillig“. Dadurch war keinerlei Motivation bei Schülern vorhanden, denn es ist ja freiwillig! Leider hat man da als Eltern wenig durchschlagende Argumente dagegen. Frustration bei Schülern und Eltern ist die Folge, wahrscheinlich am Ende auch bei den Lehrern selbst. Es gab aber auch keinerlei Versuche von Lehrerseite mit den Kindern ernsthaft ins Gespräch zu kommen oder Feedback zu bekommen.
An der IGS in Bretzenheim gibt es fünf verschiedene Apps. Unser Kind macht alles eigenständig, schickt alles selbst zurück, wenn angefordert. Live-Chats fanden mit genau drei Lehrern statt. Das lief so ab: Der Lehrer spricht, zwei bis vier Schüler machen mit, die anderen sieht und hört man nicht, keine Kamera oder Kamera aus und Mikro stumm geschaltet.
In der Grundschule Schillerschule in Mainz gab es Aufgabenblöcke auf Papier (Tagespläne) über zwei Wochen per Post oder Abholung in der Schule. Alle drei Wochen gab es einen Austausch an der Schule, wenn wir die Aufgaben gebracht oder geholt haben. Aber außer einem lachenden Gesicht oder Stempelchen oder Kommentar fand keine weitere Lernkontrolle oder Verbesserung statt.
Wie zufrieden sind wir also mit den Schulen? Wenig zufrieden! Doch wer ist verantwortlich für dieses Dilemma? Die Lehrer versuchen ihr Bestes – der eine mehr, der andere weniger!
Die Schulleitungen sind hoffnungslos überfordert, so ist der Eindruck. Das Ministerium fühlt sich überhaupt nicht verantwortlich. Ich sträube mich innerlich, diesen Zustand „Coronakrise und Schule“ als das neue „Normal“ anzuerkennen. Die Folgen sind jetzt schon fatal!