Tausende von Menschen haben am ersten Publikumstag der Internationalen Automobilmesse (IAA) in Frankfurt für ein Umdenken in der Klimapolitik und eine Verkehrswende demonstriert.
Von Katja Sturm
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FRANKFURT - Die Schlange zog sich mittlerweile 3,5 Kilometer lang, von der Deutschen Nationalbibliothek bis zur Eissporthalle. Zusammenrücken war deshalb angesagt. Der Kopf musste anhalten, um dem Schwanz genügend Zeit zu geben hinterherzukommen. Einer der Autofahrer, der meinte, deshalb noch länger an der Kreuzung Nibelungallee/Rat-Beil-Straße warten zu müssen, fing an, mit einer der Motorrad-Polizeistreifen zu diskutieren, die die Weiterfahrt blockierten. Vergeblich redete der Mann sich in Rage. Am frühen Samstagnachmittag hatten Radfahrer in Frankfurt Vorfahrt. Und nicht nur dort.
Von Gießen, Mannheim, Darmstadt oder Wiesbaden waren Tausende per eigener Muskelkraft in die Großstadt gerollt, um vor den Toren der Internationalen Automobilmesse (IAA) für ein Umdenken in der Klimapolitik und eine Verkehrswende zu demonstrieren. In Stuttgart waren sie schon um Mitternacht aufgebrochen, um bei der Sternfahrt dabei zu sein, aus Bremen kamen Frühaufsteher mit dem Zug bis nach Friedberg gefahren, um von dort aus in die Pedale zu treten. Diejenigen, die dabei das seltene Vergnügen hatten, auf den zwei gesperrten Autobahnabschnitten der A661 ab Offenbach oder der A648 im Frankfurter Westen zu radeln, schwärmten von einem unvergesslichen Erlebnis. Spätestens auf dem Alleenring der Mainmetropole mussten sich dann alle wieder zusammendrängen, denn nach und nach stießen immer mehr Zwei- oder sogar Einradfahrer zur Masse.
An den Fenstern und von den Balkons aus beobachteten bei sonnig-warmem Wetter zahlreiche Anwohner neugierig das Treiben und spendeten mit aufmunternden Worten Lob und Beifall. Die zu unfreiwilliger Pause gezwungenen Motorisierten übten sich überwiegend in Geduld, nur ab und an wurde das anhaltende, zarte Fahrradklingeln von Huptönen durchbrochen. „Wir demonstrieren nicht gegen, sondern mit euch“, wurde den Leuten am Steuer verkündet. Für eine bessere Infrastruktur für Radfahrer und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, damit „auch ihr bequem und ohne Stress im Zug zur Arbeit kommt“.
Tausende Menschen demonstrieren in Frankfurt für eine schnellere Verkehrswende.
(Foto: dpa)
Riesiger Fahrrad-Corso
Schon am Morgen hatten an der Hauptwache in der Innenstadt einige Demonstranten einer die Autoindustrie symbolisierenden Puppe den Auspuff unterm Arm mit einer Säge gekürzt, auf der „Autokonzerne entmachten!“ stand. Die mit Markenlogos beklebte Figur tauchte später an der Bühne vor dem Messeturm wieder auf, vor der sich zur Mittagszeit nach Veranstalterangaben 5.000 Menschen versammelt hatten, um den Reden von Vertretern des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, der Naturfreunde, des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland, des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), von Campact und von „Fridays für Future“ zuzuhören. Dabei richteten sich die rhetorischen Angriffe in Richtung Automobilwirtschaft überwiegend auf die „SUV“s, die „Panzer“ und „Monster“, die durch die Städte rollen und zuletzt zum gerne genutzten Abbild aller Nachteile von Kraftfahrzeugen geworden sind. Aber selbst Hybridfahrzeuge kamen nicht gut weg. „Die nächste Trickserei“, die ab 2021 massenweise auftauchen dürfte, betonte Ernst-Christoph Stolper vom BUND. Nach nur 50 Kilometern verwandelten sich diese angeblichen E-Mobile in normale Verbrenner. „Wir brauchen diese IAA nicht“, erklärte Stolper. In Berlin müsse sich endlich etwas regen. „Entweder die Bundesregierung erledigt die Klimakrise, oder die Klimakrise erledigt die Bundesregierung.“
Mitten hinein in die Ansprachen platzte der Fahrrad-Corso, dessen Teilnehmerzahl die Veranstalter selbst auf etwa 18.000 schätzten; die Polizei sprach von insgesamt 15.000 Teilnehmern, davon 12.500 Radlern. Damit wurde es auf der Friedrich-Ebert-Anlage vor dem Messegelände immer enger, zumal die Straße stadteinwärts weitläufig abgesperrt war und ein Überqueren von der Mitte aus nur mit einem Hotelschlüssel oder einer IAA-Eintrittskarte als Nachweis der Notwendigkeit möglich war. Doch es blieb friedlich. Ein paar „Fridays for Future“-Vertreter schwenkten vor dem Eingang zur Ausstellung ein Transparent mit der Aufforderung, den Kapitalismus zu verbrennen, ein paar Protestrufe waren zu hören, und einige Jugendliche brachten Aufkleber mit der Aufschrift „Schade, dass Sie SUV fahren“ an. Ansonsten gab es keine größeren Störungen. Am Sonntag sollen die Proteste weitergehen.