Zehn Jahre Frankfurter Landebahn Nordwest – eine Bilanz

Das Luftbild zeigt die Nordwest-Landebahn des Frankfurter Flughafens kurz vor der Inbetriebnahme im Jahr 2011.  Archivfoto: dpa
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Auch zehn Jahre nach ihrer Eröffnung gibt es Proteste gegen die Landebahn Nordwest. Gegner klagen: "Morgens um 5, wenn der erste Flieger kommt, ist die Nacht zu Ende."

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FRANKFURT. Die Kanzlerin durfte als Erste landen, als vor zehn Jahren (21. Oktober 2011) die Landebahn Nordwest am Frankfurter Flughafen in Betrieb genommen wurde. "Die neue Bahn ist ein Gewinn für den Flughafen, ein Gewinn für die Region, und sie ist ein Gewinn für das ganze Land, Deutschland", lobte Angela Merkel das Milliarden-Projekt, kurz nachdem sie dem fast pünktlich gelandeten Regierungs-Airbus "Konrad Adenauer" entstiegen war. Das sehen bis heute nicht alle in der Rhein-Main-Region so, denn die vierte Bahn des Flughafens hat neben sehr großen Wachstumsmöglichkeiten für den Flugverkehr in der dicht besiedelten Region auch viel zusätzlichen Lärm gebracht.

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Die 2800 Meter lange Betonpiste war und ist Herzstück des Ausbaus zu einem Mega-Drehkreuz. Für das Projekt wurden ein Chemie-Werk der Firma Ticona aus der Einflugschneise verlagert und zwei riesige Brücken über Autobahn und ICE-Trasse gespannt, um die neue Landebahn mit den Abfertigungs-Terminals zu verbinden. Auch ein neuer Tower musste gebaut werden, damit die Lotsen freie Sicht auch auf die vierte Bahn haben. Einschließlich des Umweltausgleichs und des Fabrikumzugs beliefen sich die Kosten auf mehr als 1,4 Milliarden Euro. Dazu kommen noch einmal rund 4 Milliarden Euro für das derzeit im Bau befindliche dritte Passagierterminal, dass künftig die ganzen zusätzlichen Flüge bewältigen soll.

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Proteste für 21. Oktober geplant

Die Proteste der Ausbaugegner schallten auch Merkel entgegen und halten bis zum heutigen Tag an, auch wenn mit der neuen Piste das vergleichsweise strenge Nachtflugverbot zwischen 23 und 5 Uhr startete. Demonstriert werden soll auch am zehnten Jahrestag der Inbetriebnahme der Startbahn: Das Bündnis der Bürgerinitiativen hat für den 21. Oktober zu einer Mahnwache am Terminal 1 aufgerufen. "Der Flughafen in dieser Dimension und die Flughafenerweiterung sind und bleiben eine ökologische und gesundheitliche Katastrophe", heißt es im Demo-Aufruf.

Dabei sind die Zahlen der Protestierenden im Verlauf der Jahre zurückgegangen. "Manche haben wohl aufgegeben, und andere sind weggestorben", bedauert Wolfgang Heubner, einer der Sprecher der Bürgerinitiative Sachsenhausen. Fluglärm und Feinstaub sind für die überwiegend nicht mehr ganz jungen Protestierenden die brennendsten Themen. "Morgens um fünf ist die Nacht zu Ende. Wenn der erste Flieger kommt, fliegt man aus dem Bett", klagt Heubner. Heute richtet sich der Protest mit den "Die Bahn muss weg"-Rufen nicht nur gegen die Landebahn, sondern auch gegen den weiteren Flughafenausbau mit dem Bau von Terminal 3. "Ein Moloch ohne Gnade", lautet das Urteil Heubners.

Flughafenkapazität deutlich gestiegen

Mit der Landebahn Nordwest ist die theoretische Kapazität des Flughafens mit einem Schlag um rund 50 Prozent gewachsen, von 83 auf 126 Flugbewegungen pro Stunde. Der höchstrichterlich bestätigten Planfeststellung zufolge sind damit mehr als 700.000 Flugbewegungen im Jahr möglich, manche Gegner fürchten sogar 900.000. Zum Vergleich: Im bisherigen FRA-Rekordjahr 2019 mit 70,6 Millionen Passagieren waren es knapp 514.000 Flugbewegungen. Also noch eine Menge Luft nach oben, so dass die Aufbaugegner die Zahl auf 380.000 Starts und Landungen deckeln wollen.

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Der Betrieb am zuvor notorisch überlasteten Rhein-Main-Flughafen ist mit der neuen Bahn deutlich stabiler geworden, wie Betreiber Fraport erklärt. "Mit der neuen Piste gehörten Verspätungen der Vergangenheit an», sagt auch die Tower-Chefin Sibylle Rau von der Deutschen Flugsicherung. Andererseits seien neue Lärmbelastungen entstanden, die man sehr ernst nehme. "So haben wir in den letzten Jahren bereits zahlreiche lärmmindernde Verfahren eingeführt und werden dies auch in der Zukunft tun."

Kein weiterer Ausbau in den nächsten 20 bis 30 Jahren

Für die nächsten 20 bis 30 Jahre sehe er keinen weiteren Ausbau des Flughafens, hatte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei Merkels Erstlandung orakelt. "Was spätere Generationen entscheiden, ist deren Sache." Der Chef der heute schwarz-grünen Landesregierung konnte nicht ahnen, dass im März 2020 die Corona-Krise seine Prognose sehr viel wahrscheinlicher machen würde.

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Wo laut Flugsicherung zu normalen Zeiten jede zweite Landung in Frankfurt abgewickelt wurde, war auf einmal viel Platz für Dutzende nicht benötigte Jets. Die Nordwest-Bahn wurde monatelang aus dem System genommen und ist erst seit Juni dieses Jahres wieder in Betrieb. Betreiber Fraport wäre nach dem Corona-Schock im laufenden Jahr schon mit 25 Millionen Passagieren sehr zufrieden. Das Vorkrisenniveau sieht man so weit entfernt wie die Eröffnung des Terminals 3, nämlich im Jahr 2026.

Von Christian Ebner, Eva Krafczyk und dpa