Sicherheit oder Freizügigkeit: Eingänge an Wiesbadener Flüchtlingsunterkünften kontrollieren?
Nach der Ermordung der 14-jährigen Susanna in Wiesbaden wird auch über das unkontrollierte Ein- und Ausgehen in Gemeinschaftsunterkünfte diskutiert. Für mögliche Gefahren möchte Sozialdezernent Christoph Manjura Erziehungsberechtigte sensibilisieren.
Von Wolfgang Degen
Mitarbeiter Lokalredaktion Wiesbaden
Flüchtlingsunterkünfte wie hier am Kreuzberger Ring sind "offene Häuser". Foto: Sascha Kopp
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WIESBADEN - „Wir sehen auch die Notwendigkeit, dass etwas getan werden muss“, sagt Sozialdezernent Christoph Manjura „Wir werden aber jetzt nicht aus dem Bauch heraus etwas auf den Weg bringen.“ Handeln ja, aber kein Aktionismus, betont Manjura. Entscheidend sei die Überlegung – „Was ist am sinnvollsten?“
Um zu verhindern, dass minderjährige Mädchen oder Fast-Noch-Minderjährige in den großen Wiesbadener Flüchtlingsunterkünften wie in der Vergangenheit derart unkontrolliert ein- und ausgehen, dort mit zum Teil älteren jungen Männern abhängen. Das war im Zuge der Ermittlungen nach dem Verbrechen an der 14 Jahre alten Susanna aus Mainz bekannt geworden. Die Tatsache an sich macht noch keinen Täter, sie schafft aber Gefahren. Davor kann niemand die Augen verschließen.
Ermittlungen in Unterkunft
Ein abgelehnter Asylbewerber aus dem Irak, Ali Bashar, 21 Jahre alt, hat in zwei Vernehmungen gegenüber der Polizei und der Haftrichterin des Amtsgerichts Wiesbaden gestanden, die 14-Jährige getötet zu haben. Susannas Leiche war am Nachmittag des 6. Juni in der Gemarkung des Stadtteils Erbenheim gefunden worden. Getötet wurde sie am Abend des 22. Mai oder in der Nacht zum 23. Mai. Bashar sitzt in Untersuchungshaft. Er wohnte mit seiner Familie bis zu deren Flucht in der Gemeinschaftsunterkunft im Kreuzberger Ring im Stadtteil Erbenheim. Rund 70 Menschen sind dort untergebracht.
PFLICHT UND RECHT DER ELTERN
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): § 1626 Elterliche Sorge,
- (1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
- (2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
§ 1631 BGB, Inhalt und Grenzen der Personensorge
(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“
Die Unterkunft steht im Mittelpunkt eines weiteren Ermittlungsverfahrens, bei dem Bashar ebenfalls als möglicher Täter gilt und in dem Verfahren soll die Unterkunft der Tatort gewesen sein: Eine Elfjährige hatte geschildert, dass sie dort bereits im März von einem „Ali“ vergewaltigt worden sei.
Bekannt wurde der Fall erst am 17. Mai. Ob Bashar der Täter war, werden die Ermittlungen zeigen. Die Frage ist auch: Wie konnte die Unterkunft überhaupt Tatort werden? Und man kommt dabei auch nicht an der Frage vorbei: Was hat eine Elfjährige ohne erwachsene Aufsichtspersonen in einer solchen Unterkunft zu suchen? Guckt da niemand hin? Das berührt auch die elterliche Aufsichtspflicht. Sie dient dem Schutz der Minderjährigen. Fatal wird es, wenn diese Pflicht sträflich vernachlässigt wird, aus völliger Überforderung mit der Erziehung oder aus Desinteresse, oder wenn sich Minderjährige der elterlichen Aufsicht beharrlich entziehen.
Im Zuge der Ermittlungen war auch bekannt geworden, dass sich in der Innenstadt regelmäßig eine Clique, zu der auch minderjährige Mädchen und junge Flüchtlinge zählten, getroffen haben soll. Um abzuhängen. Susanna gehörte dazu. Zwei eher verloren wirkende Gruppen zogen sich an und fanden sich anziehend. „Wir müssen nun sehen, wie groß diese Szene ist, wer dazu gehört“, sagt Manjura. Das ist der soziale Teil des Problems. Mit welchen Angeboten können diese Kinder und Jugendlichen aufgefangen werden? Es gibt niederschwellige Angebote, aber es muss die Bereitschaft da sein, sich darauf einzulassen.
Der andere Teil des Problems betrifft die Frage, ob und in welcher Form in den großen Unterkünften eine Form von Zugangskontrolle stattfinden könnte. „Unterkünfte sind weder Gefängnisse noch Kasernen“, sagt Manjura. Er spricht vom „offenen Haus als Wohnunterkunft“, und dass der „Charakter“ der Unterkünfte nicht verloren gehen dürfe. Unterkünfte sind aber auch kein rechtsfreier Raum, und der Charakter als „offenes Haus“ kann nicht dazu dienen, Tatgelegenheit zu schaffen oder zu fördern. Lassen sich ein Mehr an gewünschter Sicherheit und das hohe Maß der garantierten Freizügigkeit überhaupt vereinbaren? Wer könnte mehr Kontrolle gewährleisten?
Der klassische Hausmeisterdienst hat vorrangig andere Aufgaben. Es bräuchte also mehr Personal. Sicherheitsdienste wären denkbar ebenso wie ein Pförtnerdienst. Damit ließen sich aber nur die Haupteingänge im Blick behalten. Verbote allein würden ohnehin wenig bewirken, glaubt Sozialdezernent Manjura. Minderjährige und Jugendliche würden sich davon nicht abhalten lassen. „Als Stadt werden wir das auch nicht alleine schaffen“. Manjura hat andere mit im Blick: „Wir müssen auf jeden Fall die Erziehungsberechtigten sensibilisieren.“