Der CDU-Landrat im Katastrophengebiet Ahrtal, Jürgen Pföhler, hat auch das Vertrauen seiner eigenen Partei verloren. Er soll in der Flutnacht zu zögerlich gehandelt haben.
Grafschaft . Der Kreistag im von der Flutkatastrophe schwer getroffenen Kreis Ahrweiler fordert fraktionsübergreifend einen personellen Neustart im Amt seines Landrats Jürgen Pföhler (CDU). Eine SPD-Resolution, die von ihm verlangt, "den Weg für einen Neuanfang frei zu machen", wurde in einer Kreistagssitzung am Mittwoch in Grafschaft einstimmig bei drei Enthaltungen angenommen - somit also fünfeinhalb Wochen vor der Bundestagswahl auch von seiner eigenen Partei, der CDU. Die Grünen begannen nach eigenen Worten zusätzlich Unterschriften für eine Abwahl von Pföhler zu sammeln. Ein solches Verfahren hat allerdings hohe Hürden.
Der inzwischen krankgeschriebene Landrat will nach Angaben seiner Verwaltung indessen im Amt bleiben. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen ihn und ein weiteres Mitglied des Krisenstabes. Dabei geht es um den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen am Katastrophenabend des 14. Juli. Viele Anwohner werfen Pföhler vor, damals zu zögerlich und zu spät gehandelt zu haben. Nach seinen Worten war auch sein eigenes Haus von der Katastrophe betroffen. Nach Starkregen waren bei einer Sturzflut im Ahrtal 133 Menschen ums Leben gekommen und 766 verletzt worden. Sehr viele Häuser wurden zerstört oder beschädigt.
Grünen-Sprecherin Birgit Stupp sagte, am 14. Juli habe sich aufgrund behördlicher Warnungen schon nachmittags abgezeichnet, dass die sogenannte Jahrhundertflut von 2016 an der Ahr noch übertroffen werde. Dennoch sei im Tal erst um 23.09 Uhr Katastrophenalarm ausgelöst worden. Bei frühzeitigeren Evakuierungen hätten laut Stupp wohl viele Todesfälle und Verletzungen verhindert werden können. Der krankgeschriebene Landrat war nicht in der Kreistagssitzung. Er hatte appelliert, die Ereignisse während der Flut besonnen zu beurteilen.
Fast alle Winzer betroffen
Unterdessen warnte die Polizei vor weiter kursierenden Falschmeldungen. In den sozialen Medien gebe es noch Meldungen von 600 aufgefundenen Kinderleichen, zwölf Ertrunkenen in einer Tiefgarage und vielen Suiziden bei Betroffenen der Katastrophe, sagte Ulrich Sopart vom Polizeipräsidium Koblenz. "Keine dieser Meldungen ist wahr." Er rief dazu auf, ausschließlich seriösen Quellen zu vertrauen und sich nicht am Verbreiten von Fake News im Internet zu beteiligen.
Betroffen von der Flutkatastrophe sind auch fast alle Winzer im Rotweingebiet Ahrtal - nun bekommen besonders geschädigte Betriebe wenige Wochen vor der Lese Soforthilfen von je 15.000 Euro. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, sagte in Rech an der Ahr, eine Spendenaktion der Agrarbranche und von Hilfsorganisationen habe insgesamt mehr als fünf Millionen Euro für betroffene Bauern und Winzer in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eingebracht.
Der Geschäftsführer des Weinbauverbands Ahr, Knut Schubert, erklärte: "Nur drei Winzerbetriebe im Ahrtal sind nicht vom Hochwasser betroffen." Hier gebe es neben drei allesamt geschädigten Winzergenossenschaften 49 Selbstvermarkter und rund 15 hauptberufliche Traubenerzeuger, die die Genossenschaften belieferten. Viele beschädigte Winzerbetriebe lägen am Fluss - ihre Rebflächen dagegen seien als höhere und Steillagen oft nicht beeinträchtigt worden. "Das Weinbaugebiet ist 560 Hektar groß. Rund zehn Prozent davon sind nicht mehr lesbar", erklärte Schubert.
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Die meisten Ahr-Winzer hätten keine Elementarversicherung. Der Aufbau eines neuen Weinbaubetriebs koste 1,2 bis 1,5 Millionen Euro. Bei zerstörten Rebflächen schlagen laut Schubert Neuanpflanzungen mit rund 60.000 Euro pro Hektar zu Buche. Zudem könnten in den ersten drei Jahren noch keine Trauben gelesen werden - das bedeute einen Ausfall von mehr als 100 000 Euro pro Hektar.
Derweil hat ein bayerisches Ölwehr-Team etliche geflutete Öltanks an der Ahr geleert. Der Einsatz ende dieses Wochenende, sagte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Linnertz. Mit der Wasser-Öl-Separationsanlage seien rund 3200 Kubikmeter Öl-Wasser-Gemische separiert und etwa 1300 Kubikmeter Reinöl gewonnen worden.
Bei Mayschoß an der Ahr geht in Kürze eine temporäre Kläranlage des Deutschen Roten Kreuzes in Betrieb. Das Hochwasser hatte die Kläranlagen der Region beschädigt. "Eine komplette Restaurierung wird garantiert mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Das ist jetzt schon klar", hatte der Chemieingenieur Kurt Saygin am Dienstag gesagt. "Durch das Hochwasser ist das Ahrtal abwassertechnisch um etwa 100 Jahre zurückversetzt worden." Die neue Anlage passt auf einen größeren Laster und kann etwa 2000 Menschen versorgen.
Die Wiederherstellung der Gasversorgung im Ahrtal bezeichnete der Versorger Energienetze Mittelrhein als "gewaltige Herkulesaufgabe". "Wir haben etwa 112 Kilometer Gasleitungen in diesem Gebiet im Ahrtal, die vom Hochwasser unmittelbar betroffen sind, und auch etwa 6000 Netzanschlüsse, also Anschlüsse an den Haushalten, sind betroffen", sagte Unternehmenssprecher Marcelo Peerenboom. Viele Gasdruckregel und -messanlagen seien komplett zerstört. "Alle unsere Querungen über die Ahr sind weggerissen. Wir müssen jetzt Stück für Stück die ganze Gasversorgung, die ganzen Leitungen, die Anlagen, alle wieder instand setzen, neu bauen", erklärte Peerenboom.
Von dpa