Das sind die Gewinner des Gutenberg-Recherchepreises

Die Preisträger Daniel Noglik, Charlotte Köhler und Ruben Schaar (v.l.) mit Vertretern der Jury des Gutenberg-Recherchepreises und der Lingen-Stiftung. Foto: Stephan Dinges

Am Donnerstag wurde im Verlagsgebäude der VRM auf dem Mainzer Lerchenberg der Gutenberg-Recherchepreis vergeben. Spiegel-Reporter Christoph Reuter war als Gastredner dabei.

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MAINZ. Christoph Reuter sagt, es sei immer das Ziel, zu erfahren, was wirklich geschehen ist. Dazu müsse man „im Rauschen suchen und herausfinden, ob eine Geschichte dahintersteckt“. Reuter ist Spiegel-Reporter und hat eindrücklich über den Krieg in der Ukraine berichtet. Von den Kriegen im Irak, in Afghanistan und in Syrien hat er in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls reportiert. Dafür erhält er den renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis 2022.

Bei der Preisverleihung des Gutenberg-Recherchepreises U35, der von der Lingen-Stiftung und der VRM initiiert wurde, auf dem Mainzer Lerchenberg ist Reuter der Gastredner des Abends. Den Begriff des Kriegsberichterstatters möge er nicht und als solcher sehe er sich auch nicht. Vielmehr verweist er mit dem eben genannten Zitat darauf, dass seine Arbeit und die eines Lokaljournalisten „gar nicht so verschieden“ ist.

Musterbeispiel für Wächterfunktion

Aus Einzelfällen ergeben sich laut Reuter meistens weitere und größere Geschichten. Das zeigt seine Ukraine-Berichterstattung und das zeigen die Geschichten der Preisträger. Er ist sich daher sicher, dass „akribische Recherchen noch wichtiger werden“. Dass solche Recherchen auch jetzt schon immens wichtig sind, betont VRM-Chefredakteur Friedrich Roeingh. Gerade „in Zeiten von Fake-News und Verschwörungsmythen“. Roeingh ist zugleich Vorsitzender der Jury des Recherchepreises und führt mit Annette Binninger, Chefredakteurin der Sächsischen Zeitung, als Moderator durch den Abend.

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„Ein Musterbeispiel dafür, wie Lokalzeitungen ihre Wächterfunktion wahrnehmen.“ So beschreibt die Jury die Arbeit des drittplatzierten Ruben Schaar, Reporter bei der Würzburger Main-Post. Er hat durch seine Recherche und Berichterstattung mit dem Titel „Das Geschäft mit der Wohnungsnot“ einen Sozialbetrug im ganz großen Stil aufgedeckt. Menschen, die es auf dem Wohnungsmarkt sehr schwer haben, wohnen in miserablen Zuständen. Dem zuständigen Jobcenter, das die Wohnungen vermittelt, fiel es nicht auf. Erst Schaars Recherche sorgte laut Jury dafür, dass dieser Millionenbetrug aufgedeckt wurde. Der dritte Platz ist mit 3000 Euro Preisgeld notiert.

Aus einer Polizeimeldung werden 42 Artikel

Kriminelle Clan-Strukturen und dubiose Geschäfte in Dönerbuden und Shisha-Bars. Das gibt es nicht nur in Berlin, Hamburg oder München. Daniel Noglik, Lokalreporter der Ostfriesen-Zeitung, hat ein zweifelhaftes Firmengeflecht in seiner norddeutschen Heimatprovinz ans Licht gebracht. Aus einer zunächst harmlos erscheinenden Polizeimeldung habe sich eine umfangreiche Berichterstattung entwickelt. Noglik erklärt stolz: „In den vergangenen Monaten sind 42 Texte entstanden.“ Dann fügt er lachend an: „Die Leute dachten irgendwann: ‚Das kann doch gar nicht stimmen, was der Noglik da alles schreibt‘“. Er habe wochenlang nichts anderes gemacht als zu recherchieren und seine Texte zu schreiben, seine Redaktion hielt ihm dafür den Rücken frei.

So erst konnte die Recherche „Die Hells-Angels-Wiesmoor-Connection“ entstehen. Die Jury würdigt Nogliks Arbeit deswegen so: „Der Autor und seine Kolleg*innen beweisen, dass auch die kleinste Redaktion investigativen Journalismus leisten kann – wenn sie ihn sich leistet.“ Dafür gab es den zweiten Platz und 5000 Euro Preisgeld.

Zunahme der Bewerbungen

„Mich hat die Geschichte sehr mitgenommen.“ Das sagt Charlotte Köhler über ihre Recherche „Derek, geboren 2008, gestorben 2019“, mit der sie den ersten Platz des Gutenberg-Recherchepreises U35 gewinnt. Ihre Berichterstattung zeigt, wie emotional, anstrengend und langwierig eine akribische Recherche sein kann. Stundenlange Gespräche, monatelange Recherche und viele Fahrten von Reutlingen, wo Köhler die dortige Reportageschule absolviert hat, nach Berlin. All das, um die Geschichte von Derek zu erzählen, der sich mit elf Jahren auf tragische Weise das Leben nimmt. Derek kommt mit zwei Jahren ins Heim, ist in einer Pflegefamilie und scheitert immer wieder an Behörden, Betreuern und der Gesellschaft. Köhler war zufällig bei der Themenfindung für die Abschlussarbeit an der Rechercheschule auf das Thema gestoßen. „Entstanden ist ein Zeitdokument, das Versagen an vielen Stellen offenlegt und auf Missstände aufmerksam macht“, so die Jury in ihrer Begründung. Der erste Platz ist mit 7000 Euro Preisgeld dotiert.

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Auch einen Sonderpreis gab es. Diesen erhält der Münchner Journalist Alexander Gutsfeld für seine Recherche „Narcoland“. Der Autor habe laut Jury seine spannende Recherche zum Übergriff eines Crystal-Meth-Kartells von Holland nach Nordrhein-Westfalen in eine fünfteilige Podcast-Serie gegossen und beweist damit, dass sich akribische Recherchen auch in Podcasts transportieren lassen und dass Podcasts nicht nur Debatten- und Unterhaltungsmedium sein müssen. Zur Preisverleihung konnte Gutsfeld nicht erscheinen, da er – wie könnte es anders sein – auf einer Recherchereise ist. Carsten Rose von der Aachener Zeitung, der ebenfalls an der Recherche beteiligt war, vertrat ihn, kam aber im Gespräch mit den Moderatoren nicht zu Wort. Positiv zu erwähnen sei laut Friedrich Roeingh außerdem die Zunahme der Bewerbungen. „Die Bewerberlage hat sich von Jahr zu Jahr gesteigert. Dieses Jahr waren es 71 Zusendungen, vergangenes Jahr nur etwas über 50.“