City-Bahn für Wiesbaden: Kommt nun ein Bürgerentscheid?
Ende vergangenen Jahres ist die Bürgerbeteiligung für die City-Bahn angelaufen. Auf vier Infomessen und im Online-Dialog konnte sich jeder über Streckenverlauf, Haltestellen oder auch Kosten informieren und seine Position dazu einbringen. Wir haben nun Politiker und Vertreter von Organisationen und Institutionen gefragt, darunter auch Bürgerinitiativen, wie sie zu einem Bürgerentscheid stehen.
Von Manfred Knispel
So stellen sich die Planer der City-Bahn GmbH Streckenführung und Verkehrsberuhigung rund um die Wiesbadener Ringkirche vor. Noch ist aber nicht entschieden, ob die Route tatsächlich auch hier langführt. Illustration: CityBahn GmbH / Klaus Trommer
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WIESBADEN - Ende vergangenen Jahres ist die Bürgerbeteiligung für die City-Bahn angelaufen. Auf vier Infomessen und im Online-Dialog konnte sich jeder über Streckenverlauf, Haltestellen oder auch Kosten informieren und seine Position dazu einbringen. Und plötzlich steht auch wieder ein anderes Thema auf der Tagesordnung. Statt nur um Steckenverläufe oder Lage der Haltestellen, wird intensiv über die Frage diskutiert, ob nicht mittels eines Bürgerentscheids über das Projekt als Ganzes entschieden werden müsste. Wir haben dazu Politiker und Vertreter von Organisationen und Institutionen gefragt, darunter auch Bürgerinitiativen.
Insbesondere taucht dabei immer wieder der Begriff Vertreterbegehren auf. Während bei klassischen Bürgerbegehren zunächst Unterschriften gesammelt werden müssen - die notwendigen drei Prozent der Wahlberechtigten sind in Wiesbaden exakt 6227 Unterzeichner -, um einen Parlamentsbeschluss zu kippen oder den Start eines neuen Projekts durchzusetzen, geht das Vertreterbegehren vom Parlament aus. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit können die 81 Stadtverordneten einen Bürgerentscheid in Gang setzen, also eine Art Volksabstimmung. So etwas hat es bislang in Wiesbaden noch nicht gegeben. Die Hessische Gemeindeordnung lässt das erst seit Anfang 2016 zu.
Antrag der FDP
Am kommenden Mittwoch wird die Stadtverordnetenversammlung - erneut - über ein solches Vertreterbegehren entscheiden. Der entsprechende Antrag kommt von der FDP, der einzigen Fraktion im Parlament, die sich stets gegen die City-Bahn ausgesprochen hat.
Im vergangenen Dezember hatte die FDP schon einmal einen ähnlichen Antrag gestellt - und war gescheitert. „Die FDP ist die Dagegen-Partei“, wurde den Liberalen vorgeworfen. Doch jetzt scheint die Idee doch an Fahrt zu gewinnen. Erst war es SPD-Oberbürgermeister Sven Gerich, der, wenn auch verklausuliert, Anfang Januar ein Bürgerbegehren nicht ausschloss, ein paar Tage später folgte Oliver Franz, Bürgermeister und Vorsitzender der Wiesbadener CDU, der ebenfalls ein Vertreterbegehren ins Spiel brachte. Befeuert wurde das noch von einer - rechtlich nicht verbindlichen - Online-Petition der BI Mitbestimmung, der sich innerhalb kurzer Zeit fast 1800 Wiesbadener unterschrieben.
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Sven Gerich, Oberbürgermeister: „Ich befürworte die City-Bahn aus vielerlei Gründen - nicht zuletzt weil wir sonst zu gravierenden Restriktionsmaßnahmen gezwungen werden könnten. Nichtsdestotrotz kann ich mir bei der Bedeutung dieses Projekts für die Zukunftsfähigkeit der Stadt einen Bürgerentscheid sehr gut vorstellen und empfehle auch, diesen als Vertreterbegehren durch das Parlament einzuleiten. Dabei ist es für mich ganz wichtig, dass dieser Bürgerentscheid erst nach Fertigstellung der Genehmigungsplanung durchgeführt wird. Denn nur, wenn genug Zeit zur Information und Diskussion war, kann auch eine Entscheidung gefällt werden.“
Andreas Kowol, Verkehrsdezernent (Grüne): „Das gewählte Stadtparlament hat uns mit der City-Bahn-Planung beauftragt. Viele Bürger begrüßen das, um Stau, Luftbelastung und Lärm zu reduzieren. Andere haben ein Bürgerbegehren dagegen angekündigt. Wenn die nötigen Unterschriften zusammenkommen, gibt es einen Bürgerentscheid. Hier hat die Bürgerschaft also ein geeignetes, niedrigschwelliges Instrument der direkten Demokratie in der Hand. Meine Aufgabe als Dezernent sehe ich in einer allumfassenden Bürgerbeteiligung. Vier Infomessen mit 1300 Teilnehmern und ein Online-Dialog mit 900 Anregungen waren der Anfang.“
Denis Seldenreich, Fachpolitischer Sprecher der AfD: „Die AfD fordert auf Bundesebene Volksentscheide nach Schweizer Vorbild und steht daher auch Bürgerbegehren und -entscheiden auf kommunaler Ebene positiv gegenüber. Die AfD Rathausfraktion hält aufgrund der kommunalpolitischen Bedeutung des City-Bahn-Projekts ein Bürgerbegehren für begründet. Nach Ansicht der AfD Rathausfraktion ist ein Bürgerentscheid zum jetzigen Zeitpunkt jedoch verfrüht, da wesentliche Daten aus der Projektplanung, wie die Streckenführung, noch nicht vorgelegt wurden, die für eine Beurteilung des Projekts durch die Bürger erforderlich sind.“
Brigitte Forssbohm, Fachsprecherin Linke/Piraten: „Die Linke steht ganz klar für eine City-Bahn als die umweltfreundlichste Form der Elektromobilität. Wir können mit den vielen offenen Details der Streckenführung und Haltepunkte gut leben, da sie erst im Rahmen einer Bürgerbeteiligung geklärt werden sollen. Die derzeitigen politischen Mehrheiten repräsentieren aufgrund der Aussagen in den Kommunalwahlprogrammen auch den Wählerwillen für die Planung einer City-Bahn. Ein Bürger- oder Vertreterbegehren sollte wenn, dann erst nach einer umfassenden Beteiligung und sachlichen Information der Bürgerschaft zu allen die Verkehrsentwicklung betreffenden Fragen stattfinden.“
Harald Weber, Bürgerinitiative BI Mitbestimmung: „Die BI Mitbestimmung unterstützt ein Vertreterbegehren, anderenfalls werden wir einen Bürgerentscheid erzwingen. Der City-Bahn fehlt die politische Legitimation - geradezu undenkbar bei den Kosten und den unumkehrbaren Veränderungen des Stadtbildes. Sie war gerade nicht Gegenstand der Kommunalwahl 2016. Der Streckenverlauf, die Haltestellen und die Auswirkungen auf die Stadt stehen erst heute im Prinzip fest. Die Frage, ob eine City-Bahn gewollt ist oder nicht, ist jetzt entscheidungsreif. Die Abstimmung darüber soll mit der Landtagswahl am 28. Oktober erfolgen. Dies sichert eine hohe Beteiligung und echte Mitbestimmung.“
Oliver Franz, Bürgermeister (CDU): „Bau und Betrieb der geplanten City-Bahn werden unsere Stadt viele Millionen Euro kosten. Zudem wird es gravierende Veränderungen im Wiesbadener Straßenverkehr und Stadtbild geben. Deswegen sollten die Bürger möglichst bald über das Projekt entscheiden - also die, die es im Lebensalltag betrifft. Ein durch das Stadtparlament initiierter Bürgerentscheid (Vertreterbegehren) könnte gleichzeitig mit einer anderen Wahl - Landtags-, OB- oder Europawahl - stattfinden. Dadurch würden nicht nur Kosten gespart werden, sondern sich auch mehr Bürger am Referendum beteiligen.“
Hermann Zemlin, Geschäftsführer City-Bahn GmbH: „Die City-Bahn als Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs in Wiesbaden ist unbedingt notwendig, insbesondere unter Berücksichtigung der weiter steigenden Fahrgastzahlen, des Bevölkerungswachstums und der Standort-Attraktivität für Investoren. Alle denkbaren Alternativen wurden geprüft und können die City-Bahn nicht ersetzen. Bei der umfassenden Bürgerbeteiligung wird das Projekt erläutert, die Reaktionen sind überwiegend positiv. Da die besseren Argumente für die City-Bahn sprechen, bin ich zuversichtlich, dass es bei einem möglichen Bürgerentscheid zu einer Zustimmung zur City-Bahn kommen würde.“
Christian Diers, Fraktionschef der FDP im Rathaus: „Die FDP befürwortet ein Vertreterbegehren. Die Verantwortlichen haben es versäumt, zukunftsweisende, moderne Alternativen für den ÖPNV zu entwickeln und setzten nur auf das Thema „Schiene“. Da das Projekt bei der letzten Kommunalwahl leider kein Thema war, haben wir seit dem Beginn der erneuten Stadtbahndiskussion auf eine echte Bürgerbeteiligung gedrängt. Es freut uns, dass jetzt - über Parteigrenzen hinweg - der wahrnehmbare und dringende Wunsch besteht, grundsätzlich über die City-Bahn, die zu großen Veränderungen im Nahverkehr, beim Stadtbild sowie beim Haushalt führen würde, zu entscheiden.“
Roswitha Wächter, Bündnis Verkehrswende: „Das Bündnis Verkehrswende setzt sich für eine veränderte Mobilität ein. Die City-Bahn ist bei wachsendem Verkehrsaufkommen dafür zukunftsweisend, emissionsarm, bequem und zuverlässig, eine wichtige Ergänzung zu den vorhandenen Verkehrsmitteln. Dass unterschiedliche Parteien beider Städte da einig sind, spricht für sich. Die verschiedenen Gruppen in unserem Bündnis haben zum Thema Bürgerentscheid unterschiedliche Meinungen. Wir sagen, falls es zum Bürgerentscheid kommt, dann bitte erst 2019, damit sich jede(r) anhand von Fakten und Details eine fundierte Meinung zur City-Bahn bilden kann.“
Detlev Reymann, Präsident der Hochschule Rhein-Main: „Die Hochschule Rhein-Main hat großes Interesse an der City-Bahn. Das Projekt fügt sich nahtlos ein in unsere Überlegungen zu einem Mobilitätskonzept, das wir derzeit unter anderem für den Kurt-Schumacher-Ring erstellen. Dazu gehört auch, dass wir mit dem kostenlosen RMV-Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr Vorreiter waren, dem jetzt auch das Land mit seinen Bediensteten gefolgt ist. Unabhängig von unserem Interesse an der Bahn ist das Thema Bürgerbegehren und -entscheid eine politische Frage, die auf dieser Ebene entscheiden werden muss und in die die Hochschule nicht eingreifen will.“
Bernhard Mundschenk, Handwerkskammer: „Bei aller Wertschätzung für gelebte und direkte Demokratie: Bürgerentscheide sollten, wenn überhaupt, nur auf der Basis einer klaren Faktenlage erfolgen. Bei der City-Bahn scheinen mir zum jetzigen Zeitpunkt diesbezüglich Zweifel angebracht. Ohne eine verbindliche Entwurfsplanung macht ein Bürgerentscheid wenig Sinn. Wenn die Politik an „Volkes Meinung“ so großes Interesse hat, spricht nichts gegen eine frühzeitige Bürgerbeteiligung. Aber ganz grundsätzlich: In unserer repräsentativen Demokratie sollten gewählte „Volksvertreter“ den Mumm haben, auch umstrittene Projekte zu entscheiden und zu verantworten.“