Aus der Redaktion (1): Es steht viel auf dem Spiel

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Wer darf vom Geisterspiel berichten und wer nicht? Medienschaffende sind derzeit häufig auf die Gnade der Vereine angewiesen. Vor allem bei  den jetzt anstehenden Geisterspielen in der Liga. Unser Foto zeigt einen Moment der Europapokal-Partie zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Basel im März. Archivfoto: Uwe Anspach / dpa
© Archivfoto: Uwe Anspach / dpa

Beim Milliardengeschäft Fußball soll nicht jeder alles wissen, deshalb lassen Clubs Medien schon mal außen vor und machen selbst Programm.

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MAINZ. Für viele ist Fußball Liebe, Leidenschaft, Lebensinhalt. Manchmal Anlass für Krieg und Hass. Grund genug, dem Ballsport breiten Raum zu geben. Das gilt auch für die Lokalzeitungen. Mit zwei Bundesligisten, zwei Zweitligisten und einem Drittligisten in der Nähe haben die Sportredakteure der VRM alle Hände voll zu tun.

Normalerweise. Erst langsam fährt der Spielbetrieb wieder hoch. Ob sich unsere Reporter dann in allen Bundesligastadien einen unmittelbaren Eindruck vom Geschehen auf und neben dem Spielfeld machen dürfen, hängt von der Gnade der gastgebenden Vereine ab. Das Corona-Konzept der Deutschen Fußball Liga sieht nur zehn Plätze für schreibende Kollegen in den Stadien vor; davon sind vier Sitze für Fach- und Boulevardblätter sowie Presseagenturen reserviert. Zuschauer bleiben ohnehin draußen. VRM-Sportchef Tobias Goldbrunner ist vorsichtig optimistisch, dass sein Team bei Heimspielen und auswärts jeweils einen Platz im Stadion erhält. Ein mulmiges Gefühl, so völlig einer Vereinspressestelle ausgeliefert zu sein, bleibt jedoch zurück.

Streng genommen sind die Bundesligavereine Hausherren in der Arena. Sie dürfen aussperren, wen sie wollen. Allerdings gibt es auch die Pressefreiheit. „Eine umfassende Berichterstattung, wie sie von Artikel 5, Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz gefordert wird, lässt sich unter Verzicht auf Sportereignisse nicht verwirklichen“, schrieb das Bundesverfassungsgericht 1997.

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Der Fußballbetrieb ist keine Privatangelegenheit. In elf der 18 Bundesligastadien sind die Vereine nur Mieter – meist einer städtischen Tochter. Das öffentliche Interesse können wir am Einsatz der Polizeihundertschaften ablesen, die jedes Wochenende Privatkriege rund um die Fußballfestungen unterbinden. Der Stadtstaat Bremen hat ausgerechnet: Rund 250 Beamte an normalen Spieltagen, Hochrisikospiele benötigen 1000 Polizisten und mehr.

Vereine mausern sich zu Medien-Unternehmen

Fußball bringt den Kommunen Geld. Auch den Zeitungen. Schließlich wollen Leser von Montag bis Samstag wissen, wie es der Achillesferse der Nation geht oder warum der neue Stürmer nicht trifft. Aber was die Öffentlichkeit wissen soll, kontrollieren die Vereine häufig lieber selbst. Bewegte Bilder, Pressetexte, Social-Media-Auftritte – die Vereine mausern sich zu eigenen Medienunternehmen. Und steuern die Nachrichten.

Reus fährt ohne Führerschein, Hoeneß hinterzieht Steuern, Boateng verstößt gegen Corona-Regeln. Das soll nicht jeder wissen. Es steht viel auf dem Spiel. Jedes Jahr finanzieren die Proficlubs das Gros ihrer Ausgaben mit den 1,2 Milliarden Euro, die sie für die Übertragungsrechte von Fernsehanstalten kassieren. Das Meiste zahlen Privatsender, die unterhalten wollen, nicht informieren. Aber Interviews mit den Stars gehören zum Verhandlungspaket.

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Und die Zeitungen? „Man sollte die Presse nicht wichtiger machen, wie sie wichtig gemacht wird“, hat der Spieler Lothar Matthäus gesagt. Aber wenn im Stadion das Flutlicht erlischt, die Zuschauer wegbleiben, die Vierte Liga droht – dann klingelt auf einmal wieder das Telefon beim Lokalreporter. Und der hebt ab.

Von Stefan Schröder