Ali Bashar oder Ali B.? Warum wir den Täter mit Namen nennen...

aus Der Fall Susanna

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Ein Mann fotografiert eine Stellwand mit dem Fahndungsfoto von Ali Bashar. Foto: dpa
© dpa

Der Fall Susanna beschäftigt Deutschland. Für Journalisten kommt es in einem solchen Fall darauf an, besonders sorgfältig zu recherchieren und die Worte besonders sorgfältig...

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MAINZ/WIESBADEN/DARMSTADT. Im Internet hat der Pöbel – nennen wir ihn ruhig so – sein Urteil blitzschnell gefällt. Er weiß, wer der Mörder ist und was mit ihm zu geschehen hat, und er erbricht seine Wut auf die Tastatur. Die Trauer um den Tod eines Mädchens, das Entsetzen angesichts einer entsetzlichen Tat, das Mitgefühl für die Angehörigen gehen dabei unter. Der Fall Susanna soll, je nach Lager, exemplarisch für vieles stehen: echte und vermeintliche Fehler in der Flüchtlingspolitik, echte und vermeintliche Versäumnisse in der Strafverfolgung. Er steht aber vor allem für eine „Diskussionskultur“, die nur noch Extreme kennt.

Auch jene, die die breite Öffentlichkeit über einen solchen Fall informieren, stehen vor besonderen Herausforderungen. Etwa die Online-Kollegen der VRM, die je nach Nachricht und Uhrzeit kaum nachkommen, die Leserkommentare zu sichten und hasserfüllte Beiträge zu löschen. Generell kommt es für Journalisten in einem solchen Fall darauf an, besonders sorgfältig zu recherchieren und die Worte besonders sorgfältig zu wählen. Das ist, noch dazu im Internetzeitalter der sich überschlagenden Eilmeldungen, ein sehr schmaler Grat: Zwischen berechtigtem öffentlichem Interesse und Sensationsgier, zwischen notwendiger, nachgeprüfter Information und purer Spekulation zu unterscheiden, ist zentral. Aber dies gelingt bei weitem nicht jedem und nicht immer, und mitunter, je nach Medium, siegt ganz bewusst die Lust an der Schlagzeile über Anstand und Verstand.

Auch mutmaßliche Straftäter haben Persönlichkeitsrechte

Eine Frage, die sich auch uns gestellt hat – und wozu uns auch zahlreiche Leserzuschriften erreicht haben – ist etwa, ob wir den vollen Namen des mordverdächtigen Irakers nennen sollen, und ob wir sein Bild – und auch das der getöteten Susanna – unverfremdet zeigen. Denn nicht nur Opfer, auch mutmaßliche Straftäter haben Persönlichkeitsrechte, die es in der Berichterstattung zu beachten gilt. Sofern man verantwortungsvoll berichten will.

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Um es vorweg zu sagen: Auch wir haben nicht immer alles richtig gemacht, vor allem haben wir nicht immer einheitlich berichtet. Und wer in der Gesamtschau auf Zeitungen, Fernsehsender und Onlinemedien blickt, muss zu dem Schluss kommen: Jeder macht es anders. „Kein Medium berichtet konsistent“, sagt der Wiesbadener Medienrechtler Prof. Dr. Christian Russ, „mitunter ist das auch eine Frage des Stils.“

Grundsätzlich sind zwei Ebenen zu beachten. Einmal ist zu unterscheiden zwischen Opfer und Täter – hier sind die Persönlichkeitsrechte unterschiedlich zu gewichten –, zum anderen ist der Zeitpunkt der Berichterstattung von Bedeutung.

Eindeutig ist die Lage, solange die Fahndung nach einem Verdächtigen und die Suche nach einer Vermissten laufen. Beide sollen gefunden werden, also sind die Nennung des vollen Namens und das Zeigen des Fotos erlaubt und von den Behörden auch erwünscht.

Für die Berichterstattung über den Täter entscheidend ist der Zeitpunkt der Festnahme und, wie in diesem Fall, die Überstellung nach Deutschland. Jetzt, sagt Russ, sei abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse und den Persönlichkeitsrechten, denn: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt im Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Gerechtfertigt ist die identifizierende Berichterstattung demnach, wenn drei Fragen mit Ja beantwortet werden können: 1. Gibt es ein großes öffentliches Interesse an dem Fall? Der Fall bewegt ganz Deutschland, also eindeutig ja. 2. Handelt es sich um ein Kapitalverbrechen? Der Iraker ist des Mordes und der Vergewaltigung verdächtig, also eindeutig ja. 3. Besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er die Tat begangen hat? Der Iraker hat gestanden, Susanna getötet zu haben, also eindeutig ja. Deshalb dürfe er auch schon zum jetzigen Zeitpunkt als Täter bezeichnet werden, sagt Russ – ob er einen Mord begangen hat, darüber hat später ein Gericht zu befinden.

Wir haben uns deshalb entschieden, ab sofort in unserer Berichterstattung wieder den vollen Namen des geständigen Täters Ali Bashar zu nennen und sein Bild unverfremdet zu zeigen. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung – denn dann sind die Persönlichkeitsrechte neu zu gewichten.

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Auch bei der Berichterstattung über das Opfer ist abzuwägen zwischen öffentlichem Interesse und den Persönlichkeitsrechten, die bei einer Minderjährigen besonders ins Gewicht fallen. Entscheidender Zeitpunkt für die Veröffentlichung: der Fund des Opfers und die Nachricht vom Tod. Auch danach greifen Persönlichkeitsrechte, die des Opfers natürlich, aber nun vor allem auch die der Angehörigen – wenn es etwa um die Nennung des Nachnamens geht.

Besonders zu beachten in diesem Fall sei, sagt Russ, dass Susanna angesichts des ungemein großen öffentlichen Interesses zur Person der Zeitgeschichte geworden sei. Ihr Foto sei deutschlandweit bekannt, es sei leicht im Internet zu recherchieren, zahlreiche Fernsehsender und (Online-)Medien zeigen es. Insgesamt, sagt Russ, „neigt sich die Waage deshalb zu einer Veröffentlichung des Fotos – jedenfalls, solange der Fall noch so präsent ist in der Öffentlichkeit“.

Wir haben uns deshalb entschieden, den Nachnamen Susannas nicht zu nennen, ihr Foto aber zu zeigen – zurückhaltend und in angemessenem Rahmen.

Dies zur Erläuterung unseres Umgangs mit diesem Fall, auch bei der Prozessberichterstattung wird dies eine Rolle spielen. Den Prozess zu führen und ein Urteil zu sprechen, ist dann Sache des Gerichts – und nur des Gerichts.