„Jetzt schon so groß wie Riesling-Trauben bei der Lese“: Theo Gering in seinem Wingert, in dem der Gelbe Orleans reichen Ertrag bringt. Foto: hbz/Michael Bahr
( Foto: hbz/Michael Bahr)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
NIERSTEIN - Theo Gehring ist zufrieden. Ihm ist es gelungen, die Reporterin zu verdutzen, mit einer Einladung. „Kommen Sie doch mal in meinem Wingert vorbei, wir lesen gerade Trauben!“
Moment mal. Traubenlese – im Juli!?! Gibt es nicht. „Gibt es doch“, lacht der Niersteiner Winzer. „Allerdings handelt es sich um die sogenannte Grüne Lese“, erklärt er: Per Hand ernten er und alle Familienmitglieder, die er mobilisieren konnte, grüne, also unreife Beeren. „Daraus stellen wir einen Verjus her“, sagt Gehring, „in der Spitzengastronomie wird er als Essigersatz geschätzt.“
In Gehrings Wingert am Roten Hang wächst dafür freilich nicht irgendeine Rebsorte. Sondern eine ganz besondere, sehr alte: der Gelbe Orleans. Das hat eine Vorgeschichte. „Wir haben uns vor etwa fünf Jahren umorientiert“, erzählt Theo Gehring. „Wir wollten weg von Sorten wie Cabernet Sauvignon, hin zu den alten, klassischen Rebsorten.“ Der Winzer machte sich auf die Suche, wurde in der Forschungsstation in Geisenheim fündig. Hier stieß er auf eine alte, seltene Sorte: eben den Gelben Orleans. „Es heißt, Napoleon hat ihn vor über 200 Jahren ‚eingeschleppt‘“, lächelt Gehring, aber es gibt Anzeichen, dass er viel, viel älter ist. Am Kloster Disibodenberg gibt es ein paar Stöcke, die sind 400 Jahre alt.“ In den Archiven entdeckte Gehring einen Hinweis, der womöglich dann den Ausschlag gab: „Da war zu lesen, dass der Gelbe Orleans einst in zwei Lagen in Deutschland angebaut wurde. Am Rüdesheimer Schlossberg – und am Roten Hang in Nierstein.“
Jetzt ist der Gelbe Orleans also heimgekehrt an den Hang. 2015 hat Gehring den Wingert – rund 2500 Quadratmeter groß – angelegt, 2016 die erste Ernte eingefahren, „der Wein ist im Fass, kommt im Januar in den Verkauf.“ Nun also das zweite Jahr – und der Orleans erstaunt selbst den erfahrenen Winzer. Der Ertrag ist mehr als stattlich, die Beeren jetzt, im Juli, schon so groß wie eine Riesling-Beere bei der Ernte. „Wenn die mal reif sind“, sagt Gehring und hält eine Orleansbeere in die Höhe, „sind die fast so groß wie Zwetschgen.“ Die Reben tragen schwer unter ihrer Last, daher muss ausgedünnt werden. „Wir schneiden rund Zweidrittel der Trauben weg, lassen ein Drittel stehen.“ So soll die Qualität gesteigert werden.
Theo Gehring rechnet mit einem Produkt „im Spitzensegment“. „Es wird ein hochwertiger Wein“, ist er sicher. Allerdings einer für spezielle Weintrinker: „Der Gelbe Orleans verfügt über sehr viel Säure, weit mehr als Riesling. Um es deutlich zu sagen: Er ist knochentrocken.“ Geerntet werden die reifen Trauben Anfang November, schätzt Gehring.
Und statt die grünen Trauben wieder zu Boden fallen und verrotten zu lassen, werden sie diesmal verarbeitet – zu feinem Verjus. „Wir werden ihn selbst in unserer Restauration verwenden, und ein holländischer Gastronom, den wir kennen, hat auch schon Interesse bekundet.“ Gehring geht davon aus, dass sein „Orleans“ rund 1000 Liter Wein und ebenso viele Liter Verjus abwerfen wird.