„Botschaften halten länger als Steine“: Gemeinsames Beten an der Hahnheimer Synagoge
Von Torben Schröder
Die Hahnheimer Synagoge gibt einen Anstoß zum Nachdenken: Auch während der Reichspogromnacht leiteten gezielt eingesetzte Informationen die Menschen in die Irre. Foto: hbz/Michael Bahr
( Foto: hbz/Michael Bahr)
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HAHNHEIM - Eines wusste Norbert Tiegel mit Gewissheit. „Es war eine Woche, in der sicher nicht alles so gelaufen ist, wie man sich das gedacht hat“, sprach er auf dem Freien Platz in Hahnheim in die Runde. So ist es schließlich in jeder Woche. Immer am Freitagabend lädt der Diakon bis Ostern Gläubige und Interessierte an unterschiedlichen Plätzen ein, um in einem kurzen Beisammensein mit Gesang, Gebet und Ansprachen die Arbeitswoche zu beenden. Zurückblicken und nachdenken an der Schwelle zur Freizeit statt abhaken und vergessen. „Der Glaube ist etwas, das nicht nur im Abgeschiedenen stattfindet“, sagt Tiegel. Gott zeige sich nicht nur in der Kirche, sondern überall, in der Schöpfung, in der Gemeinschaft der Betenden.
Menschen zu treffen, zu überraschen, sie sehen zu lassen, wie der Glaube an unerwarteten Plätzen praktiziert wird, ist dabei ebenfalls hoch willkommen. Eine Spaziergängerin mit ihrem Hund und eine Frau, die nur kurz zum Zigarettenautomat geht, gucken jedenfalls ziemlich erstaunt, als sie die knapp 20 Singenden und Betenden, die Tiegels Einladung gefolgt sind, erblicken. Dort, wo früher die Hahnheimer Synagoge gestanden hatte, die Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut und am 10. November 1938 zerstört worden ist. Am Tag nach der Reichspogromnacht. SA-Leute kamen eigens dafür angereist. „Es waren keine Hahnheimer“, berichtete Georg Jünemann, der eine Miniatur des jüdischen Gotteshauses mitgebracht hatte. Heute erinnern eine Gedenktafel und ein in den Boden eingefasster Davidstern an die Hahnheimer Synagoge.
Fitnesstraining für den Glauben
Norbert Tiegel sieht weitere Parallelen. Auch damals waren es „Fake News“, falsche, aber zielgerichtet eingesetzte Informationen, die Menschen irreleiteten, mit schrecklichen Folgen. So weit sind wir heute natürlich lange nicht, aber eine entscheidende Frage bleibt: „Welches Wort ist richtig, auf welches vertraue ich?“ Die Botschaft lebt davon, dass sie weitergegeben wird – und wer sie weitergibt. „Steine sind vergänglich“, hielt der Diakon fest, „aber wir wissen um die Synagoge. Es scheint so zu sein, dass Worte, Botschaften länger halten als Steine.“ Umso sorgfältiger gilt es, mit ihnen umzugehen. Die Veranstaltungsreihe fand bereits in den Kirchen in Selzen und Köngernheim sowie auf dem Wertstoffhof in Undenheim statt. In dieser Woche lädt Norbert Tiegel am Freitag (18.30 Uhr) nach Eimsheim in den Sitzungssaal des Gemeinderates ein, anschließend geht es noch an den Jugendkreuzweg. „Die Fastenzeit dient auch der Frage, wie bereite ich mich auf Ostern vor“, erklärt der Diakon und antwortet selbst: „Indem ich mir diese Zeit bewusster mache.“ So wie im Frühling bei vielen, bevor die T-Shirt-Saison beginnt, mehr Sport im Programm steht, so bieten die freitäglichen Zusammenkünfte eine Art „Fitnesstraining für den Glauben“.
Normalerweise bietet Norbert Tiegel in der Fastenzeit Exerzitien an, Übungen zur Einkehr und zur Bewusstmachung. Dieses ökumenische Angebot findet in diesem Jahr jedoch im Herbst statt, aus Anlass des Reformationsjubiläums. Also war Platz im Kalender für neue Ideen. „Wohin sollen wir gehen, sag uns, wohin? So viele Termine, welcher ist wichtig? So viele Parolen, welche sind richtig?“, sprach die kleine, in Hahnheim versammelte Gemeinde, „so viele Straßen! Ein Weg ist wahr.“