Dolgesheim: Pensionierter Wiegemeister Philipp Stallmann (95) wiegt vier Söhne mit Traktor
Von Ulrich Gerecke
Reporter Politikredaktion
Tradition in Kilogramm: Für das Erinnerungsfoto setzte sich Philipp Stallmann mit seinen Söhnen Werner, Wolfgang, Günther und Manfred auf den Traktor vor dem Wiegehäuschen. Foto: Kirsten Landgraf
( Foto: Kirsten Landgraf)
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DOLGESHEIM - Philipp Stallmann hat in seinem langen Leben schon so einiges gewogen. Natürlich gingen jede Menge Schweine und Traubenladungen durch die Hände des letzten Wiegemeisters von Rheinhessen. Aber auch ziemlich verrückte Dinge hat Stallmann auf der Waage am Freien Platz zu Dolgesheim aufs Gramm genau gewichtet: Einmal kam ein Motorbootbesitzer und wollte sein Gefährt wiegen lassen – er brauchte die Angabe für die Fahrzeugpapiere. Auch ein Feuerwehrauto in Privatbesitz fuhr schon auf seine Waage.
Ein Geschenk für jemanden, der schon alles hat
Am 29. Mai ist Philipp Stallmnann 95 Jahre alt geworden. „Was schenkt man so jemand, der schon alles hat?“, fragte sich Kirsten Landgraf. Da hatte die Dolgsheimer Gästeführerin eine zündende Idee: „Ein Erlebnis!“ Schließlich hatte sie bei einem früheren Gespräch im Rahmen ihrer touristischen Aktivität mitbekommen, „dass er das Wiegen unheimlich gern und begeistert gemacht hat“.
Also trommelte sie für den besonderen Geburtstag die vier Söhne Philipps zusammen. Werner, der immer noch in Dolgesheim lebt, Wolfgang aus Mainz, Günther aus Nierstein und Manfred aus Guntersblum fuhren beim Vater mit dem Traktor vor, der daraufhin selbst das Steuer übernahm und das Quartett zur Waage am Freien Platz chauffierte. Dort warteten schon Ortsbürgermeister Michael Schreiber und Gemeindearbeiter Jan Defort mit dem Schlüssel zum Wiegehäuschen.
Und dann durfte Stallmann, das tun, was er immer am liebsten getan hat: wiegen. 2104 Kilogramm brachten Fahrzeug und Nachwuchs zusammen auf die Waage. Zieht man das Gewicht des Traktors ab, brachten die vier jungen Stallmanns über 300 Kilogramm auf die Waage. Mehr verrieten die Beteiligten mit Rücksicht auf die schlanke Linie nicht.
Was heute ein Geburtstagsspaß ist, war für Stallmann lang sein täglich Brot. Über 20 Jahre war der Dolgesheimer als staatlich vereidigter Wiegemeister für das Bad Kreuznacher Eichamt tätig, bis zu 150 Mal im Jahr. Die häufigsten „Kunden“ waren dabei Schweine, die kurz vor dem Gang zur Schlachtbank noch gewogen wurden, was letztlich entscheidend für ihren Preis war.
Dummerweise war auch die Wiegegebühr damals ans Gewicht der Borstenviecher gekoppelt: neun Mark Grundgebühr und 75 Pfennig pro hundert Kilogramm. Früher, als noch 250-Kilo-Tiere auf die Waage kamen, kam da auch richtig viel Geld zusammen. „Aber die Schlachtschweine sind von Jahr zu Jahr magerer geworden, heute wollen die Kunden nach Möglichkeit überhaupt kein Fett mehr haben“, hat Stallmann einmal berichtet. Den Rückgang der Gebühreneinnahmen konnte man auch nicht dadurch aufwiegen, dass in der ganzen Umgebung die Dorfwaagen nach und nach aufgegeben wurden.
Heute ist die Zeit der „fetten Säue“ natürlich vorbei, das Wiegehäuschen ist in erster Linie eine Touristenattraktion. Mittlerweile ist es rund 20 Jahre her, dass das Gebäude eine spektakuläre Rundumerneuerung erlebte. Damals hatte der gebürtige Dolgesheimer Michael Burgermeister, der bereits mit 13 Jahren nach Amerika ausgewandert war, 10 000 Dollar für die Sanierung gespendet. Auch deshalb konnte Philipp Stallmann an seinem 95. Geburtstag das tun, was er am liebsten tut. Ganz vorschriftsgemäß füllte er anschließend das amtliche Wiegekärtchen aus – und nahm es als Souvenir mit nach Hause.