Nächtliches Abschreiben des Markusevangeliums in der Peterskirche in Stadecken-Elsheim
Von Margit Dörr
Im Chorraum der Kirche konnten die Besucher an Schreibpulten mit Kerzen einen Stift zücken und sich an der Aktion zum Reformationsjubiläum beteiligen. Foto: Michael Bahr
( Foto: Michael Bahr)
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STADECKEN-ELSHEIM - „Sie sind willkommen, ein Blatt zu nehmen und zu schreiben – so lange und so viel Sie wollen“, lud Pfarrerin Anita Nowak-Neubert die Besucher ein, an einem der vier vorbereiteten Schreibpulte Platz zu nehmen und mit dem Abschreiben des Markusevangeliums zu beginnen. Es war 21 Uhr am Samstagabend, Pfarrerin Nowak-Neubert hatte eine kurze Andacht gehalten, bevor das nächtliche Schreiben, das bis 9 Uhr am Morgen dauern sollte, in der Peterskirche begann. Das Markusevangelium ist das kürzeste und älteste Evangelium, deswegen habe sie dieses für die Aktion ausgewählt, erklärte die Pfarrerin.
Buntstifte zum Verzieren der Seiten
Die Schreibpulte standen im Chorraum der Kirche: Tische mit einem weißen Tuch belegt, darauf jeweils ein leicht schräges Pult, gezimmert aus alten Brettern von Kurt Zaun, und zwei dicke weiße Kerzen. Weitere Kerzen und Laternen – keine elektrischen Lampen – sollten in der Nacht für das nötige Licht zum Schreiben sorgen. Stifte, auch Buntstifte zum eventuellen Verzieren der Seiten, Papierbögen und Kopien des abzuschreibenden Textes lagen bereit. Wer wollte, sollte seinen Namen unter die abgeschriebenen Verse setzen.
Gleich nach der Andacht nahmen die ersten vier Schreiber Platz, unter ihnen auch die 27-jährige Anna Bingenheimer aus Mainz-Gonsenheim. Sie hatte zuvor erzählt, dass sie diese Schreibaktion ihrem Opa widme, der in Stadecken-Elsheim gelebt habe und im letzten Jahr gestorben sei. Er sei sehr gläubig gewesen und so etwas wäre ihm sehr wichtig gewesen.
BEITRAG
Die Gemeinden waren angefragt worden, was sie zum Reformationsjubiläum beitragen könnten. „Was passt zu mir und zu uns?“, diese Frage habe sich Pfarrerin Anita Nowak-Neubert gestellt und dem theologischen Grundsatz der Reformation „sola scriptura“ (allein durch die Schrift) gemäß hat sie dann mit einem kleinen Team aus dem Kirchenvorstand und ihrer Tochter Kerstin, die Theologie studiert, die Idee entwickelt, in der Kirche ein mittelalterliches Skriptorium einzurichten.
Stephan Reussner, Mitglied des Kirchenvorstands und in der vorbereitenden Gruppe, meinte, dass er als ITler selten mit der Hand schreibe. So etwas sei „Neuland“ für ihn, fügte er freudig gespannt an.
Immer zu den vollen Stunden waren Zäsuren geplant, es wurde von der CD passende Musik eingespielt oder alt- und neutestamentliche Texte wurden gelesen in Deutsch, Latein, Griechisch und Hebräisch. Am Sonntagvormittag fand in der Paulskirche ins Elsheim dann der Abschlussgottesdienst statt.
„Wir sind nicht ganz fertig geworden“, berichtete Pfarrerin Nowak-Neubert am nächsten Tag. Aber manche hätten sich gerne bereit erklärt, die restlichen Texte des Evangeliums zu Hause abzuschreiben. Fast die ganze Nacht seien außer zwei Verantwortlichen auch Besucher in der Kirche gewesen, erzählte die Pfarrerin. Manche hätten gar nicht geschrieben, sondern nur die besondere Atmosphäre in der nächtlichen Kirche genießen wollen.
Ein dicker Packen beschriebener Blätter ist nun entstanden, der zu einem Buch gebunden werden soll. Aber die Pfarrerin stellt nach der intensiven Erfahrung dieser Nacht des Schreibens fest, dass es nicht darum gehe, eine Verwendung für „danach“ zu finden. „Es war der Moment, das Schreiben selbst, Teil einer Schreibgemeinschaft sein und miteinander wirken.“