Ober-Olmer stellt große Ukraine-Hilfe auf die Beine
Jozef Pintye aus Ober-Olm hat eine Spendenaktion für die Ukraine gestartet. Er und seine Familie unternehmen eine Reise ins Land des Kriegs, während seine Verwandten hier eintreffen.
Von Zita Hille
Volontärin
Ein überklebtes Auto mit der Aufschrift „Ukrainisches Rotes Kreuz“ – obwohl Jozef Pintyer eigentlich nichts mit dem Roten Kreuz zu tun hat, wollte er so sicherstellen, dass er und sein Team an der polnisch-ukrainischen Grenze keine Probleme haben.
(Foto: Zita Hille)
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OBER-OLM - Jozef Pintye steht im Hinterhof seiner Familie. Um ihn herum wuseln Menschen, viele, sie packen oder bringen Kisten voller Spenden vorbei. So viele hilfsbereite Menschen, denkt er. Jozef ist müde, unter seinen Augen sind tiefe Ringe zu erkennen. Sein Körper ist hier und doch wirkt er irgendwie abwesend. Vor dreißig Minuten erst ist er hier nach Ober-Olm zurückgekehrt, war er doch vor ein paar Stunden noch in seiner eigentlichen Heimat, der Ukraine. Oder zumindest an der polnisch-ukrainischen Grenze – wäre er in das Land hineingefahren, hätte er, wie er sagt, dortbleiben müssen, um im Krieg für sein Land zu kämpfen.
Jozefs Freundin Renata studierte neun Jahre in Kiew
Seit einer Woche hat sich der Alltag des 25-jährigen Jozefs komplett verändert. Am 24. Februar erwacht er, hört, dass in seinem Heimatland Krieg herrscht. Schlagartig spürt er nur noch den tiefen Schock, Verunsicherung und stellt sich die immer wiederkehrende Frage: Warum?
Seine Freundin Renata, die ebenfalls vor fünf Jahren nach Ober-Olm kam, kann es genauso wenig fassen. Sie selbst hatte neun Jahre in Kiew studiert, so viele Erinnerungen verbindet sie mit der sonst so friedlichen Hauptstadt, die für ihre Kirchen mit goldenen Kuppeln bekannt ist. Jetzt wird die Stadt angegriffen, nichts ist mehr, wie es mal war.
Renata und Jozef beschließen, etwas zu tun: Sie können nicht einfach tatenlos zusehen. Da Jozef in Ober-Olm als KFZ-Mechatroniker arbeitet, möchte er nicht weg, kämpfen ist nicht seine Berufung. Lieber möchte er die Menschen dort, auf die er so unfassbar stolz ist, unterstützen. Denn Jozef weiß: Seine Waffe sind seine Kontakte. Auf Instagram startet er einen Spendenaufruf, teilt diesen auch auf Whatsapp und Facebook. Ganz ohne System, ohne einen größeren Plan dahinter. Der einzige Plan ist, die Spenden mit Jozefs Auto in die Ukraine zu bringen, damit sie dort verteilt werden können. Doch mit der Resonanz, die auf seinen Aufruf folgt, hat er im Leben nicht gerechnet. In Windeseile spricht sich die Aktion herum, plötzlich fahren im Sekundentakt Autos vor ihr Haus in der Feldstraße und liefern kistenweise Spenden ab: Kleidung, Lebensmittel, Hygieneartikel, Coronat-Tests, Schlafsäcke, Babybedarf, Medikamente. Menschen aus Ober-Olm, aber auch aus der Umgebung und sogar aus weiter entfernten Städten wie Köln sind dabei. Die Kisten stapeln sich vor der Tür, immer höher werden die Berge, und immer mehr Leute kommen, um beim Sortieren der Spenden zu helfen. Manche Helfer sind von frühmorgens bis spätabends da und unterstützen die Pintye-Familie.
SPENDEN
Die Familie Pintye freut sich über jegliche Unterstützung in ihrer Arbeit für die Ukraine und dankt recht herzlich:
- Sachspenden können gerne abgegeben werden, bitte vorher anrufen, um zu erfahren, was am dringlichsten gebraucht wird: 0174-9756844.
- Finanzielle Spenden zur Unterstützung der Fahrt- und Ausleihkosten der LKWs bzw. zur Deckung der nun steigenden Heizkosten der Familie wegen der ukrainischen Gäste können über Paypal (joshapinte19@gmail.com) erfolgen oder über Jozef Pintyes Konto mit der IBAN DE55 5505 0120 1200 7912 24, BIC: MALADE51MNZ unter dem Stichwort „Ukraine Hilfe Ober Olm“.
Kurz nach der Rückkehr von Jozef Pintye ist der Hof der Pintye-Familie immer noch voller Helfer. Auch die ukrainischen Familienmitglieder und Bekannte befinden sich unter ihnen.
(Foto: hbz/Jörg Henkel)
Auch das Haus, in dem Jozef sonst bloß mit seinen Eltern wohnte, füllt sich langsam: Die Pintyes nehmen ihre Familienmitglieder, Freunde und Bekannte aus der Ukraine auf, die von heute auf morgen aufbrachen, um aus der Ukraine nach Deutschland zu fliehen. Jozefs Tante aus Lviv, eine Dermatologin, kommt samt ihrer Familie mit drei Kindern, hat urplötzlich alles verlassen, ihr Haus, ihre Praxis, alles, was sie sich drüben jahrelang aufgebaut hat. „Auf dem Weg nach Deutschland habe ich die ganze Zeit geweint“, erzählt sie auch jetzt unter Tränen. „Ich spreche diese Sprache hier nicht, ich vermisse mein Zuhause. Ich finde es furchtbar, was dort passiert, bin dankbar, hier bei meinen Verwandten sicher zu sein, und dass so viele Leute helfen, ist überwältigend. Aber trotzdem will ich eigentlich nicht hier sein.“
Ein „+“ sorgt in all dem Schmerz für Freudentränen
Eine weitere Geflüchtete ist eine Frau, die ebenfalls mit ihren Kindern hergekommen ist. Ihr Mann, ein Offizier, musste in der Ukraine bleiben, kämpfen. Seit einer Woche hat sie kein Lebenszeichen von ihm gehört, weiß nicht, ob er lebt oder nicht. Sie ist emotional am Ende – und muss den Kleinen erklären, wo ihr Papa ist. Als dann plötzlich eine Nachricht von ihrem Mann auf ihrem Handy aufploppt, ein einfaches „+“, fließen die Tränen erneut, diesmal voller Dankbarkeit: Er lebt. Strom hat er kaum, aber er lebt. Der emotionale Ballast der Gäste lässt Jozef und Renata nicht unberührt, sie selbst sorgen sich zudem um ihre ukrainischen Bekannten, die noch drüben sind. Trotzdem packen sie mit an, so gut es geht.
Doch jetzt ist Konzentration gefragt: So viele Spenden passen um Himmels willen nicht in Jozefs BMW. So leiht er drei Transporter, einen von seinem Freund Yücel Ünker, der in Mainz ein paar Corona-Teststationen betreibt, und überklebt die Aufschrift „Mainzer Testzentrum“ mit einem „Ukrainisches Rotes Kreuz“-Sticker. Auch, wenn das geflunkert ist, rechnet sich das Team so höhere Chancen aus, dass die Übergabe der Hilfsgüter reibungslos verläuft. Durch seine Kontakte in der Ukraine organisiert Jozef sechs Reisebusse, die an die ukrainisch-polnische Grenze kommen sollen und die Güter einsammeln sollen.
Kurz nach der Rückkehr von Jozef Pintye ist der Hof der Pintye-Familie immer noch voller Helfer. Auch die ukrainischen Familienmitglieder und Bekannte befinden sich unter ihnen.
(Foto: Zita Hille )
Am Mittwoch, dem 2. März, machen sich Jozef, sein Vater und vier weitere Helfer um 3 Uhr morgens auf den Weg in die Ukraine. Die drei Transporter sind bis zum Rand hin gefüllt mit Kisten. Knappe 1340 Kilometer sind es bis zur Grenze. Um 21 Uhr kommen sie dort an, müssen jedoch noch fünf Stunden auf die Busse warten, die im Stau stecken. „Ich kenne Leute, die bis zu vier Tage an der Grenze standen, um aus der Ukraine herauszukommen“, erzählt Jozef, „Daher hatten wir noch Glück.“ Nach der Ankunft der Busse sind sie endlich da: Viele zusammengetrommelte Bekannte Jozefs aus der Ukraine, die beim Verladen helfen. Die Spenden müssen vom Transporter in die Busse geladen werden – hierbei kommen auch spontan einige unbekannte polnische Helfer dazu.
Der leer geräumte Hof ist schnell wieder vollgeladen
Innerhalb von drei Stunden ist alles verladen, es ist knapp vier Uhr morgens. Die Fahrt kann wieder zurück nach Deutschland gehen. Auf dem Weg sieht Jozef viele Wagen mit ukrainischem Kennzeichen. So viele flüchtende Menschen. 1400 Euro kostet ihn das Tanken, was er durch finanzielle Spenden bezahlen kann. Auch die Ausleihe der Wagen kann er dadurch finanzieren. Am Donnerstag gegen 16 Uhr sind er und das Team zurück in Ober-Olm, sehen, dass der vorher komplett leer geräumte Hof wieder brechend voll mit neu gespendeten Kisten ist. Überall schwirren Menschen umher, die beim Packen unterstützen, auch solche, die Jozef nie vorher gesehen hat. „Es ist überwältigend, wie die Menschen unterschiedlichster Nationen so zusammenstehen und helfen“, sagt er. Menschen aus der Ukraine sind dabei, aus Deutschland, aus Usbekistan, aus Belarus, Polen, der Türkei, Rumänien, und auch aus Russland. „Tausend mal danke“, ergänzt auch Renata gerührt, in ihren Augen sammeln sich Tränen der Dankbarkeit. „Das werden wir nie vergessen.“
Auch, wenn Jozef müde ist und unendlich geschafft, ist er stolz auf das, was Renata, seine Familie und er innerhalb von so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben. Am Wochenende sollen die nächsten Wagen in die Ukraine losfahren und den Rest abliefern. „Jozef, jetzt geh doch auch mal eine Runde schlafen“, sagt jemand im Vorbeigehen zu dem jungen Mann in der grünen Jacke. Jozef grinst nur und weiß: „Ein paar Stunden Schlaf reichen doch. Die Arbeit hier ist noch lange nicht getan.“