Von Nazis zusammengeschlagen, dann im KZ Treblinka ermordet: Wanderausstellung zum Schicksal jüdischer Familien aus Mainz-Gonsenheim
Von Petra Jung
Lokalredakteurin Mainz
Das Grab von Otto und Addie Tennie Lichten auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Mainz (Foto oben). Die Vermögenserklärung vom 21. September 1942 (rechts) gilt als letztes Lebenszeichen von Nathaniel Arthur Lichten. Fotos: IGL, Landesarchiv Speyer (Bestand L 37, Nr. 188 Z 4286, Bl. 9)
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GONSENHEIM - Viele Monate lang haben sie hunderte von Fotos ausgewertet, Filme mit Zeitzeugen gedreht, haben Konzepte entwickelt, wieder verworfen und sich neue ausgedacht. Jetzt sind sie auf der Zielgeraden – die Macher der Ausstellung, die das Schicksal jüdischer Gonsenheimer Familien beleuchtet. Am 17. August wird die Wanderausstellung in der VR-Bank Mainz in Gonsenheim eröffnet.
Gegliedert ist die Ausstellung in drei chronologische Abschnitte: Die Zeit der Integration, seitdem um das Jahr 1900 die ersten jüdischen Familien nach Gonsenheim gezogen waren, als zentraler Teil der Zeit des Dritten Reiches sowie die Phase von versuchter Aufarbeitung und Verdrängung nach 1945.
Wie viele Juden wann in Gonsenheim lebten, lässt sich nicht mehr ganz genau ermitteln. Als gesichert gilt aber, dass mindestens 20 Gonsenheimer Juden nach Theresienstadt, in die Ghettos des Generalgouvernements oder direkt in die Vernichtungslager deportiert wurden – und dass nur eine Frau die Deportation überlebte.
Das Grab von Otto und Addie Tennie Lichten auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Mainz (Foto oben). Die Vermögenserklärung vom 21. September 1942 (rechts) gilt als letztes Lebenszeichen von Nathaniel Arthur Lichten. Fotos: IGL, Landesarchiv Speyer (Bestand L 37, Nr. 188 Z 4286, Bl. 9) Foto:
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„Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ wird der Titel der Ausstellung lauten. Christoph Schmieder vom Institut für Geschichtliche Landeskunde ist neben Lisa Groh-Trautmann und Jasmin Gröninger Kurator der Ausstellung. Vier Familien haben die Kuratoren unter Leitung von Dr. Kai-Michael Sprenger herausgesucht, um im Vorfeld der Ausstellung in der Allgemeinen Zeitung über sie zu berichten. Den vierten und letzten Teil dieser Serie widmet Christoph Schmieder der Familie Lichten:
Otto Lichten, am 2. September 1861 in Mainz geboren, war der jüngste Sohn eines Kaufmanns. 1897 hatte er die 1872 in Nashville/USA geborene Addie Tennie Northman geheiratet. Am 1. Januar 1900 kam Sohn Nathaniel Arthur Lichten in Mainz zur Welt. 1905 bezog die Familie ein Haus in der Friedrichstraße 14 in Gonsenheim. Otto Lichten hatte Rechtswissenschaften studiert und die Promotion zum Dr. jur. abgeschlossen. Seit 1887 war er als Anwalt zugelassen. Seine Kanzleiräume befanden sich in der Mainzer Innenstadt. Otto Lichten, dem der Ehrentitel eines Justizrats verliehen wurde, war in Gonsenheim bekannt. Beim Festakt des Männergesangvereins „Cäcilia“ zum 80-jährigen Bestehen im Jahr 1925 gehörte er sowohl dem Ehren-Ausschuss als auch dem Schiedsgericht an. Zudem führte er den Vorsitz der Gonsenheimer Ortsgruppe des Vereins für Volksbildung.
DIE SERIE UND DIE ERÖFFNUNG
Am 17. August wird die Ausstellung „Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ um 18.30 Uhr in der VR-Bank Mainz als Niederlassung der Volksbank Alzey-Worms (Breite Straße 23-27, Gonsenheim) eröffnet. Geöffnet ist die Ausstellung an diesem Tag nur für geladene Gäste; für sonstige Besucher ist die Ausstellung ab dem 18. August zugänglich – und zwar in den Schalteröffnungszeiten der VR-Bank (montags und donnerstags von 8 bis 12.30 Uhr sowie von 13.30 bis 18 Uhr, dienstags und mittwochs von 8 bis 12.30 Uhr sowie 13.30 bis 16 Uhr und freitags von 8 bis 13 Uhr). Die Wanderausstellung ist in der VR-Bank bis 8. September zu sehen. Dann wird sie abgebaut und macht dann im Stadtteiltreff „Elsa“ ab 13. September Station.
In Kooperation mit dem Heimat- und Geschichtsverein, der evangelischen Kirchengemeinde Gonsenheim, der katholischen Kirchengemeinde St. Stephan sowie den im Ortsbeirat vertretenen Parteien sowie verschiedenen Privatpersonen und nicht zuletzt durch die Förderung unter anderem durch die VR-Bank ist es nun möglich, dieses Kapitel der Gonsenheimer Geschichte der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Die Kuratoren der Ausstellung vom Institut für Geschichtliche Landeskunde (www.igl.uni-mainz.de) widmen sich exemplarisch im Vorfeld der Ausstellung vier Gonsenheimer Familien.
Geplant sind zudem eine Publikation und eine digitale Aufarbeitung der Ausstellung – wofür jedoch noch die finanziellen Mittel fehlen. Spenden hierfür sind willkommen.
Nathaniel Arthur Lichten folgte seinem Vater bei der Wahl des Studienfachs. Er trat Ende 1927 in den hessischen Justizdienst und war bis 1933 bei verschiedenen Amtsgerichten als Gerichtsassessor und Amtsanwalt tätig. Nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 bestand jedoch für Nathaniel Arthur Lichten keine Aussicht mehr, im Justizdienst zu verbleiben. Schon Ende März 1933 hatte er die Zulassung als Rechtsanwalt beantragt, die jedoch im April abgelehnt wurde. Dr. Otto Lichten blieb zunächst als Rechtsanwalt zugelassen, da er durch seine langjährige Tätigkeit als Rechtsanwalt die Ausnahmebestimmungen des Gesetzes erfüllte. Er starb am 11. Oktober 1936 in Frankfurt am Main. Seine Ehefrau war bereits am 8. November 1935 in Mainz gestorben.
Nathaniel Arthur erbte das Vermögen seines Vaters, darunter auch das Haus in der Gonsenheimer Friedrichstraße. Am Abend des 10. November 1938 wurden der Eigentümer und sein Haus Ziel eines Angriffs. Eine aus etwa 15 Personen bestehende Gruppe rüstete sich mit Beilen und Äxten aus und zog zur Friedrichstraße. Nathaniel Arthur Lichten wurde zusammengeschlagen, während die Männer sein Haus verwüsteten und offenbar auch Wertgegenstände entwendeten. Am 20. Mai 1942 wurde Nathaniel Arthur Lichten von der Gestapo in Schutzhaft genommen. Bis zu seiner Deportation im September 1942 blieb er in Haft. Eine Vermögenserklärung, die er am 21. September abgeben musste, ist sein letztes Lebenszeichen.
Am 30. September 1942 wurde Nathaniel Arthur Lichten deportiert. Das Deutsche Reich bemächtigte sich seines Vermögens. Nathaniel Arthur Lichten wurde vermutlich kurze Zeit nach seiner Deportation im Konzentrationslager Treblinka ermordet.