DIE SERIE
Am 17. August wird die Ausstellung „Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ in der VR-Bank Mainz als Niederlassung der Volksbank Alzey-Worms (Breite Straße 23-27, Gonsenheim) eröffnet.
Der Gonsenheimer Heimat- und Geschichtsverein hatte einst die Initiative zur Aufarbeitung des Themas ergriffen.
Die Kuratoren der Ausstellung vom Institut für Geschichtliche Landeskunde (www.igl.uni-mainz.de) widmen sich exemplarisch im Vorfeld der Ausstellung vier Gonsenheiner Familien.
GONSENHEIM - Viele Monate lang haben sie hunderte von Fotos ausgewertet, Filme mit Zeitzeugen gedreht, haben Konzepte entwickelt, wieder verworfen und sich neue ausgedacht. Jetzt sind sie auf der Zielgeraden – die Macher der Ausstellung, die das Schicksal jüdischer Gonsenheimer Familien beleuchtet. Am 17. August wird die Wanderausstellung in der VR-Bank Mainz in Gonsenheim eröffnet.
Gegliedert ist die Ausstellung in drei chronologische Abschnitte: Die Zeit der Integration, seitdem um das Jahr 1900 die ersten jüdischen Familien nach Gonsenheim gezogen waren, als zentraler Teil die Zeit des Dritten Reiches sowie die Phase von versuchter Aufarbeitung und Verdrängung nach 1945.
Wie viele Juden wann in Gonsenheim lebten, lässt sich nicht mehr ganz genau ermitteln. Als gesichert gilt aber, dass mindestens 20 Gonsenheimer Juden nach Theresienstadt, in die Ghettos des Generalgouvernements oder direkt in die Vernichtungslager deportiert wurden – und dass nur eine Frau die Deportation überlebte.
Im Vorstand der jüdischen Gemeinde tätig
„Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ wird der Titel der Ausstellung lauten. Lisa Groh-Trautmann vom Institut für Geschichtliche Landeskunde ist neben Christoph Schmieder und Jasmin Gröninger Kuratorin der Ausstellung. Vier Familien haben die Kuratoren unter Leitung von Dr. Kai-Michael Sprenger herausgesucht, um im Vorfeld der Ausstellung in der Allgemeinen Zeitung über sie zu berichten. Den dritten Teil dieser Serie widmet Lisa Groh-Trautmann der Familie Oppenheim:
Die Familie lebte in der Kaiserstraße in Mainz, verbrachte aber ab 1905 immer mehr Zeit in ihrer Gonsenheimer Villa in der Friedrichstraße 21. Der Vater Ludwig Oppenheim (1850-1916) war der jüngste Sohn einer alten Mainzer Familie. Sein Vater, sein Onkel, sein Cousin und seine älteren Brüder führten gemeinsam das „Bankhaus Gebrüder Oppenheim“. Ludwig selbst war dort nicht tätig, sondern wurde 1878 Rechtsanwalt. Neben seiner Karriere als Jurist engagierte er sich vor allem für die „Mainzer Liedertafel”. Dem noch heute bestehenden Verein gehörte Oppenheim 44 Jahre lang als (Vorstands-)Mitglied an. In seiner Amtszeit wurden das Konzerthaus in der Großen Bleiche gegründet, Volkskonzerte organisiert und eine Stiftung für die Aufführungsförderung Händelscher Chorwerke gegründet. Darüber hinaus war Ludwig Oppenheim im Vorstand der Mainzer jüdischen Gemeinde tätig. Gemeinsam mit seiner Frau Elise (gest. 1922) hatte er zwei Kinder: Michel Stephan (geb. 1885) und Elisabeth (geb. 1988).
Wie sein Vater studierte auch Michel Oppenheim Jura und zusätzlich Kunstgeschichte. Im Jahr 1914 wurde er Assessor, kurz danach begann sein Einsatz im Ersten Weltkrieg. In Mainz heiratete er die Nichtjüdin Erna von Zakrzewski und arbeitete bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1934 als Regierungsrat beim Mainzer Kreisamt. Die Ehe von Michel und Erna wurde als „privilegierte Mischehe“ eingestuft und bot so der Familie vermeintlich Schutz. Ihr Sohn Ludwig emigrierte dennoch frühzeitig in die USA und kehrte 1946 als amerikanischer Soldat nach Mainz zurück. Die Eltern versuchten ihm zu folgen, doch ihr Ausreiseantrag wurde abgelehnt. 1941 wurde Michel Oppenheim zum „Verbindungsmann zwischen der Reichvereinigung der Juden in Deutschland, Bezirksstelle Hessen und der Geheimen Staatspolizei“ bestimmt. Seine Aufgaben waren es, die noch in Mainz verbleibende jüdische Bevölkerung von den behördlichen Vorschriften in Kenntnis zu setzen und umgekehrt, die Gestapo mit Informationen zu versorgen.
Letztendlich musste Oppenheim auch die Listen verfassen, die als Grundlage für die Deportationen der Mainzer Jüdinnen und Juden dienten. Seiner eigenen Deportation konnte er durch die Wirren der Bombennächte entgehen, indem er sich in einem Gonsenheimer Keller versteckte.
Nach dem Krieg wurde er Kulturdezernent der Stadt und begann das kulturelle Leben der Stadt anzukurbeln. Er entwarf Konzepte zum Wiederaufbau der Stadt, gilt als einer der Gründungsväter der Johannes Gutenberg-Universität und spielte eine entscheidende Rolle bei der Neugründung der jüdischen Gemeinde in Mainz. Michel Oppenheim starb im Jahr 1963.
Nach Kriegsende nur noch einmal zurückgekehrt
Elisabeth heiratete den jüdischen Arzt Dr. Friedel Scharff und richtete gemeinsam mit ihm ein Sanatorium in ihrer Villa in der Heidesheimerstraße 20 in Gonsenheim ein. In diesem wurden vor allem Patienten mit Nervenzusammenbrüchen behandelt. Elisabeth Scharff trat zum Christentum über und war eine überzeugte Anthroposophin. Die nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik zwang sie, 1938 Gonsenheim zu verlassen. Ihre Villa diente in der Folgezeit als „Judenhaus“, eine pflegerische Versorgung gab es hier wohl nicht. Die Bewohner, die nicht schon vor den Deportationen starben, wurden ermordet. Elisabeth Scharff kehrte nach Kriegsende einmal zu einem Besuch nach Gonsenheim zurück, hier leben wollte sie aber nicht mehr. In den 50er-Jahren verkauften ihre Erben das Haus in der Heidesheimerstraße von England aus.