Als „Nichtarier“ ausgeschlossen: Das Leben der Familie Giannini aus Mainz-Gonsenheim
Von Petra Jung
Lokalredakteurin Mainz
Eugen Giannini, der ein bekannter Schlagzeug- und Trommelbauer war, und seine Frau Emma auf einer Messe. Foto: Firma Framus Warwick
( Foto: Firma Framus Warwick)
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GONSENHEIM - Viele Monate lang haben sie hunderte von Fotos ausgewertet, Filme mit Zeitzeugen gedreht, haben Konzepte entwickelt, wieder verworfen und sich neue ausgedacht. Jetzt sind sie auf der Zielgeraden – die Macher der Ausstellung, die das Schicksal jüdischer Gonsenheimer Familien beleuchtet. Am 17. August wird die Wanderausstellung in der VR-Bank Mainz in Gonsenheim eröffnet.
Gegliedert ist die Ausstellung in drei chronologische Abschnitte: Die Zeit der Integration, seitdem um das Jahr 1900 die ersten jüdischen Familien nach Gonsenheim gezogen waren, als zentraler Teil die Zeit des Dritten Reiches sowie die Phase von versuchter Aufarbeitung und Verdrängung nach 1945.
Wie viele Juden wann in Gonsenheim lebten, lässt sich nicht mehr ganz genau ermitteln. Als gesichert gilt aber, dass mindestens 20 Gonsenheimer Juden nach Theresienstadt, in die Ghettos des Generalgouvernements oder direkt in die Vernichtungslager deportiert wurden – und dass nur eine Frau die Deportation überlebte.
DIE SERIE
Am 17. August wird die Ausstellung „Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ in der VR-Bank Mainz als Niederlassung der Volksbank Alzey-Worms (Breite Straße 23-27, Gonsenheim) eröffnet.
Der Gonsenheimer Heimat- und Geschichtsverein hatte einst die Initiative zur Aufarbeitung des Themas ergriffen.
Die Kuratoren der Ausstellung vom Institut für Geschichtliche Landeskunde (www.igl.uni-mainz.de) widmen sich im Vorfeld der Ausstellung exemplarisch vier Gonsenheiner Familien.
„Gonsenheimer Erinnerungen – Jüdische Nachbarinnen und Nachbarn zwischen Integration und Ausgrenzung“ wird der Titel der Ausstellung lauten. Jasmin Gröninger vom Institut für Geschichtliche Landeskunde ist neben Lisa Groh-Trautmann und Christoph Schmieder Kuratorin der Ausstellung. Vier Familien haben die Kuratoren unter Leitung von Dr. Kai-Michael Sprenger herausgesucht, um im Vorfeld der Ausstellung in der Allgemeinen Zeitung über sie zu berichten. Den zweiten Teil dieser Serie widmet Jasmin Gröninger der Familie Giannini:
Die Familie Gannini war eine künstlerisch orientierte Familie. Bis 1931 wohnte sie in der Kaiserstraße 70, dann zog sie in ein Haus in der Finther Landstraße 11 nach Gonsenheim. Vater Paul Alfons war Kaufmann/Buchhalter, Mutter Henriette Cäcilie von Beruf Pianistin. Von ihren fünf Kindern Walter (1914-2003), Eugen (1909), Richard, Paula (1919-2003) und Fritz hatten vor allem die beiden Ersteren ein musikalisches Talent: Walter spielte Geige, außerdem Klavier am Konservatorium, Eugen baute sich selbst ein Schlagzeug und bekam Unterricht beim Vater eines Schulkameraden. Eugen studierte Kunst und fertigte unter anderem mehr als 4000 Federzeichnungen an.
Der Vater verliert die Arbeit, der Sohn wird verhaftet
Die jüdische Religion spielte im Leben der Familie keine große Rolle. Eine Großmutter war zwar jüdischen Glaubens, aber Paul Alfons und seine Familie waren freireligiös und gehörten zum Kreis der Anthroposophen in Gonsenheim. Die Familie Giannini war in Mainz und Gonsenheim integriert. Die Machtübernahme durch die Nazis änderte dies, denn das nationalsozialistische System machte die Familie zu „Nichtariern“ und schloss sie aus der Gesellschaft aus: Vater Paul Alfons verlor seine Arbeit und Sohn Walter, der politisch aktiv war und der „Wandervogelbewegung“ angehörte, musste wegen eines regimekritischen Artikels für mehrere Monate ins Gefängnis. Seine Schwester Paula musste 1933 die Schule verlassen. Zwischen 1934 und 1936 wanderten die Kinder der Familie Giannini unabhängig voneinander in die Schweiz aus, da sie durch ihren gebürtigen Schweizer Vater eine doppelte Staatsbürgerschaft besaßen. Besonders für die damals 15-jährige Paula war die Auswanderung schwierig. Da sie weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung abgeschlossen hatte, musste sie sich jahrelang als Küchen- und Hausmädchen durchschlagen.
Die Eltern Giannini wollten Gonsenheim nicht verlassen. Erst mit dem letzten Zug für sogenannte „Auslandsschweizer“ 1943 reisten sie nach Zürich. Ihr Haus in der Finther Landstraße wurde vermietet und blieb bis 1961 im Besitz der Familie. Die Nationalsozialisten konnten auf das Grundstück nicht zugreifen. Aufgrund der Schweizer Staatsangehörigkeit von Paul Alfons Giannini galt das Grundstück als „Schweizer Besitz“.
Sohn Eugen Giannini wurde derweil ein bekannter Schlagzeug- und Trommelbauer – ein Erfinder, der sich unter anderem das „ineinander verpackte“ Schlagzeug patentieren ließ. Richard Giannini ging in der Schweiz weiter seinem Beruf nach und arbeitete als Fotograf. Walter Giannini setzte sich für den Musikunterricht in allen Volksschichten ein, war Mitbegründer der Schweizer SAJM (Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Jugendmusik und Musikerziehung). Er lehrte am Konservatorium in Zürich. Auch half er gemeinsam mit seiner Frau zwei jüdischen Kindern über die belgische Grenze. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten sie beim Schweizerischen Roten Kreuz. Sie wurden daher in die „Liste der Gerechten unter den Völkern“ (Schweiz) aufgenommen. Besonders Paula, aber auch Walter suchten in den Nachkriegsjahren nach Klassenkameraden und Freunden und nahmen an den Begegnungswochen der Stadt Mainz teil. Paula erstellte ein Klassenbuch, in dem ihre Mitschülerinnen ihre Erlebnisse ab 1933 schildern konnten und das jede ausgehändigt bekam. Paula schrieb darin: „Bis in die 60er Jahre dauerte es, dass ich wieder vermehrt in meine Geburtsstadt kam […] Es war wie ein Puzzle: Ein Steinchen ums andere ergänzt sich zum Ganzen.“