Der 2007 verstorbene Mainzer Ehrenbürger Karl Holzamer hat laut dem Sender falsche Angaben über seine Biografie während der Nazizeit gemacht.
Mainz. Er hat das ZDF mit aufgebaut, ist eine prägende Figur der Medienwelt in der „Bonner Republik“ gewesen: Karl Holzamer. Geboren 1906 in Frankfurt, gestorben 2007 in Mainz, von 1962 bis 1977 Gründungsintendant des Senders auf dem Lerchenberg. 1983 verlieh ihm die Stadt Mainz die Ehrenbürgerwürde. Doch jetzt wird durch eine eigene Untersuchung des ZDF bekannt, dass Holzamer tiefer in den Nationalsozialismus verstrickt war als gedacht, dass er falsche Angaben über seine damalige Biografie machte. Der Sender hat nun seinen Lebenslauf auf der ZDF-Homepage geändert und die Gründe dafür breit erläutert. Der Mainzer Bürgermeister Günter Beck (Grüne) nannte die Erkenntnisse „schockierend”.
So hat Holzamer seine zumindest zeitweilige Zugehörigkeit zur SA verschwiegen, der „Sturmabteilung“, der Kampforganisation der NSDAP. Dieser ist er nach den Recherchen im Lauf des Jahres 1933 beigetreten. In der NSDAP selbst war er von 1937 bis 1945 Mitglied, dies hatte er ebenfalls verschwiegen – und stattdessen nur eine Partei-„Anwartschaft“ bis 1939 eingeräumt, die er angeblich selbstständig auflöste. Zudem stellte er sich in den 1930er und 1940 Jahren mit seiner publizistischen Tätigkeit erst als Reporter des damaligen Westdeutschen Rundfunks und später als Kriegsberichterstatter der Wehrmacht „offenbar stärker in den Dienst der NS-Herrschaft, als er nach 1945 eingeräumt hat“, erklärt das ZDF. „Das Gesamtbild, das Karl Holzamer von sich gezeichnet hat, hält der historischen Wahrheit nicht stand“, sagt der heutige ZDF-Intendant Norbert Himmler. „Seinen großen Verdiensten in der Zeit nach dem Krieg, als Hochschullehrer der neu eröffneten Mainzer Universität und als erster Intendant des ZDF stehen Verstrickungen in das NS-Regime gegenüber, die er teils verschwiegen und teils uminterpretiert hat.“
Das Gesamtbild, das Karl Holzamer von sich gezeichnet hat, hält der historischen Wahrheit nicht stand.
Herausgekommen sind diese „Verstrickungen” und „Uminterpretationen” bei eigenen Recherchen des ZDF, die der Sender in Vorbereitung des Jubiläums zu „60 Jahre ZDF“ angestellt hat. Neben dem ZDF-Archiv sei man etwa im Bundes- und dem Militärarchiv auf „neue Hinweise und Fakten“ zur Holzamer-Biografie gestoßen. Zudem habe die Geschäftsleitung eine Einordnung der Erkenntnisse bei dem Historiker Martin Sabrow (Berlin/Potsdam) beauftragt. Sabrow kommt in seinem Gutachten zum Schluss, dass Holzamer den Aufstieg der Hitler-Bewegung zunächst aus einer „relativen Distanz“ erlebte, die er nach dem 30. Januar 1933 – Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – „schrittweise verringert“ habe.
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„Er lässt sich insgesamt dem Typus des pragmatischen Opportunisten zurechnen“, schreibt Sabrow, „der zur Anpassung an die neuen Verhältnisse bereit war, ohne sich die Nazi-Ideologie und ihren virulenten Antisemitismus gänzlich zu eigen zu machen“. In seinen damaligen Texten fänden sich aber „Ingredenzien des nazistischen Weltbildes und er trug in seinem beruflichen Wirken zur Aufrechterhaltung und Stärkung des ,Dritten Reichs‘ bei“. Hingegen habe er „weder in der NSDAP noch in der SA je eine besondere Funktion bekleidet”.
Ob die NS-Verstrickung dann später in der Bundesrepublik Holzamer „in seinem Engagement für eine demokratisch fundierte Gesellschaft behinderte oder eher bestärkte“, lasse sich derzeit kaum abschließend beurteilen. Dazu seien weitere Forschungen nötig. Als Gründungsintendant habe er seine Rolle jedenfalls „selbstbewusst” ausgefüllt und sich den Ambitionen der damaligen Bundesregierung, das neue ZDF zu einem Regierungssender auszugestalten, verweigert. Sabrow erinnert zudem an andere, früher NS-verbundene Journalisten und Medienpersönlichkeiten wie Henri Nannen, Werner Höfer („Internationaler Frühschoppen“) oder Horst Tappert („Derrick“), die gerade nicht für das Fortbestehen „braungefärbter Denktraditionen“ stünden. Sondern „mindestens ebenso sehr für den engagierten und manchmal bemerkenswert mutigen Einsatz gegen den autoritären Politikstil der Adenauerzeit“. Selbst der „Spiegel” habe sich „mit einer markant NS-belasteten Redaktion” später zum „Sturmgeschütz der Demokratie“ entwickelt.
Stadt Mainz: „Erkenntnisse sind schockierend”
Die Stadt Mainz reagierte bestürzt auf die Erkenntnisse. „Klar ist: Hätten die Stadt Mainz und der Stadtrat zum Zeitpunkt der Verleihung der Ehrenbürgerwürde 1983 an Karl Holzamer um dessen NSDAP- und SA-Vergangenheit gewusst, hätte man ihm die Ehrenbürgerwürde sicher nicht verliehen”, ließ Bürgermeister Beck über die städtische Pressestelle mitteilen. Ohnehin sei die Ehrenbürgerschaft Holzamers durch dessen Tod 2007 automatisch erloschen, wie es nach allgemeiner Rechtsauffassung generell mit Ehrenbürgerwürden geschehe. Dieser sei also kein Ehrenbürger der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt mehr.
Klar ist: Hätten die Stadt Mainz und der Stadtrat zum Zeitpunkt der Verleihung der Ehrenbürgerwürde 1983 an Karl Holzamer um dessen NSDAP- und SA-Vergangenheit gewusst, hätte man ihm die Ehrenbürgerwürde sicher nicht verliehen.
Weiter sagte Beck: „Dank der eigenen Aufarbeitung des ZDF zu Gründungsintendant Karl Holzamer wissen wir nun, dass dieser Teile seiner Biographie bewusst verändert, gar abgeschwächt hat und eine zeitweilige Zugehörigkeit zur SA verschwiegen hat. Die neuen Erkenntnisse sind schockierend, wir begrüßen die wertvolle Aufarbeitung des ZDF ausdrücklich.”
ZDF will Platz umbenennen
Es gibt im Mainzer Stadtgebiet keine Straße, die nach Holzamer benannt ist. Wohl aber einen Karl-Holzamer-Platz. Dieser aber liegt auf dem Gelände des ZDF auf dem Lerchenberg. Der Platz mit seinen Kunstwerken (einem Tor und fünf mehr als vier Meter hohen Köpfen), der ursprünglich „Platz der Köpfe” hieß und auch senderintern immer noch so genannt wird, solle nun umbenannt werden, sagte eine Mitarbeiterin der ZDF-Pressestelle am Mittwochmittag auf Anfrage dieser Zeitung. Das entsprechende Schild solle abgenommen und ein anderer Name für den Platz gefunden werden. Wann genau dies der Fall sein werde, stehe indes noch nicht fest.