Mainzer wollen gegen Gewalt in der Geburtshilfe protestieren

Tränen nach der Geburt sind nicht ungewöhnlich. Bei vielen Frauen fließen sie aber nicht nur aus Freude über ihren Nachwuchs, sondern weil sie von Gewalterfahrungen bei der Geburt traumatisiert sind.
© nataliaderiabina - stock.adobe

Am 19. November wird es um 14 Uhr eine Kundgebung auf dem Mainzer Schillerplatz geben. Einige Erlebnisse von Frauen im Kreißsaal sind besonders drastisch und hinterlassen Traumata.

Anzeige

Mainz. Die Frau lag im OP und hatte bereits ihre Betäubungsinfusion erhalten. „Spüren Sie das noch?“, fragte die Ärztin, die den Kaiserschnitt durchführen wollte. „Ja, das ist ein stechender Schmerz“, war die Antwort. Daraufhin murmelte die Ärztin: „Wir ignorieren das erst mal.“ Dann setzte sie mit dem Skalpell den ersten Schnitt. Daraufhin brüllte die Mutter vor Schmerzen. Eilig wurde ihr eine Vollnarkose verpasst. Ihr Partner musste sofort den OP-Saal verlassen. Diese Szene stammt nicht aus einem Horrormärchen. Kaiserschnitte ohne ausreichende Betäubung passieren regelmäßig, bundesweit. Und diese Form von Gewalt ist nicht die einzige, die Frauen erleben. Statistische Zahlen über die Häufung dazu gibt es aber nicht. Am Samstag, 19. November, wird es ab 14 Uhr eine Kundgebung und Infoveranstaltung zu „Gewalt in der Geburtshilfe” auf dem Schillerplatz geben. Diese Veranstaltung findet zwar in Mainz statt, richtet sich aber nicht gegen die hiesigen Kliniken.

Saskia Riemer - Foto: Harald Kaster / VRM Bild
Saskia Riemer hat "Unter dem Herzen – Privatpraxis für Physiotherapie, Massage und Pädagogik" gegründet.
© Harald Kaster

Saskia Riemer ist die Initiatorin. Die 35-Jährige hat eine Selbsthilfegruppe für betroffene Frauen gegründet. Riemer weiß aus eigener Erfahrung, was bei und nach der Geburt alles schiefgehen kann. „Ich hatte im Krankenhaus eine unterkühlte Hebamme, die mit mir die Stillberatung durchführen wollte”, erzählte sie. Das Patientenzimmer, das sie sich damals mit zwei weiteren Frauen teilte, war voller Besuch von diesen Müttern. Die Hebamme habe einfach Riemers Busen ausgepackt und schmerzhaft an der Brustwarze gezogen, ohne die Schamgefühle der jungen Frau zu berücksichtigen. Dieses Erlebnis und weitere haben bei Saskia Riemer zu einer postpartalen Depression geführt. „Ich habe extrem abgenommen und bekam Panikattacken”, erinnert sich die inzwischen zweifache Mutter. Zwei Jahre dauerte es, bis die Ärzte erkannten, was mit ihr los ist.

Anzeige

In ihrer Selbsthilfegruppe, die zum Verein „Schatten und Licht” gehört, haben sich zwischenzeitlich 30 Betroffene zusammengefunden. Sie treffen sich einmal im Monat. Zuvor gibt es ein einstündiges Beratungsgespräch. Wenn die Frauen selbst keine Kraft haben, sich zu melden, seien es oft die Partner:innen, die sie kontaktieren würden, berichtet Riemer. Viele berichten von Dammschnitten und Medikamentenzugabe ohne ihre Zustimmung. Oder auch der umstrittenen Kristeller-Methode, bei der durch Druck mit der flachen Hand auf den schwangeren Bauch die Geburt beschleunigt werden soll. Manchmal passiere das auch mit Ellenbogen, Fäusten oder dem ganzen Körper.

Psychische Gewalt bei Fehlgeburten

Neben der physischen Gewalt gebe es aber auch noch die strukturelle Gewalt (wenn die Frauen in ihrer Situation alleine gelassen werden) und die psychische Gewalt. „Beispielsweise, wenn Frauen verbal gedemütigt oder sogar ausgelacht werden”, sagt Riemer.

Corinna Hansen-Krewer
Corinna Hansen-Krewer bei ihrer Arbeit als Doula.
© Corinna Hansen-Krewer

Auch bei Fehlgeburten erleben Frauen Gewalt. Corinna Hansen-Krewer kennt drastische Beispiele dafür. Seit vier Jahren begleitet sie als zertifizierte Doula Frauen beim natürlichen Weg von Fehlgeburten. Sprich: Die Frauen gebären ihre verstorbenen Kinder, wenn sich ihre Körper dazu entscheiden und nicht ein Arzt. „Leider werden Frauen regelmäßig unfassbar unter Druck gesetzt, teilweise von der Medizin erpresst, wenn sie sich nach der Diagnose des fehlenden Herzschlags nicht sofort ausschaben lassen wollen”, erzählt sie. Von einer Mutter wisse sie, dass der Arzt zu ihr gesagt habe: „Der Dreck muss jetzt aus Ihrem Körper raus.”

Anzeige

Aus eigener Erfahrung mit fünf Fehlgeburten und der Begleitung von über 40 Frauen weiß Hansen-Krewer, dass der natürliche Weg sehr wohl funktionieren könne. „Dieser Prozess ist für die Frauen unheimlich wichtig, damit sie trauern können”, betont die 38-Jährige. „Sie müssen auch ein Wochenbett in Anspruch nehmen dürfen, um an Körper und Seele heilen zu können.” Leider gebe es innerhalb der Medizin noch gravierende Lücken zu dem Thema. In ihrem Buch „Stille Geburten sind auch Geburten und Sterneneltern sind auch Eltern” beschreibt Hansen-Krewer, wie die Eltern die würdevolle Behandlung erhalten können, die sie brauchen und verdienen.

Auch mit Plakaten wird auf die Informationsveranstaltung am 19. November aufmerksam gemacht.
Auch mit Plakaten wird auf die Informationsveranstaltung am 19. November aufmerksam gemacht.
© Carina Schmidt

Selbstverständlich gebe es sehr feinfühlige Ärzt:innen und Hebammen, betonen Saskia Riemer und Corinna Hansen-Krewer. Bei einigen gebe es aber noch Luft nach oben. Die Initiatorin der Demo wünscht sich deshalb einen runden Tisch, um mit allen Beteiligten in den Dialog treten zu können. Eine erste Gelegenheit dazu gibt es bereits am 19. November.