Zwei Jahre wohnte eine Laubenheimer Mutter in der Einrichtung für obdachlose Frauen. Dank dieser hat sie ihr Leben heute wieder im Griff.
MAINZ. Ihre Kinder sind ihr Lebensmittelpunkt. Wenn Stefanie S.* von Leo (9) und Mia (12), erzählt, strahlen ihre Augen. Genau diesen Lebensmittelpunkt hatte sie vor ein paar Jahren verloren. Wegen einer Krankheit. Stefanie S. wurde von ihrem Mann vor die Tür gesetzt. Ihr wurden die Kinder entzogen. „Das war einfach nur schrecklich“, erzählt sie. „Ich wollte nicht mehr leben.“ Die 35-Jährige ist überzeugt: Hätte sie im Wendepunkt, der Einrichtung für wohnungslose Frauen in der Nahestraße 7, keine Hilfe bekommen, wäre sie heute nicht mehr da.
Tochter bekommt in der Kita Wutausbrüche
Die Probleme gingen im Frühjahr 2014 los, kurz vor Mias Einschulung. Mirco S., der Vater der Kinder, arbeitete zu dem Zeitpunkt in einer Bodenheimer Bäckerei, wo er auch seine Frau kennengelernt hatte. Stefanie S. war damals arbeitslos. Ihr Vertrag bei der Post war ausgelaufen. „Unsere Tochter bekam plötzlich in der Kita ständig Wutausbrüche“, berichtet Stefanie S. Das Ausmaß wurde derart heftig, dass die damals Sechsjährige im Alzeyer Kinderneurologischen Zentrum behandelt werden musste. Die Diagnose: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.
Die Ärzte rieten Stefanie S. und ihrem Mann, das Mädchen medikamentös zu behandeln. Mias Vater war jedoch dagegen. „Dem Kind werden keine Drogen verabreicht“, sagte er.
Doch es kam noch dicker. Denn bei Leo wurde eine Sprachstörung festgestellt. Dieses Mal lautete die Diagnose Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. Anders als seine Schwester sei er eher ein „Träumerle“, also ein impulsives Kind, beschreibt Stefanie S. Kurze Zeit später erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Letztlich mussten alle drei in Alzey behandelt werden. Und wie sich herausstellte, hatten die Kinder die Krankheiten von ihrer Mutter geerbt. Für die 35-Jährige brach eine Welt zusammen. Auf einmal wurde ihr aber auch vieles bewusst. „Ich habe die Schule und meine Ausbildung nur mit Ach und Krach geschafft“, erzählt sie. „Denn ich hatte ähnliche Probleme.“ Stefanie S. blieb länger in der Klinik als ihr Nachwuchs. Als sie wieder nach Hause konnte, wollte sie ihr Mann nicht mehr in die Wohnung lassen. „Vorübergehend konnte ich bei Bekannten unterkommen“, erzählt sie. Die Kinder wurden nach Brandenburg zu Stefanie S. Mutter geschickt. Alle vier Wochen konnte sie sie nur noch sehen. Der Tiefpunkt in ihrem Leben.
Im Wendepunkt bekam sie ein Zimmer und wurde bei administrativen Dingen unterstützt. „Hier habe ich in der Küche gearbeitet und gelernt, mir wieder eine Tagesstruktur aufzubauen“, erzählt Stefanie S. „Das hat mir Halt und Sicherheit gegeben.“ Nach ein paar Monaten konnte sie von der Nahestraße 7 in die Außenwohngruppe in der Wallstraße ziehen. Auch bei Gerichtsterminen, etwa der Scheidung und den Auseinandersetzungen zum Sorgerecht, bekam sie Unterstützung. 2016, also zwei Jahre später, zog sie aus dem Wendepunkt wieder aus.
Heute wohnt Stefanie S. mit ihren Kindern in einer eigenen Wohnung in Laubenheim. Sie hat das alleinige Sorgerecht. Ihr Ex-Mann, der inzwischen in Brandenburg wohnt, sieht die Kinder jährlich zwei Mal. Werktags arbeitet sie auf 450-Euro-Basis im Verkauf. Ansonsten unterstützt die 35-Jährige ehrenamtlich die Stadtmission durch Kinderbetreuung. Einmal in der Woche ist sie noch im Wendepunkt – zur ambulanten Betreuung.
Zwei Wünsche hat Stefanie S. für die Zukunft: dass ihre Kinder gut durch die Schule kommen und sie einen Job findet, der ihr richtig Spaß macht. Ihren alten Beruf als Bäckerin möchte sie wegen der Nachtarbeit nicht mehr ausüben. „An Fahrrädern schrauben liegt mir“, sagt sie. Zeitweise hat sie auch in einer Werkstatt ausgeholfen. Das Familienleben hat sich wieder gut eingependelt. Alle drei nehmen inzwischen Medikamente. „Anstrengend wird es nur, wenn wir gleichzeitig unsere fünf Minuten haben“, erzählt sie schmunzelnd. Inzwischen kann sie damit aber humorvoll umgehen. Denn sie weiß: Das geht schnell vorbei.
* Alle Namen von der Redaktion geändert.