Wendepunkt: Ausbruch aus der Armutsspirale

Christine Vögele (rechts) bei der Auszahlung von Taschengeld. Foto: hbz/Michael Bahr
© hbz/Michael Bahr

Christine Vögele ist in der Einrichtung für Frauen in Wohnungsnot für die Finanzen zuständig – sowohl vom Haus als auch den Bewohnerinnen.

Anzeige

MAINZ. Die Stimmung in Christine Vögeles Zimmer ist meistens gut. „Denn bei mir gibt es Geld“, sagt sie. Davon haben die Frauen, die zu ihr kommen, in der Regel tatsächlich wenig. Viele haben sogar alles verloren. Vor allen Dingen ein Dach über dem Kopf. Deshalb suchen sie auch Hilfe beim Wendepunkt, der Einrichtung für obdachlose Frauen, wo Vögele arbeitet. Die Gespräche rund um die Geldausgabe drehen sich dementsprechend auch um das Unschöne im Leben. Die Verwaltungsmitarbeiterin hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Frauen, muss aber auch Grenzen ziehen. „Denn ich bin ja keine gute Freundin“, sagt sie. Und ihr Job im Wendepunkt sind die Finanzen der Einrichtung und die der Bewohnerinnen. Für die persönlichen Lebensverhältnisse sind die Sozialarbeiterinnen zuständig.

An vier Tagen in der Woche gibt es bei Vögele Geld. 50 Euro pro Woche pro Bewohnerin. Alleinerziehende mit Kindern erhalten mehr. Manche Frauen dürfen einmal in der Woche kommen, andere einmal im Monat. „Je schlechter sich die Bewohnerinnen das Geld einteilen können, desto öfter müssen sie kommen“, sagt die 40-Jährige. Geld gibt es für Essen und Bekleidung. Diskutiert oder verhandelt werde dabei selten. „Die Frauen wissen, was sie haben und was nicht.“

Ein Teil der Sozialleistungen wird abgeführt, um die Kosten des Hauses abzudecken. Das klappt allerdings nicht immer. Denn das Jobcenter bezahlt die Unterkunftskosten erst, wenn alle Unterlagen eingereicht wurden. Frauen, die in der Notübernachtung Zuflucht suchen, hätten oft aber gar keine Papiere dabei, erzählt Vögele: „Sie sind insgesamt von den bürokratischen Hürden überfordert und emotional überlastet.“ Die Kosten für die ersten drei Tage übernehme die Stadt – eine Neuerung seit diesem Herbst. Danach geht der Wendepunkt erst mal in Vorleistung. Und wenn die Frauen die Nahestraße 7 wieder verlassen, ohne die Finanzierung angekurbelt zu haben, bleibt die Einrichtung auf den Kosten sitzen.

Anzeige

Christine Vögele hat zwei Berufe gelernt. Zuerst arbeitete sie als Rechtsanwaltsfachangestellte, dann als Bankkauffrau. Die Mommenheimerin kennt auch die andere Seite, hat früher selbst Mahnbescheide herausgegeben. Nach der Elternzeit – Vögele hat zwei Kinder im Alter von 10 und 13 Jahren – wurde ihr in der Bank jedoch nur eine Vollzeitstelle in Aussicht gestellt. Und das wollte sie nicht. „Als ich die Anzeige des Wendepunktes in der Zeitung gelesen habe, sagte ich zu meinem Mann sofort: Das ist meine Stelle.“ Helga Oepen, die Vorgängerin der heutigen Leiterin Ina Raiser, war davon ebenfalls überzeugt.

Seitdem Christine Vögele in der Einrichtung für obdachlose Frauen arbeitet, hat sie ihr eigenes Verhältnis zum Geld verändert. „Man kann mit viel weniger auskommen, als man denkt“, sagt sie. „Das vermittele ich auch meinen Kindern.“ Überhaupt habe sie mittlerweile ein anderes Bild von wohnungslosen Frauen. Wenige würden die Klischees erfüllen und etwa unter der Brücke übernachten. „Vielmehr versuchen sie zuerst, bei Bekannten unterzukommen“, sagt sie. Und wenn das auch nicht mehr gehe, würden viele von Einrichtung zu Einrichtung ziehen.

Aus dieser Armutsspirale auszubrechen – dabei helfen die Mitarbeiterinnen des Wendepunktes. „Wir gehen die einzelnen Baustellen an und suchen nach Lösungen“, betont Vögele. In ihrem Arbeitsbereich bedeutet das, zunächst einmal den Umgang mit Geld beizubringen. „Viele wissen vor allen Dingen nicht, wie sie aus den Schulden wieder rauskommen sollen“, sagt die Bankkauffrau. Umso schöner sei es, wenn die Frauen nach Monaten sogar in der Lage seien, sich etwas beiseitezulegen. Als kleines Startkapital für die eigene Wohnung und ein neues Leben.