Die Betroffenheit ist groß, nachdem eine Mutter ihre Tochter und sich selbst getötet haben soll. Wie Kriseninterventionsteams und Seelsorger nun Familie und Freunden helfen.
MAINZ. Trauer, Bestürzung, Fassungslosigkeit. Nachdem die Polizei am Dienstagabend in einer Wohnung im Stadtteil Bretzenheim die Leichen eines neunjährigen Mädchens und ihrer 47-jährigen Mutter gefunden hat, ist die Betroffenheit groß. Ein Wohnviertel, eine Schule, ein Stadtteil, ja, eine ganze Stadt steht unter Schock. Nach derzeitigem Erkenntnisstand soll die Mutter am Dienstagnachmittag ihre Tochter und schließlich sich selbst getötet haben. Von Angehörigen über das weitere Umfeld bis hin zu Mitschülern sowie Lehrer- und Elternschaft der Grundschule – allen Involvierten wurden umgehend Kriseninterventionsteams und Seelsorger zur Seite gestellt. Die Fachleute sollen sie in ihrer Trauer begleiten, sie unterstützen – und so möglichen Traumata, die häufig erst später auftreten, vorzubeugen.
Als er am Mittwochmorgen die Rundmail des Schulleiters öffnete, in der dieser den Eltern mitteilte, dass ein Kind aus der Schulgemeinschaft verstorben war, sei er schockiert gewesen, berichtet der Vater eines Mitschülers. „Da war plötzlich diese Leere – und im nächsten Moment so viele Fragen, die man sich stellt“, sagt er. Er habe Mutter und Tochter flüchtig gekannt.
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„Man hat sich gegrüßt, mal das ein oder andere Wort gewechselt. Aber mit so etwas hätte ich niemals gerechnet.“ Bei aller Aufregung hätten ihn die weiteren Zeilen des Rektors in der Rundmail sehr beruhigt: Seit dem Morgen seien Notfallseelsorger in der Schule, um ihnen sensibel den Tod der Mitschülerin und deren Umstände zu vermitteln und diese Nachricht gemeinsam aufzuarbeiten. „Wir haben zu keinem Zeitpunkt überlegt, unser Kind aus der Schule abzuholen“, sagt der Familienvater. „Es gehen einem in diesem Moment selbst die Gefühle durch. Da ist es gut, zu wissen, dass sich Fachleute um die Kinder kümmern, sie auffangen.“ Im Laufe des Vormittags sei ihm aber natürlich der Gedanke gekommen, wie sein Sohn drauf sein werde, wenn er nach Hause komme, aufgeregt, in sich gekehrt. „Und wie soll ich ihn darauf ansprechen?“
Als der Sohn schließlich nach Hause kommt, geht diesem beim Überschreiten der Türschwelle ein kurzer Satz über die Lippen: „Sie ist tot.“ Er sei traurig, berichtet er weiter. In der Schule sei viel über das Geschehene geredet worden. Auch hätten die Mitschüler ein Spiel gespielt, das die verstorbene Neunjährige immer gerne gespielt habe. Wie der Vater erklärt, hätten sich seine Frau und er nun dafür entschieden, sich auch über die Akutbetreuung hinaus psychologische Unterstützung zu holen, um im Detail zu beobachten, wie das Kind die Todesnachricht und die Informationen zu den Umständen verarbeitet.
Seelsorger bleiben vorerst in der Schule
Es war am Dienstag gegen Abend, als die Polizei die Tür zur Wohnung in Bretzenheim öffnen ließ, nachdem Mutter und Tochter zuvor von Angehörigen als vermisst gemeldet worden waren. Anders als vereinbart, waren sie nicht anzutreffen, nicht auffindbar. Die Behörden reagieren, die Wohnungstür wurde geöffnet. Im Innern fanden die Einsatzkräfte Mutter und Tochter. Sie waren tot. Die Staatsanwaltschaft leitete ein sogenanntes Todesermittlungsverfahren ein. Ein solches muss nach der Strafprozessordnung immer dann geführt werden, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Mensch auf nicht natürliche Weise zu Tode gekommen ist. In diesem Fall soll die Mutter ihre Tochter und sich selbst getötet haben. Die Kriminalpolizei übernahm die Ermittlungen.
Über die Rettungsleitstelle wurden unmittelbar nach dem Fund der beiden Leichen Kriseninterventionsteams und Fachleute der Ökumenischen Notfallseelsorge hinzugerufen, die vom Bistum Mainz und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) getragen wird. Wie Markus Reuter, beim Bistum für Polizei- und Notfallseelsorge zuständig, berichtet, seien im weiteren Verlauf auch bereits weitere Seelsorgerteams eingeschaltet worden; darunter zunächst die schulische Krisenseelsorge von Bistum und EKHN. Laut der in Rheinland-Pfalz für die Schulaufsicht zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) gebe es an allen Schulen sogenannte Krisenteams, die in unterschiedlichen Situationen im Sinne lokal angepasster Konzepte agierten.
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Ab Mittwochmorgen seien die Schulkrisenseelsorger an der Grundschule in Bretzenheim im Einsatz gewesen, berichtet Brigitte Lob, zuständige Referatsleiterin beim Bistum. In der Schule sei ein Trauer- beziehungsweise Erinnerungsraum eingerichtet worden. Darin: Blumen, Kerzen, von den Kindern für das verstorbene Mädchen Gebasteltes und Gemaltes. Einzeln und in Klassen sei über die Geschehnisse gesprochen worden. Unterstützt wurden sie von Notfallseelsorgern, seit Mittwoch zudem von Mitarbeitern des schulpsychologischen Dienstes des Pädagogischen Landesinstituts. In der kommenden Woche seien in jedem Fall noch Seelsorger in der Schule, so Lob. „Die Kinder brauchen Raum, um ihrer Trauer und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Aber sie brauchen auch Stabilisierung. Deswegen machen wir mit ihnen auch Körper- und Atemübungen.“ Für den Verarbeitungsprozess sei es wichtig, dass sie diesen gemeinsam mit den anderen Kindern in der Schule durchliefen. An dem Ort und mit den Menschen, mit denen sie die Ausnahmesituation erlebten.