Die Entwicklung der Mainzer Verlagsanstalt, der VRM und der Allgemeinen Zeitung von Ruinen und Provisorien Ende der 40er Jahre zu zwei schmucken neuen Verlagsgebäuden 1963 und...
. Der „Mainzer Anzeiger“ stirbt drei Mal. Der erste Tod ist die Übernahme durch die Nazis in den 30er Jahren, die Gleichschaltung, die Nazi-Hetze im Blatt, dann kommen am 21. September 1944 die US-Bomber und am 27. Februar 1945 die Briten. Der September-Angriff rollt von der Ingelheimer Aue über Neustadt, Bleichenviertel, Kästrich und Oberstadt Richtung Bretzenheim, und wie viele andere Bauten, etwa die Altmünsterkirche, zerstören die Bomben auch Verlags- und Redaktionsgebäude in der Großen Bleiche. Den Rest besorgt die Februar-Tragödie, als im Viertel ein Feuersturm tobt. Nichts bleibt.
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Die gleichgeschaltete Zeitung wird nun in Wiesbaden produziert, während Redaktion und Verlag in die Emmerich-Josef-Straße ziehen. Am 15. März 1945 wird die Abozustellung mangels Transportmöglichkeit, vor allem aber mangels Häusern und Bewohnern beendet. Für die wenigen Mainzer gibts das Blatt an drei Abholstellen, bis am 19. März Schluss ist.
Hilfe vom Schott-Musikverlag
Der Schaden ohne Liegenschaften beträgt 430 000 Reichsmark, erste Entschädigungen werden noch vor der Besetzung beantragt, aber an die vorhandenen Geldreserven will man nicht gehen. Den Grund dafür nennt Ralf Haber in seinem Buch „Mainzer Presse 1945-1950“ (Böhlau-Verlag, 1997): Inmitten der totalen Zerstörung will der Verlag die Geldreserven nicht angreifen, weil man den Teilhabern die Gewinnausschüttung für 1944 nicht vorenthalten will... stattdessen sollten die Kosten für Verwaltung, Gehälter, Löhne und soziale Aufwendungen erheblich gesenkt werden... Ob dann aber doch der Einsatz der treuen Mitarbeiter beim Enttrümmern die Verlagsleitung beeindruckt hat? Auf jeden Fall beschließt man, auf die Dividende zu verzichten und den Überschuss in den Wiederaufbau zu stecken.
Früh ist aber klar, dass ein Neuaufbau aus eigener Kraft schwer wird. Und so kommt es Mitte Mai 1945 zu einem denkwürdigen Gespräch von Verlagsdirektor Adolf Fraund mit Dr. Ludwig und Willi Strecker, den Eigentümern des Schott-Musikverlags. Wahrscheinlich findet es im unzerstörten Schott-Gebäude am Weihergarten statt – und jeder hat etwas, was dem anderen fehlt. So übernimmt die MVA den Notendruck, während Schott die Finanzmittel für den Neustart der MVA hat. So wird bei einer Beiratssitzung am 3. Juli 1945 beschlossen, dass Schott mit einer Beteiligung von zunächst 250.000 Reichsmark Teilhaber wird. Am 6. August wird der Vertrag unterschrieben.
Am Anfang steht eine Baracke
Verwaltungs- und Verlagsgebäude sind bis auf Teile der Schalterhalle an der Großen Bleiche zerstört, das Betriebsgebäude steht teilweise noch, ist aber schwer beschädigt. Um voran zu kommen, beantragt die MVA für vier bis sechs Wochen zwei Kipploren zur Schuttbeseitigung sowie zehn Hilfsarbeiter, außerdem kaufen Schott als künftiger Teilhaber und die MVA bereits im Juni 1945 eine zerlegte Baracke in Schierstein, die nach der Enttrümmerung Schriftleitung und Verlag aufnehmen soll.
Sie liegt noch im August demontiert in Schierstein, aber als sie endlich in Mainz aufgestellt wird, entwickelt sie ein äußerst langes Leben. Bis zum Umzug der MVA, spätere Verlagsgruppe Rhein-Main, auf den Lerchenberg dient sie als Kantine des Unternehmens, in der unter strengem Regiment von Tresen-Chefin Hella auch die höchsten Herrschaften aus den obersten Stockwerken geduldig anstehen...
Baulich geht es hingegen immer noch nicht voran. Die Baracke ist zwar endlich aufgestellt, aber eben nur als Lager. Die Verlagerung der Betriebsanlagen aus dem Keller ans Tageslicht drängt zwar, aber auch Mitte 1946 geht die MVA den Wiederaufbau ihres Trümmerhaufens noch nicht an. Erst 1947 kann die Redaktion vom beengten Lagerraum bei Schott im Weihergarten in den provisorisch wieder hergerichteten Bau an der Margaretengasse umziehen, während Verlagsdirektor Adolf Fraund mit dem Verlag noch in den gemieteten Räumen in der Commerzbank untergebracht ist.
Neubau 1963
Nun, und erst recht nach der Währungsreform geht es rascher weiter. Stück für Stück wachsen Gebäude empor, um 1950 der lange Querbau parallel zur Klarastraße, an dessen Stirnseite zur Großen Bleiche hin zehn Jahre lang riesig die Schriftzüge „Allgemeine Zeitung“ und etwas kleiner darunter „Neuer Mainzer Anzeiger“ prangen. Wie ein Riegel liegt davor die Schalterhalle, lange nur ein Stockwerk.
Zum Schuppen im Hof gesellte sich zur Löwenhofstraße hin noch ein zweiter mit Pförtnerhäuschen, Wagenhalle und eigener Tankstelle, und so wie hier wird immer wieder etwas hinzugebaut, etwas verändert, ein Stockwerk aufgesetzt. So wird im Betriebsgebäude an der Margaretengasse an der Ecke zur Klarastraße sogar ein Latscha-Lebensmittelladen eingerichtet. Aber Ende der 50er entschließt man sich, endlich ein modernes Verlagshaus zu errichten.
Am 18. Juni 1963 wird an der Großen Bleiche das markante fünfgeschossige Gebäude von Verleger Walther Zech eröffnet. Ein Bau im Stil der Zeit mit klarer Rasterfassade im Rhythmus horizontal wechselnder blauer Brüstungs- und weißgerahmter Fensterbänder. „Moderne Sachlichkeit“, „unaufdringlich vornehm“ beschreibt die AZ in ihrer Sonderbeilage zur Eröffnung das Gebäude und auch spätere Generationen finden durchaus Gefallen am klaren Stil der 60er Jahre.
Die Stirnseite der neuen Eingangshalle ziert das wandfüllende Kunstwerk „Komposition“ des Mainzer Malers Peter Paul Etz, während die anderen Wände in dunklem Schiefer gehalten sind. Zur Klarastraße findet sich das großzügige Kundencenter mit langem Tresen in Marmorverkleidung und raumhoher Täfelung in Teak, das auch große Teile der Innenausstattung bestimmt.
Ein abenteuerliches Ensemble
Doch so trefflich der moderne Frontbau als Aushängeschild dient, so abenteuerlich zeigt sich das gesamte Gebäudeensemble, das zunächst noch die Druckerei, zu Bleizeiten auch noch die Bleischmelze und große Maschinensäle enthält. Durch die vielen An- und Zubauten, teils auch mit versetzten Stockwerken zwischen Altsubstanz und neuer Zeit, bieten die Wege durch den Komplex ein ständiges treppauf-treppab, gibt es überraschende Winkel, dunkle Katakomben, stille Hinterhöfe, aber auch ein diskretes, lauschiges Eckzimmer mit kleiner Terrasse eine Wendeltreppe hoch hinter der Mettage...
Als die Druckerei 1975 in die Rheinallee zieht und in den 80er Jahren die Bleizeit endet, liegen weite Trakte leer, auch die mehrstöckigen Keller des ehemaligen Papierlagers, durch die der Autor einmal im Dunkeln irren muss, um an einer ganz anderen, unerwarteten Ecke wieder ans Licht zu geraten.
Der Komplex hat Charakter und bietet bis zum Schluss viele Reminiszenzen an alte Tage. Da sind die weit ausschwingenden Wendeflügelfenster, der letzte Schrei in den frühen 60ern, da gibt es eine weit verzweigte Rohrpostanlage, in der in den späten Jahren gern mal die Kapseln im Nirgendwo zwischen Redaktion und Erfassung stecken bleiben, und an der Löwenhofstraße gibt es ein schweres Stahlgitter-Rolltor und eine mit Glasscherben gespickte und Stacheldraht bewehrte Mauerkrone, mit der Verleger Zech in Zeiten der Bader-Meinhof-Gruppe das Haus vor Angriffen schützen will...
Der schlimmste Angriff auf das Haus erfolgt aber von innen, als die beiden Anfang der 80er Zech nachfolgenden Geschäftsführer das ihnen anvertraute Unternehmen um zwölf Millionen Mark erleichtern. Dafür lassen sie sogar das „Darmstädter Tagblatt“, eine der ältesten deutschen Zeitungen, über die Klinge springen. Neben dem damals üblichen RAF-Fahndungsplakat hängen dann geraume Zeit die Fotos der beiden Herren: Sie müssen draußen bleiben.
Nur 15 Monate Bauzeit
Bald darauf sind die Tage des Ensembles gezählt, denn den Erfordernissen eines modernen Medienunternehmens sind die Gebäude, auch das von 1963, nicht mehr gewachsen. Im Digitalzeitalter braucht die ehemalige Mainzer Verlagsanstalt und nunmehrige Verlagsgruppe Rhein Main/VRM nicht mehr alte Industriearchitektur, sondern modernen, flexiblen Büroraum mit konsequent integrierter Informations- und Kommunikationstechnik. Die Erneuerung am Ort selbst ist unmöglich, also wählt die Verlagsspitze um Herausgeber Karlheinz Röthemeier einen Platz neben dem ZDF, oberhalb von Schott Forschungszentrum und SAT1. „Zeitung auf der Höhe“ lautet denn auch die Beilage zur offiziellen Eröffnung des Gebäudes 1997, wobei der Umzug bereits im Herbst 1996 vonstatten geht.
Nach nur 15 Monaten Bauzeit haben Deutsche Anlagen-Leasing, Generalunternehmer Epple und VRM das Gebäude vollendet, das auch 25 Jahre nach dem Einzug nichts von seinem einladenden Charakter verloren hat. Der konkav geschwungene Baukörper scheint den mittig eintretenden Besucher mit offenen Armen zu empfangen, während rückseitig zwei Seitenflügel einen großen Gartenhof mit Wasserbecken und großer Casino-Terrasse bilden. Die Front mit hoher gläserner Mittelachse und Flanken in hellem Naturstein mit vertikal, stockwerkübergreifend zusammengefassten Fenstern ist repräsentativ, während sich von innen ein wunderbarer, beeindruckender Panoramablick bis zu den Taunushöhen und nach Frankfurt bietet.
Aber auch wenn der Blick von hier nicht nur geografisch weit ins Land geht, sondern vor allem in eine spannende, herausfordernde Zukunft, richtet er sich gerade in diesen Tagen auch nach innen und zurück zu den schweren Anfängen vor 75 Jahren. Zukunft braucht Herkunft.