Mainzer Physiker forschen mit Rost als PC-Rohstoff

Ihre Forschungsarbeit hat ihnen einen Artikel im renommierten Fachblatt „Nature“ eingebracht: Prof. Mathias Kläui (l.) und Dr. Romain Lebrun. Foto: Harald Kaster
© Harald Kaster

Auf der Basis des Rost-Grundstoffs könnten Computer in Zukunft deutlich energiesparender und gleichzeitig schneller werden. Wichtige Forschungsarbeit dazu kommt aus Mainz.

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MAINZ. Wenn der Rost in einen PC einzieht, ist für gewöhnlich das Ende nah, oder bereits eingetreten. Aus die Maus, im Wortsinn. An der Uni Mainz sieht man das ein bisschen anders. Wenn es nach den Physikern um Prof. Mathias Kläui geht, könnte genau das Gegenteil der Fall sein: Rost als Grundlage für schnellere und energiesparende Computer. Wie bitte? Ja genau.

Auf dem Tisch vor Kläui und seinem Mitarbeiter Dr. Romain Lebrun liegt ein winziges rötlich schimmerndes elektronisches Bauteil in einer kleinen Plastikbox. Reinstes Eisen-III-oxid, der Grundbestandteil von Rost, der für die Färbung verantwortlich ist. Hier ist er kein Ärgernis, sondern etwas, das man in purifizierter Form für Hunderte Euro käuflich erwirbt oder aufwendig im Labor selber herstellt.

Auf einem solchen isolierenden Rostkristall ist den Mainzer Forschern etwas bislang Einzigartiges gelungen: Die Übertragung von Information mittels einer magnetischen Welle. Dabei machen sich die Physiker eine besondere Eigenschaft von Elektronen zunutze: den Spin. Jedes Elektron trägt nicht nur eine elektrische Ladung, sondern auch ein magnetisches Moment, den Spin. Man kann sich das so vorstellen, dass ein Elektron sich pausenlos um die eigene Achse dreht. Verändert man diesen Spin an einer Stelle, so breitet sich der veränderte Spin im Eisenoxid wellenförmig aus. „Dabei kommt der gleiche Ablauf wie bei der Wasserwelle zum Tragen“, erklärt Kläui. „Die Elektronen selbst bleiben an ihrem Ort, das einzige, was sich ausbreitet, ist die neue Spin-Richtung. So kommunizieren die Elektronen auf eine gewisse Art miteinander.“ Liest man den veränderten Spin an einer anderen Stelle wieder aus, hat man eine Information übertragen, ohne dass Elektronen fließen mussten, wie in der herkömmlichen Elektronik. Und das hat einen großen Vorteil, wie der gebürtige Schweizer erläutert: „Wenn Elektronen fließen, wird ein großer Teil der elektrischen Energie in Wärme umgewandelt.“ Außerdem sei eine aufwendige Kühlung notwendig. Nicht umsonst sei Google einer der großen Energie-Verbraucher in den USA, wobei nur die eine Hälfte des benutzten Stroms in die Rechenleistung fließe – die andere werde zur Kühlung benötigt. Prognosen gingen davon aus, dass alle Computer und Smartphones der Erde im Jahr 2025 so viel Energie verbrauchen werden wie alle Transportarten zusammen, vom Auto über den Tanker bis zum Flugzeug. „Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist das Energiesparen daher eine der ganz großen Herausforderungen der Zukunft“, ist sich Kläui sicher. Und die Spinwellen könnten dabei helfen, sie zu meistern. Der Informationsfluss an sich bräuchte weniger Energie – und es wäre deutlich weniger Kühlung notwendig. Zudem könnten die sogenannten Antiferromagnete, zu denen das Eisen-III-Oxid gehört, theoretisch bis zu tausendfach schneller geschaltet werden als herkömmliche magnetische Materialien.

Ihre Forschungsergebnisse konnten Kläui, Lebrun und ihre zahlreichen Mitstreiter nun in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichen. Ein Ritterschlag in den Naturwissenschaften – und das Ergebnis erfolgreicher internationaler Zusammenarbeit. Die theoretischen Berechnungen für die Mainzer Experimente stammen aus Norwegen und den Niederlanden, und Lebrun, der den Rost als Material ins Spiel brachte, kam im vergangenen Jahr nach Stationen in Paris und Cambridge nach Rheinhessen. Vorher hatte man an der Mainzer Uni erfolglos ähnliche Experimente mit dem aufgrund seiner Struktur deutlich schlechter geeigneten Nickeloxid durchgeführt. „Es ist ganz klar: Hätten wir nicht alle zusammengearbeitet, wären wir nicht halb so schnell vorangekommen und ein wichtiger Teil der Forschungsmittel für das Projekt stammt von der EU“, betont Kläui. Das müsse man insbesondere Europaskeptikern immer wieder klar machen.

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Doch bei aller Euphorie, die die beiden Forscher ausstrahlen: Der Weg zur Anwendung sei noch weit, betont Kläui. „Das dauert noch mindestens 15 Jahre.“ Bislang sei die Spinwellen-Übertragung nur um Haaresbreite gelungen, nämlich über die Distanz von 40 Mikrometern. Zudem brauche man dazu aktuell noch eine Temperatur von minus 70 Grad Celsius und die Einspeisung der Spins sei sehr aufwendig. Entscheidend werde sein, welche Fortschritte in diesen Bereichen gemacht würden und ob sich die Materialien in die Fertigungsprozesse der Halbleiterhersteller integrieren ließen. Dann könnte es vielleicht einmal rosten auf den Schreibtischen und in den Hosentaschen.